Text

Text [(lat. textus; Gewebe, Geflecht <texere; griech. tektwn) text/discourse, texte/discours, tekst]. Wenn man spricht oder schreibt, um jemandem etwas mitzuteilen, produziert man Texte. Alles, was man (sinnvoll) sagt oder schreibt, ist ein T. oder ein Teil eines T. Ein T. ist eine funktionale und finale, aber auch eine traditionsbedingte Einheit (Coseriu 1981). Es gibt dialogische und monologische, gesprochene und geschriebene T. Intuitiv kann man unter einem T. als alltäglich erfahrbarer Gegebenheit eine Folge von Sätzen/Äußerungen verstehen, die thematisch und in ihren Bedeutungen sinnvoll zusammenhängen und einen erkennbaren Anfang und ein Ende haben. Man möchte an einem solchen T. eine kommunikative Funktion erkennen, und man will ihn einer bestimmten Sorte bzw. einem Typ von T. zuordnen können.

In der Glossematik ist der unbegrenzte T. die Gesamtheit der von einer Sprache vorliegenden Äußerungen; ein begrenzter T. oder eine Teilmenge des texte infini ist eine ganzheitliche sprachliche Kette als Gegenstand der Analyse. Durch Katalyse und Analyse wird aus ihr das System gewonnen (Hjelmslev, Prolegomena ) .

Der T. ist Ausgangseinheit und Gegenstand der Textlinguistik. Er wird oft als sprachliche Einheit gesehen, die nicht mehr Bestandteil hierarchisch höherer sprachlicher Einheiten ist. Nach P. Hartmann (1972) läßt sich als T. alles bezeichnen, was an beobachtbarer geäußerter Sprache vorliegt. S. J. Schmidt (1971) bezeichnete die Zuwendung zum T. als phänomenaler und analytischer Ausgangseinheit der Linguistik als Zuwendung zur sozialen Realität der Sprache. Der T.Begriff reflektiere das Faktum, daß Sprache nur gebunden und bedeutungsvoll vorkomme, und das Interesse am T. als primärem sprachlichen Datum gründe sich vor allem auf semantische Überlegungen (a.a.O., S. 37ff.).

Bei Versuchen einer genaueren Bestimmung des T.-Begriffs treten die bei der Übernahme alltagssprachlicher Begriffe bekannten Probleme auf (vgl. ->Wort, Satz). Andererseits kommen bei unterschiedlichen Bestimmungen verschiedenartige Zugänge und Erkenntnisinteressen zum Ausdruck. Unfertigkeit und relative Offenheit von Ausgangsbegriffen ist zudem bei sich entwickelnden Disziplinen nicht selten; es sind Merkmale, die deren Entfaltung nicht behindern (vgl. ->Begriff, Begriffsbildung) .

Bemühungen um Explikation des T.-Begriffs lassen sich einteilen in

1) intuitiv-alltagssprachliche; Sprache als Äußerung und Mitteilung, Komplexeste Ebene des Sprachlichen, Alles, was an Sprache vorkommt  (P.  Hartmann) ;

2) allgemein-fundierende; Originäres sprachliches Zeichen, Die allgemeine Form, in der man sich sprachlich äußern kann, Vorkommensrealität der Sprache (Hartmann 1984) , Oberste und unabhängigste sprachliche Einheit (Dressler);

3 ) sprach- oder textinterne;  "Ein durch ununterbrochene pronominale Verkettung konstituiertes Nacheinander sprachlicher Einheiten" (Harweg, Pronomina, S. 148), "Eine kohärente Folge von Sätzen, wie sie in der sprachlichen Kommunikation Verwendung finden" (Isenberg 1970, S. 1), "Eine kohärente Folge von sprachlichen Zeichen . . ., die nicht in eine andere (umfassendere) sprachliche Einheit eingebettet ist" (Brinker 1979, S. 3), Kohärente Folge von Sätzen mit gemeinsamer Koreferenz usw. ;

4) sprach- oder textexterne; "Eine als Ganzes fungierende Folge gesprochener und geschriebener sprachlicher Elemente, die auf der Grundlage eines beliebigen (meist außerlinguistischen) Kriteriums als "Text" ausgewiesen ist (Petöfi, in Lili 5, 1972, S. 31);

5) betont sprachgebrauchsbezogene; Repräsentationen der Verwendung von Sprachsystemen, aktualisierte Sprache, zu kommunikativer Aktion gebrauchte Sprache (Hartmann 1971), Art und Weise, in der Sprachverwendung sich abspielt (Hartmann 1984), Äußerungsmenge in Funktion (S. J. Schmidt);

6) kommunikativ-pragmatische (handlungstheoretische, sprechaktorientierte): Intentional gebildete, abgeschlossene Spracheinheit, die nach den Regeln der Grammatik gebildet ist (Dressler 1972), In einem Kommunikationsakt verwendete Zeichen, Funktionaler Bestandteil eines kommunikativen Handlungsspiels, Thematisch orientierter Kommunikationsakt, Manifestation sprachlichen Handelns (S.J. Schmidt), Kommunikativ sinnvolle Menge von Äußerungen usw. Daneben gibt es systemtheoretisch-funktionale (U. Oomen) und psychologisch-prozedurale T.-Auffassungen (de Beaugrande/Dressler 1981). Insgesamt werden zur Explikation des T.-Begriffs als Merkmale verwendet a) Eigenständigkeit bzw. Nicht-Einbettung, b) makrostrukturelle und mikrostrukturelle Komplexität, c) Kohäsion und Verkettung, d) semantische Kohärenz, e) thematische Konsistenz, f) kommunikative Intentionalität und Funktionalität, g) Zugehörigkeit zu einer Textsorte (Zu T.-Bestimmungen mit Hilfe mehrerer Aspekte vgl. Weinrich 2/1971, Moskal'skaja 1984).

Eine Polarisierung unterschiedlicher T.-Auffassungen zeigt sich in der Gegenüberstellung textinterner (transphrastischer, propositionaler) Konzeptionen und (programmatischer) handlungsorientierter, kommunikativer Konzeptionen. Beide Auffassungen werden als Alternativen, aber auch als miteinander verträgliche Möglichkeiten gesehen (vgl. Viehweger 1980).

Zwischen text und discourse im Sinne von Satz und Äußerung unterscheidet van Dijk. Zu beobachten ist die Tendenz, T.-e als objektsprachliche Phänomene der Sprachverwendung zu betrachten, d. h. als Existenzweisen der Sprache, die nicht als Systeme gespeichert, aber faktisch erfahrbar sind (z. B. Hartmann 1984). T. erscheinen als Produkte textbildender Prozesse intentionaler, kognitiver und sprachlicher Art, d. h. als Produkte von Voraussetzungen und Bedingungen, die nicht nur syntaktische und semantische, sondern auch pragmatische sind. Rein linguistisch sind T. keine wohlbestimmten Einheiten (Berruto 1 979) ; die Einheit, Geschlossenheit und Ganzheit eines T. ist linguistisch nicht faßbar. Das, was T. charakterisiert, ist vor allem von semantischer und pragmatischer und letztendlich interdisziplinärer Art (van Dijk, Textwissenschaft, 1980, S. 171).

Vgl. ->Textualität, Textsorten, Textlinguistik, Texttheorie, Textwissenschaft; Satz und Text, Text und Satz; Rede.

de Beaugrande R., Text, discourse and process. 1980. Berruto G., A sociolinguistic view on text-linguistics. In: Petöfi J. S., Hrsg., 1979 Brinker K., Zum Textbegriff in der heutigen Linguistik. In: Sitta H. Brinker K., Hrsg., Studien zur Texttheorie und zur dt. Grammatik. 1973 (Sprache der Geg., Bd. 30). Chrapcenko M. B., Tekst i ego svojstva. VJa 2, 1985. Dressler W., Einführung in die Textlinguistik. 1972. Gal'perin I. R., Tekst kak ob-ekt lingvisticeskogo issledovanija. 198l. Hartmann P., Texte als linguistisches Objekt. In: Stempel W.-D., Hrsg., Beiträge zur Textlinguistik. 197l. Ders., Konsequenzen textbezogener Arbeitsweisen. WW 34; 4, 1984. Hasan R., On the notion of text. In: Petöfi J.. Hrsg., 1979. Moskal'skaja O I., dt Textgrammatik. 1984. Oomen U.,TextsandsentencesIn: Petöfi J. S., Hrsg, 1979. Petöfi J. S., Hrsg.,Text vs. sentence Basic questions of text linguistics l/2. 1979. Raible W., Zum Textbegriff und zur Textlinguistik. In: Petöfi J. S., Hrsg., 1979. Schmidt S. J., Text und Geschichte als Fundierungskategorien. In: Stempel W.-D., Hrsg, 1971 Viehweger D., Methodologische Probleme der Textlinguistik. Zs für Germanistik l, 1980 Weinrich H., Tempus. Besprochene und erzählte Welt. 2/197l. 3/1977 Zinkin N I., Rec' kak provodnik informacii 1982.