Uwe Spörl:
Gottlose Mystik in der deutschen Literatur um die Jahrhundertwende.
Dissertation Erlangen 1995.
Paderborn (Schöningh) 1997 (418 S.).
ISBN 3-506-78610-5.
Der Waschzettel des Verlages:

Jene »Mystik ohne Gott«, die so typisch für die deutsche Literatur der Jahrhundertwende, ist, steht zugleich für einen allgemeinen kulturellen Zustand Ihrer Zeit, d. h. ihres wissenschaftlichen, sozialen, intellektuellen und literarisch-künstlerischen Lebens.

Drei Thesen werden in der vorliegenden Arbeit formuliert und anhand von führenden Theoretikern und Dichtern der Zeit (Nietzsche, Mauthner, Kassner, Heinrich Mann, Musil, Rilke, Hauptmann, Hofmannsthal, Altenberg u. a.) belegt.

Die Welt sei dem Menschen und seiner Erkenntnis nicht (mehr) zugänglich. Diese Überzeugung betrifft insbesondere die Möglichkeiten, die man der Sprache und den Wissenschaften zutraut. Diese Verunsicherung führt zu einer nachhaltigen Erkenntnis- und Sprachskepsis.

Neue geistige Strömungen (Monismus, Lebensphilosophie) ersetzen alte Religiosität und bilden den bewußtseinsgeschichtlichen Rahmmen für das Phänomen »Neomystik«, in der die imaginierte oder erlebte Einheit der traditionellen Mystik mit Gott auf die entgöttlichte Weit bezogen wird. So soll dem verunsichernden Gefühl der Entfremdung von der Welt begegnet werden.

Diese Mystik bedarf - wie die alte Mystik - eines besonderen sprachlichen Ausdrucks und ist daher eng mit literarästhetischen Überlegungen verknüpft und wird Ihrerseits selbst zum Thema von Literatur.

Das Inhaltsverzeichnis:

0 Einleitung

1 Neomystik im Diskurs der Jahrhundertwende

1.1 Mystik, Lebensphilosophie, Neomystik

1.1.1 Mystik in der Literatur um die Jahrhundertwende?
1.1.2 Was ist Mystik?
1.1.3 Was ist Lebensphilosophie?
1.1.4 Was ist »Neomystik«?

1.2 Erkenntnisskepsis und Sprachskepsis um 1900

1.2.1 Friedrich Nietzsche als Erkenntnis- und Sprachskeptiker
Exkurs: Gustav Gerbers »Die Sprache als Kunst«
1.2.2 Fritz Mauthner, der Sprachkritiker
1.2.3 »Aus der Mappe eines lachenden Philosophen«
1.2.4 Alfred Bieses »Philosophie des Metaphorischen«
1.2.5 Hans Vaihingers »Philosophie des Als Ob«
1.2.6 Emil Du Bois-Reymond und seine »Ignorabimus«-Reden
1.2.7 Felix Hausdorffs »Chaos in kosmischer Auslese«
1.2.8 Ernst Machs »Analyse der Empfindungen«
1.2.9 Oskar Panizzas »Illusionismus«
1.2.10 Sprachskeptische Literatur um 1900

1.3 Neomystik und andere Einheitskonzeptionen um 1900

1.3.1 Gustav Landauers Wege von der Skepsis zur Mystik
1.3.2 Anarchismus und Mystik: Pierre Ramus
1.3.3 Fritz Mauthner als »Mystiker«
1.3.4 Der weltanschauliche Monismus und seine Verbreitung um 1900
1.3.5 Wilhelm Bölsche »Über den Wert der Mystik in unserer Zeit«
1.3.6 Rudolf Steiner über Mystik und Weltanschauung
1.3.7 Langbehns kulturkonservativer Mystizismus
1.3.8 Max Nordaus psychopathologischer Mystikbegriff
1.3.9 Die religionspsychologische Reduktion der Religion auf die Mystik
1.3.10 Mystik als »moderne Religion«
1.3.11 Martin Bubers Auffassung von »Mystik« als Ekstase
1.3.12 Maurice Maeterlinck, der »Mystiker«
1.3.13 Rudolf Kassner und »Die Mystik, die Künstler und das Leben«
Exkurs: Ganzheitliche oder »Gestalt«-Theorien der Erkenntnis
1.3.14 Gustav Sacks Mystik-Kritik

1.4 Nietzsche als Denker und Dichter von Vielheit in der Einheit

1.4.1 Nietzsches Verhältnis zur Mystik
1.4.2 Nietzsches Philosophie der Kunst aus der »Geburt der Tragödie« als Metaphysik des Ur-Einen
1.4.3 Dionysische und mystische Sprache der Kunst in »Also sprach Zarathustra«

2 Neomystik in der Literatur um die Jahrhundertwende

2.1 Heinrich Manns Novelle »Das Wunderbare«: Neomystisches Erleben und Künstlertum

2.1.1 Heinrich Mann in den 90er Jahren
2.1.2 Heinrich Mann und der Dilettantismus
2.1.3 Die zwei Fassungen der Novelle
2.1.4 Der Rahmen der Novelle: Rohde als Synthese von Künstler und Bürger
2.1.5 Das Wunderbare, die Schönheit und die Kunst
2.1.6 Das mystische Erlebnis des Wunderbaren

2.2 Rationalität und neomystisches Erleben: Robert Musils »Verwirrungen des Zöglings Törleß«

2.2.1 Musil zwischen Technik, Philosophie und Kunst
2.2.2 Törleß als Figur in einem Experiment
2.2.3 Törleß' neomystische Erlebnisse im Zusammenhang seiner »Verwirrungen«
2.2.4 Erzählperspektive, Sprache und Form des Romans

2.3 Rainer Maria Rilke als Dichter von Alleinheit und neomystischem Erleben

2.3.1 Rilke als »mystischer« Dichter
2.3.2 Maeterlinck, Kassner und Rilke
2.3.3 »Im All-Einen«. Lieder über die Einheit von Ich und Welt
2.3.4 Rilkes »Erlebnisse« von 1913

2.4 Gerhart Hauptmann und die künstlerische Phänomenologie der Religiosität

2.4.1 Hauptmanns weltanschaulicher Hintergrund
2.4.2 »Der Apostel«
2.4.3 »Hanneles Himmelfahrt«
2.4.4 »Der Narr in Christo Emanuel Quint«
2.4.5 »Der Ketzer von Soana«

2.5 Hugo von Hofmannsthals »Chandos-Brief«: Spiel mit dem neomystischen Erlebnis

2.5.1 Landauers Trugschluß
2.5.2 Hofmannsthal, der Literat
2.5.3 Hofmannsthals vermittelte Erlebnisse
2.5.4 Literatentum als Ausgangspunkt des Briefes
2.5.5 Chandos vor der Krise
2.5.6 Francis Bacon und der Brief
2.5.7 Bacon, Chandos und Shakespeare
2.5.8 Der »Gehalt« des »Briefes«: die Sprache
2.5.9 Der »Gehalt« des »Briefes«: die Mystik
Exkurs: Chandos' Subjektivität
2.5.10 Schluß

2.6 Peter Altenbergs Skizzenreihe »See-Ufer« aus »Wie ich es sehe«: Wesenserkenntnis an der Erscheinungsoberfläche

2.6.1 Die »Skizzenreihe« »See-Ufer«
2.6.2 Altenbergs Skizzen als impressionistische Literatur?
2.6.3 Die Erkenntnis des Wesentlichen in Geste, Blick und »Seelen«-Vereinigung
2.6.4 Physiognomische »Erkenntnis« als Grundlage der Skizzen-Poetik
2.6.5 Altenbergs Skizzen als Prosagedichte?