Kurzzeitgedächtnis

Kurzzeitgedächtnis [short-term memory, kratkovremennaja pamjat']. Auch: Kurzzeit- oder Arbeitsspeicher, temporäres, primäres (W. James) oder unmittelbares Gedächtnis, aktives verbales G. (Neisser 1974). Gedächtnistyp mit kurzem Behaltensintervall (je nach dem Grad der Aufmerksamkeit etwa 10 Sek.), der theoretisch konstruiert oder im Kontinuum der sensorischen, kurzzeitigen, mittelzeitigen und langzeitigen Kodierung von sprachlichem und nichtsprachlichem Material operational definiert wird. Für die Verarbeitung von (sprachlichem) Material im KZG ist die Organisation in ->chunks von Bedeutung; die unmittelbare Gedächtnisspanne beträgt 7 ± 2 chunks, d.h. daß die Grenzen des KZG durch die Anzahl der Kodierungseinheiten bestimmt werden. Das Behalten und Verarbeiten eines Satzes z.B. ist leichter, wenn er als eine Einheit kodiert werden kann.

Die in zeitlicher Abfolge nacheinander einlaufende akustische und/oder visuelle Information kann während ihrer Verweildauer im KZG simultan überschaut werden; die einzelnen Züge oder Merkmale können miteinander in Beziehung gesetzt, mit der im ->Langzeitgedächtnis gespeicherten Information verglichen und der Strukturbildung unterworfen werden. Bei der Rezeption und bei der Produktion von Sätzen muß der Anfang des Satzes solange im KZG >behalten< werden, bis das Ende des Satzes wahrgenommen oder produziert ist (s. auch ->Satztiefe). Die Kapazität des KZG ist auch im Vergleich zur Gesamtmenge der einströmenden Information begrenzt. Hörer/Leser verhalten sich bei der (Sprach)Wahrnehmung selektiv in Abhängigkeit von ihrer Motivation, ihrem Interesse usw. (Aufmerksamkeitsfokus). Beim Behalten und Erinnern von Sätzen zeigt sich, daß die syntaktische Form schnell vergessen wird und daß die langfristige Speicherung auf semantische Weise erfolgt.

Vgl. ->Langzeitgedächtnis, kognitive Psychologie, Psycholinguistik.

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