Kapitel 2: Allgemeine Grundbegriffe ‒ Wissenschaftz
2.1 Linguistik als Wissenschaft
Nachdem wir uns näher mit der Frage beschäftigt haben, was Sprache ist, soll es
in den nächsten Abschnitten darum gehen, was es heißt, einen Gegenstand wissenschaftlich
zu behandeln, was also die wissenschaftlichen Merkmale eines linguistischen Ansatzes
der Erforschung von Sprache sind.
Was in der Linguistik als wissenschaftlich gelten soll, hängt in gewissem Maße von
den philosophischen Ansichten ihrer Vertreter ab. (s.o.)
In anderen wissenschaflichen Disziplinen außerhalb der Sprachwissenschaft besteht
weitgehend Übereinstimmung darüber, daß Forschung exakt, systematisch und objektiv
sein muß um als wissenschaftlich anerkannt zu werden.
2.1.1 Exaktheit
Um das Kriterium der Exaktheit zu erfüllen, muß eine Aussage, Definition usw. eindeutig
und vollständig formuliert werden und darf nicht Gegenstand subjektiver Auslegung
sein. Auch die Annahmen, auf welchen die Forschung basiert, müssen klar dargelegt
und so gestaltet sein, daß die Zwischenstufen einer Argumentation durchschaubar
sind. Fachtermini müssen präzise und konsistent definiert sein.
2.1.2 Systematik
Eine gute Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung
mit dem Gegenstand Sprache findet sich bei Karl-Dieter Bünting (Bünting 1987:12ff).
Sie ist in graphischer Darstellung in Abb. 2.1. wiedergegeben.
Abb. 2.1.
Danach können drei Grundkomponenten der wissenschaftlichen Arbeit des Linguisten
unterschieden werden (dargestellt in den drei stark umrandeten Kästen):
- der zu untersuchende Gegenstandsbereich (Etikett: Phänomen)
- die Fachdisziplin selbst (Etikett: Linguistik)
- die wissenschaftstheoretischen Grundlagen dieser Fachdisziplin (Etikett: Theorie
der Linguistik)
Zwischen den einzelnen Komponenten bestehen Wechselwirkungen, die durch Pfeile in
beide Richtungen angedeutet werden. Man kann ein Phänomen nicht ohne Reflexion über
die zu verwendeten Methoden und ohne allgemein-wissenschaftliche Grundaxiome als
Bezugspunkte beschreiben, und man kann andererseits eine Theorie nicht ohne Bezug
auf empirische Daten aufstellen und überprüfen.
1. Das Phänomen
Mit dem Gegenstandsbereich, den die Linguistik untersucht, haben wir uns in den
vorangegangenen Abschnitten bereits ausführlich beschäftigt. Im Diagramm werden
zwei Bedeutungen von 'Sprache' unterschieden: Einerseits geht es um ‘die
Sprache’ als allgemein menschliche Fähigkeit, andererseits um spezifische
Einzelsprachen wie sie von Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft als Muttersprache
gesprochen werden. Bei jeder Beobachtung des Phänomens Sprache wird eine Einzelsprache
beobachtet.
2. Linguistik
Im Linguistik-Kasten ist angedeutet, daß die Linguistik einerseits eine empirische
Wissenschaft ist; d. h. sie setzt sich mit einem Teil der realen Welt auseinander
und beschäftigt sich nicht bloß mit abstrakten Gedankengebäuden. Sie ist andererseits
aber auch eine theoretische Disziplin, insofern sie ihren Gegenstandsbereich in
der Form von zusammenhängenden Theorien zu beschreiben versucht.
Entsprechend kann zwischen einer empirischen und einer theoretischen Tätigkeit des
Linguisten unterschieden werden (die kleinen Kästchen links und rechts vom "Linguistik-Kasten").
Die empirische Tätigkeit besteht im
- Beobachten und zunächst informellen Beschreiben (von Ausschnitten) des Materialobjektes
(des Phänomens);
- Sammeln von einzelnen Beobachtungsdaten (sprachliche Äußerungen in gesprochener
und geschriebener Form; einzelne Sprachelemente wie Laute, Wörter, Wortgruppen,
mit allen, auch den individuellen Eigenschaften) und Notieren auffälliger Merkmale;
Zusammenstellen des Sprachmaterials in sog. Korpora;
- Überprüfen von Hypothesen am Material
Die Vorgehensweise im Rahmen der empirischen Tätigkeit ist weitgehend induktiv,
d.h. sie geht vom Besonderen zum Allgemeinen. Der Wissenschaftler ordnet und systematisiert
seine Beobachtungen zunächst nach Kriterien, die er in den Daten selbst findet,
z.B. indem er Wörter mit orthographisch gleichen Endungen zu Klassen zusammenfaßt.
In einem weiteren Schritt werden vergleichbare Beobachtungen durch Verallgemeinerung
zu Hypothesen zusammengefaßt.
Die theoretische Tätigkeit besteht in
- der Bildung von verallgemeinerten Hypothesen
- der Zusammenfassung von empirisch bestätigten Hypothesen zu Theorien
Die Vorgehensweise im Rahmen der theoretischen Tätigkeit ist deduktiv, d.h. sie
geht vom Allgemeinen zum Besonderen. Zwar ist die Verallgemeinerung von Beobachtungen
zu (empirischen) Hypothesen über das Phänomen — z. B. Regeln über die Wortstellung
in Sätzen — ein induktiver Schritt. Wenn jedoch nach der Berücksichtigung
relativ weniger Sprachdaten bereits Hypothesen formuliert und systematische Zusammenhänge
konstatiert und postuliert werden, die eigentlich erst zu verifizieren sind, geht
man primär deduktiv vor.
Als Ergebnis solcher Tätigkeiten sollte eine Theorie über das Phänomen entstehen,
in der sowohl die allgemeinen als auch die individuellen, nur einzelnen Elementen
zukommenden Eigenschaften des Materialobjektes systematisch erfaßt sind. Von einer
solchen vollständigen Theorie über die Sprache ist die Linguistik allerdings noch
weit entfernt.
3. Theorie der Linguistik
Die im engeren Sinne linguistischen Tätigkeiten benötigen als Fundament eine Theorie
der Linguistik, die wiederum an der Wissenschaftstheorie orientiert sein muß. Die
Theorie der Linguistik sollte eine allgemeine Methodologie der empirischen Verfahren
und geeignete Prinzipien der Theoriebildung zur Verfügung stellen.
2.2. Linguistik als Erfahrungswissenschaft
Die Linguistik ist eine empirisch-theoretische Wissenschaft. Sie ist eine empirische
Wissenschaft (Erfahrungswissenschaft), insofern Erfahrungen am Objekt Sprache ihre
Basis sind. Sie ist eine theoretische Wissenschaft, insofern sie über die Beschreibung
der äußeren Eigenschaften ihres Objektes hinaus seine allgemeinen Gesetzmäßigkeiten
erfassen will, und dies ist nur über eine Theorie möglich. Das Ziel der Linguistik
wie anderer Wissenschaften ist es, von der Erscheinung ihres Objekts zu seinem Wesen
vorzudringen.
Definition 2.1. Erscheinung
Unter Erscheinung versteht man die "Gesamtheit der äußeren Eigenschaften der
Dinge, Prozesse usw., die uns durch die Sinne, durch die Anschauung, die unmittelbare
Erfahrung gegeben sind." (Klaus/ Buhr 1971, s.v. Erscheinung)
Definition 2.2. Wesen
Unter Wesen versteht man die "Gesamtheit der allgemeinen, invarianten Bestimmungen
[Merkmale] eines Dinges, Prozesses usw., die diesem notwendigerweise zukommen. Das
Wesen ... ist im Gegensatz zur Erscheinung der Sinneserkenntnis nicht unmittelbar
zugänglich." (Klaus/Buhr 1971, s.v. Wesen)
Das Wesen der Dinge manifestiert sich in der Erscheinung und ist nur über die Analyse
der Erscheinung erkennbar.
Den allgemeinen Begriffen Erscheinung und Wesen entsprechend hat Noam Chomsky (Chomsky
1964: 28ff.) in die Linguistik die Begriffe "linguistische Daten" und
"linguistische Fakten" eingeführt. Zur Verdeutlichung des Unterschiedes
ein Beispiel:
Linguistische Daten:
- Die Formen brick, glum, trick und
blue kommen in der englischen Sprache vor (pos. Evidenz).
- Die Formen *bnick, *plam, *tlick,
*dnag, *groth, *clorn *gneam /gni:m/ und *dlop
kommen in der englischen Sprache nicht vor (neg. Evidenz).
Im Englischen existiert die Form brick (= Ziegelstein), die Formen blick
und bnick kommen dagegen nicht vor. Das sind Feststellungen von linguistischen
Daten. Daten umfassen also sowohl die Existenz als auch die Nicht-Existenz von Erscheinungen.
Die Analyse dieser und weiterer Daten zeigt nun, daß generell in Anlautverbindungen
n nur mit s zulässig ist (z.B. snick ‘Kerbe’;
die Verbindungen kn-, gn- werden /n/ gesprochen), daß l nur
in Verbindung mit einem Dental (ausgenommen s) nicht zulässig ist
(*tlick, *dlick, aber slick 'glatt') und daß r
nur in Verbindung mit s nicht zulässig ist (*srick). Läßt man
die Verbindung mit s außer acht, kann man allgemein formulieren:
- n kommt in Anlautverbindungen nicht vor;
- l kommt nur in Anlautverbindungen mit Dental nicht vor.
Das sind Aussagen über linguistische Fakten.
Die Nicht-Existenz von blick und bnick hat also verschiedenen Status;
im Falle von blick ist sie zufällig (blick ist nach den Gesetzmäßigkeiten
der englischen Sprache möglich), im Falle von bnick ist sie systematisch
(bnick ist nach den Gesetzmäßigkeiten des Englischen nicht möglich).
Aussagen über Fakten sind theoretische Aussagen. Inwieweit solche Aussagen das ‘Wesen’
treffen, muß die Praxis erweisen. Daß die Anlautgesetze ‘wesenhafte’
Züge der englischen Sprache beschreiben: zeigt z.B. die Behandlung von Anlautverbindungen
in Fremd- und Kunstwörtern:
- In Fremdwörtern werden Anlautverbindungen, die den Anlautgesetzen widersprechen,
verändert: Fremdwörter mit ps- z.B. (psychology, psalm) werden /s-/
ausgesprochen.
- Es werden nur Kunstwörter mit Anlautverbindungen gebildet, die nach den Anlautgesetzen
zulässig sind.
Hauptaufgabe der deskriptiven Linguistik ist die Beschreibung linguistischer Fakten.
Die Erkenntnis linguistischer Fakten ist nur möglich über die Analyse linguistischer
Daten. Die erste Aufgabe des Linguisten besteht somit in der Sicherung seiner Daten.
Insoweit ist seine Tätigkeit rein empirisch.
Zur Bewertung linguistischen Tuns hat Noam Chomsky Adäquatheitskriterien vorgeschlagen,
für die korrekte Wiedergabe der Daten das Kriterium der Beobachtungsadäquatheit:
Definition 2.3. Beobachtungsadäquat
Eine linguistische Beschreibung, die nur die Daten korrekt wiedergibt, wird beobachtungsadäquat
genannt. (Chomsky 1964: 29)
Die Tätigkeit des Linguisten ist eine theoretische, wenn es um die Erkennung und
Beschreibung linguistischer Fakten geht. Eine Beschreibung, welche die linguistischen
Fakten korrekt darstellt, nennt Chomsky beschreibungsadäquat:
Definition 2.4. Beschreibungsadäquat
Eine linguistische Beschreibung, die die Fakten korrekt wiedergibt und damit die
Daten erklärt, wird beschreibungsadäquat genannt.
2.3. Theorie
In dem zunehmenden Maße, wie die Linguistik versucht, eine exakte Wissenschaft zu
sein, werden Aussagen über ihre Gegenstände in Form von zusammenhängenden Theorien
formuliert.
Definition 2.5. Theorie
Eine Theorie ist ein System von Hypothesen oder eine Menge von solchen Systemen,
die zur Erklärung bestimmter Phänomenenbereiche entwickelt werden.
Definition 2.6. Hypothese
Eine Hypothese ist eine empirische Verallgemeinerung über einer Menge von Beobachtungsdaten.
Wir können zumindest vier Phasen der Theoriebildung unterscheiden.
- Sammlung und Beschreibung von empirischen Daten
- Hypothesenbildung
- Theoriebildung
- Überprüfung
PHASE 1
Beobachtungen über bestimmte Phänomene (Daten) werden gesammelt, beschrieben und
klassifiziert. So können wir z.B. beobachten, daß bestimmte Holzgegenstände in Wasser
schwimmen, während bestimmte (feste) Metallgegenstände untergehen. Zum Zwecke der
Beschreibung und Klassifizierung von Beobachtungsdaten werden Beschreibungssprachen
geschaffen (z.B. das phonetische Alphabet und die Terminologie der artikulatorischen
Phonetik). Das Resultat der Phase 1 ist eine Beschreibung und Klassifizierung einer
Menge von Beobachtungsdaten.
PHASE 2
Auf der Grundlage einer Sammlung von beschriebenen und klassifizierten Beobachtungsdaten
können wir versuchen Hypothesen zu bilden, wobei eine Hypothese eine empirische
Verallgemeinerung über die beobachteten Daten ist. Um bei unserem Beispiel zu bleiben:
Nachdem wir in einer großen Anzahl von Fällen festgestellt haben, daß feste Holzgegenstände
in Wasser schwimmen, während feste Metallgegenstände untergehen, bilden wir die
Hypothesen Alle festen Holzgegenstände schwimmen in Wasser und Alle festen
Metallgegenstände gehen in Wasser unter. Wir sehen jedoch noch keinen Zusammenhang
zwischen diesen Hypothesen.
PHASE 3
Das grundlegende Ziel der Theoriebildung ist es, verschiedene Hypothesen durch allgemeine
Prinzipien miteinander in Beziehung zu setzen, und so eine Erklärung für die gemachten
Beobachtungen zu erhalten. Diese zur Erklärung herangezogenen Prinzipien werden
theoretische Konstrukte genannt. In unserem Beispiel wird das unterschiedliche Verhalten
von hölzernen und metallischen Gegenständen durch das gleiche allgemeine Prinzip,
das wir Spezifisches gewicht nennen, erklärt. Das spezifische Gewicht ist die relative
Dichte einer Substanz, d.h. das Verhältnis der Dichte einer Substanz und der einer
Vergleichssubstanz (normalerweise Wasser). Mit dem Begriff (theoretischen Konstrukt)
des spezifischen Gewichtes können nun die beiden Hypothesen
- Alle Holzgegenstände schwimmen in Wasser
- Alle festen Metallgegenstände gehen in Wasser unter
auf sehr allgemeine Weise miteinander in Beziehung gebracht werden: Alle festen
Körper, deren spezifisches Gewicht kleiner ist als das einer bestimmten Flüssigkeit,
schwimmen in dieser Flüssigkeit.
PHASE 4
Die Überprüfung von Theorien. Theorien werden überprüft, indem man sie zu falsifizieren
versucht. Der Wissenschaftler versucht Fälle zu finden, die durch die Theorie nicht
erklärt werden oder im Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie stehen. Eine Theorie
ist gültig, solange sie nicht falsifiziert worden ist. In unserem Beispiel kann
die Hypothese, daß alle festen Metallgegenstände in Wasser untergehen, durch die
Beobachtung falsifiziert werden, daß Natrium in Wasser schwimmt. Es handelt sich
hier jedoch um eine Falsifizierung der ursprünglichen Hypothese "alle Metallgegenstände
gehen unter", aber nicht der Theorie. Denn mit dem theoretischen Konstrukt
des spezifischen Gewichts wird auch das Verhalten von Natrium erklärt, dessen spezifisches
Gewicht (0.97) kleiner als das von Wasser (1.00) ist.
2.4. Grundbegriffe der Modellbildung
Sehr häufig wird in neuerer Zeit für Theorie im oben definierten Sinne die Bezeichnung
Modell verwendet und statt von Theoriebildung spricht man entsprechend von Modellbildung.
In den folgenden Abschnitten sollen die wichtigsten Grundbegriffe der Modellbildung
dargelegt werden.
2.4.1. Der Modellbegriff
Wie viele andere für uns relevante Wörter der Alltagssprache auch wird das Wort
Modell in unterschiedlichen Kontexten mit ganz unterschiedlicher Bedeutung
verwendet.
Journalisten sprechen vom Modellweltkrieg und meinen die Fußballweltmeisterschaft.
Werbeagenten formulieren: Unsere Reisen sind Modelle des gesunden Urlaubs.
Kulturpolitiker sprechen vom Modell der Einheitsschule und vom Modell der
Gesamtschule, Wahlredner von Modellen für die siebziger Jahre, ein
politischer Kommentator vom Schröder-Modell der Gewaltenteilung und hessische
Kommunalpolitiker vom neuen Modell für die Raumplanung, Theologen sprechen
vom Modell einer ökomenischen Kirche, Mediziner erarbeiten Therapienmodelle
für Drogenabhängige und eine Zeitschrift nennt sich Modelle für eine neue Welt.
Darüber hinaus gibt es eine Fülle von standardsprachlichen Zusammensetzungen, in
denen das Wort Modell vorkommt; nur einige Beispiele: Modelleisenbahn, Modellplanung,
Modellcharakter, Modellbau, Flugzeugmodell, Modellexperiment, Modellkleid, Modellpappe,
Schichtenmodell und Klassenmodell der Gesellschaft, Modellhaftigkeit, modellartig,
Photomodell und Studienmodell. Auch ist es üblich geworden, die
verschiedensten kulturellen, sozialen und politischen Programme als Modell zu
bezeichnen und einen kennzeichnenden Ortsnamen hinzuzufügen; ein bekanntes Beispiel
ist Honnefer Modell. (Wiegand 1974:90)
Wir stehen hier also vor einem ähnlichen Problem wie bei der Analyse des Wortes
Sprache. Die folgendende Definition des Modellbegriff ist allgemein genug,
um eine Reihe verschiedener Verwendungsweisen zusammenzufassen.
Definition 2.7. Modell
Ein Modell ist ein Objekt (ein Gegenstand, ein materielles oder symbolisches System),
das auf der Grundlage einer Struktur-, Funktions- oder Verhaltensanalogie zu einem
entsprechenden Original von einem Subjekt (z.B. einem Menschen) eingesetzt und genutzt
wird, um eine bestimmte Aufgabe lösen zu können, deren Durchführung mittels direkter
Operationen am Original zunächst oder überhaupt nicht möglich bzw. unter gegebenen
Bedingungen zu aufwendig ist.
Die Funktion des Modells ergibt sich im Rahmen eines aus Subjekt (S), Original (O)
und Modell (M) bestehenden Modellsystems in Abhängigkeit von der gegebenen Zielstellung
des Subjekts (z.B. den Erkenntnisinteressen eines Forschers)...
(nach Klaus/Buhr 1971, s.v. Modell).
Als Modelle können sowohl materielle (natürliche oder technische) Objekte als auch
Zeichensysteme auftreten. Natürliche Modelle sind z.B. Versuchstiere in der medizinischen
Forschung und Ausbildung. Eine künstliche Niere ist ein technisches Modell für eine
echte Niere. Eine mathematische Formel wie
, ist ein
Zeichenmodell für den Zusammenhang zwischen Stromstärke I, Spannung U
und Widerstand R in einem Stromkreis, d.h. für einen physikalischen Prozeß.
Damit ein Objekt, egal ob materiell oder ideell, als Modell für ein Original dienen
kann, muß es Ähnlichkeiten (Analogien) mit dem Original aufweisen. Diese Analogien
betreffen entweder die Struktur, die Funktion oder das Verhalten
des Originals. Man kann entsprechend zwischen Struktur-, Funktions- und Verhaltensmodellen
unterscheiden.
Abb. 2.2. Schematische Darstellung des Modellsystems
Strukturmodelle
Für ein Strukturmodell ist charakteristisch, daß es das Original unter dem Aspekt
seiner Struktur betrachtet. Unter Struktur wird hier allgemein eine Menge von Beziehungen
(Relationen) zwischen den Elementen eines Systems verstanden. Als Beispiel möge
ein Stadtplan dienen, der Modell für einen Wirklichkeitsausschnitt ist.
Abb. 2.3. Stadplan als Strukturmodell
Die Elemente, die hier im Modell repräsentiert sind, sind Objekte wie Gebäude und
Straßen, die dem Benutzer zur Orientierung in der Wirklichkeit dienen können. Dabei
bleibt eine Menge von Informationen unberücksichtigt: es wird von der genauen stofflichen
Beschaffenheit dieser Objekte abstrahiert, sie werden nur zweidimensional dargestellt,
ihre absolute Größe wird relativiert. Das Modell ist ein Zeichenmodell, das das
Original graphisch abbildet. Was bei dieser graphischen Abbildung erhalten bleiben
muß, ist die relative geographische Lage der Objekte, wobei Relationen wie nördlich
von, westlich von, südlich von etc. im Original im Modell durch oberhalb von,
links von, unterhalb von etc. ersetzt werden.
Funktionsmodelle
Abb. 2.4. Funktionsmodell
Klassifikation von Modellen:
- Nach dem Analogieinhalt: Struktur-, Funktions- oder Verhaltensmodelle
- Nach der Modellfunktion:
- Erkenntnisgewinnung: gesucht werden neue Informationen über das Original. Das Studium
des Modells liefert zunächst neue Erkenntnisse über das Modell, aus denen durch
Analogieschluß hypothetisch auf entsprechende Eigenschaften des Originals geschlossen
wird. Beispiel: Tierexperimente in der Medizin
- Erklärung und Demonstration: Demonstrationsmodelle; Fallbeispiele
- Projektierung: Konstruktionszeichnungen, Architekturmodelle, virtual reality
- Steuerung:
- Ersatzfunktion: künstliche Gliedmaßen oder Organe; Herz-Lungen-Maschine
2.4.2. Modellmethode
Definition 2.8. Modellmethode
Methode, mit deren Hilfe ein Subjekt einen bestimmten Typ von Aufgaben löst, indem
es ein Modell als analogen Repräsentanten bestimmter Eigenschaften des Originals
zweckentsprechend herstellt und im wesentlichen zur Informationsgewinnung über das
Original benutzt. (Klaus/Buhr 1971: s.v. Modellmethode)
Abb. 2.5. Schema eines Modells für
Erkenntnisgewinnung in drei Phasen
Phasen der Modellkonstruktion (nach Klaus/Buhr 1971: s.v. Modellmethode):
- Auswahl oder Herstellung eines zweckentsprechenden Modells, ausgehend von der gegebenen
Aufgabe, den Eigenschaften des Originals und den Bedingungen der Situation;
- Bearbeitung des Modells zwecks Gewinnung von zusätzlichen Informationen über das
Modell, insbesondere Modellexperiment;
- Analogieschluß oder andersartige Ableitung von Informationen über das Original,
ausgehend von 2. und vom Inhalt der gegebenen Modellrelation;
- Durchführung der Aufgabe direkt gegenüber dem Original durch Nutzung der Ergebnisse
von 3. zugleich als ihre Verifizierung und als Entscheidungsgrundlage über die gegebenenfalls
zyklische Fortsetzung des Prozesses mit 1. in Richtung schrittweiser verbesserter
Modellvarianten.
Dieser Teil ist in Arbeit
2.5 Wissenschaftssprache
Eine Theorie muß sprachlich ausgedrückt werden.
Definition 2.9. Wissenschaftssprache
Die Gesamtheit der sprachlichen Mittel einer Wissenschaft mit den Regeln für deren
Gebrauch nennt man Wissenschaftssprache.
Die Grundlage einer Wissenschaftssprache ist immer die Alltagssprache. Gerade die
Eigenschaften der Alltagssprache, die ihre Flexibilität als Kommunikationsmittel
ausmachen, machen sie als Wissenschaftssprache jedoch ungeeignet: Wie wir bereits
mehrfach gesehen haben, sind viele Wörter der Alltagssprache mehrdeutig, ihre Bedeutung
ist oft unscharf; die Alltagssprache enthält Synonyme etc. Die Begriffe der Wissenschaftssprache
müssen jedoch eindeutig und genau sein. Die Wissenschaftssprache versucht diese
Nachteile der Alltagssprache zu überwinden, indem sie eine spezielle Terminologie
verwendet, die für die jeweilige Wissenschaft genau definierte Begriffe bezeichnet.
Durch eine solche Terminologie wird neben der Eindeutigkeit auch eine kürzere und
damit übersichtlichere Ausdrucksweise möglich.
2.5.2. Theoretische und metatheoretische Begriffe
Definition 2.10. Theoretische Begriffe
Begriffe, die sich auf den von einer Theorie beschriebenen Gegenstand beziehen,
und die somit unmittelbare Bestandteil der Theorie sind, werden theoretische Begriffe
genannt.
Theoretische Begriffe der Sprachtheorie sind z.B.: Satz, Wort, Relativpronomen, Phonem
etc. Daneben sind auch Begriffe erforderlich, die Eigenschaften der Theorie selbst
erfassen, mit denen man also über Theorien spricht.
Definition 2.11. Metatheoretische Begriffe
Begriffe mit denen man über Eigenschaften von Theorien spricht werden metatheoretische
Begriffe genannt.
Metatheoretische Begriffe der Sprachtheorie sind z.B.: Transformationsregel, Strukturbeschreibung,
Regelschema, Symbolkette, grammatische Kategorie etc.
Die Wissenschaftssprache ist die Sprache, mit der eine Wissenschaft über ihre Gegenstände
spricht. Betrachten wir zunächst die Verwendung der Wissenschaftssprache durch den
Nicht-Linguisten. Der Chemiker, z.B., verwendet Sprache um über Gegenstände zu sprechen,
die keine Sprache sind. Die Sprache, die er dazu verwendet, unterscheidet sich jedoch
von der Alltagssprache. Es ist eine besondere Sprache mit einem speziellen Vokabular,
einer Terminologie. Es ist ein Teil der Sprache, die wir Wissenschaftssprache genannt
haben. Nehmen wir folgendes Beispiel:
(2.1.) Natriumchlorid ist ein Salz
Natriumchlorid ist ein chemischer Terminus, den wir in der Alltagssprache
nicht verwenden. In einem Spezialwörterbuch würden wir als Bedeutung ‘Salz’
finden. Was passiert jedoch, wenn wir im Beispiel Natriumchlorid durch Salz
ersetzen?
(2.2.) Salz ist ein Salz.
Das ist etwas seltsam. Für den Chemiker hat das Wort Salz eine besondere
und allgemeinere Bedeutung.
(2.3.) Salz ist eine Substanz, die durch die Reaktion einer Säure mit einer Base
entsteht.
Noch genauer könnte diese Aussage wie folgt formuliert werden:
(2.4.) In der Chemie wird das Wort Salz zur Bezeichnung jeder Substanz verwendet,
die durch die Reaktion einer Säure mit einer Base entsteht.
Damit sollte deutlich geworden sein, daß auch der Nichtlinguist Sprache in zweierlei
Funktionen verwendet. Er verwendet Sprache, um über Gegenstände zu sprechen, die
selbst nicht Sprache sind. Die Sprache, die er zu diesem Zweck verwendet, wird Objektsprache
genannt.
Definition 2.12. Objektsprache
Der Teil der Wissenschaftssprache, mit der man über nicht-sprachliche Gegenstände
einer Wissenschaft spricht, wird Objektsprache genannt.
Der Wissenschaftler verwendet Sprache jedoch auch, um über Sprache zu sprechen,
z.B. über die Objektsprache seiner Wissenschaft. Das kann notwendig sein, um z.B.
die Bedeutung eines bestimmten Terminus zu definieren, wie im obigen Beispiel.
Abb. 2.6. Objektsprache und Metasprachen
Definition 2.13. Metasprache
Jede Sprache, mit der über eine Sprache gesprochen wird, ist eine METASPRACHE
Da eine Metasprache selbst wieder eine Sprache ist, kann man sich auch eine Metasprache
zu dieser Sprache vorstellen, eine Meta-Metasprache, so daß wir eine ganze Hierarchie
mit mehreren metasprachlichen Ebenen erhalten:
Die Wissenschaftssprache der Linguistik ist daher immer schon eine Metasprache.
Wenn wir sagen: Peter hat zwei Silben, wollen wir nicht über irgendeine Person
sprechen, sondern über das Wort Peter. Es handelt sich also um einen metasprachlichen
Ausdruck. Das Wort Silbe bezeichnet einen theoretischen Begriff und ist ebenfalls
ein metasprachlicher Ausdruck. Die Alltagssprache wird normalerweise verwendet,
um über nichtsprachliche Gegenstände zu sprechen und fungiert dann als Objektsprache.
Sie kann jedoch auch reflexiv, d.h. auf sich selbst bezogen, verwendet werden und
fungiert dann als Metasprache. In der Alltagssprache kommen also sowohl objektsprachliche
als auch metasprachliche Ausdrücke vor. Der Ausdruck Dieses Wort möchte ich nicht
noch einmal hören ist sicher ein Ausdruck der Alltagssprache. Gleichzeitig
ist das Wort Wort ein metasprachlicher Ausdruck. Um dieser besonderen Situation
gerecht zu werden, soll der Begriff Linguistischen Objektsprache eingeführt werden:
Definition 2.14. Linguistische Objektsprache
In der Linguistik bezeichnet der Begriff Objektsprache eine natürliche Sprache,
wenn sie selbst Gegenstand der Untersuchung ist. Die linguistische Objektsprache
ist reflexiv, d.h. sie kann metasprachliche Ausdrücke enthalten.
Man vergleiche die folgenden Beispiele:
(2.5.)
(a) Klaus ist ein Trottel
(b) Klaus ist ein Nomen
(c) Klaus ist einsilbig
(2.6.)
(a) Sätze bestehen aus Wörtern
(b) Sätze besteht aus 5 Buchstaben
(2.7.) Was Klaus zu dem Mann im Garten gesagt hat ist zweideutig.
Der Satz Klaus ist ein Narr ist ein normaler objektsprachlicher Ausdruck,
mit dem eine Aussage über eine Person namens Klaus gemacht wird. Der Satz Klaus ist
ein Nomen hingegen macht nur Sinn, wenn Klaus sich nicht auf irgendein
Individuum bezieht, sondern auf das Wort Klaus selbst. Es handelt sich um
eine metalinguistische Aussage über das deutsche Wort Klaus als Wort. Man
kann auch sagen, daß im ersten Fall das Wort Klaus 'gebraucht, wird während
es im zweiten Fall 'erwähnt, wird. Wird ein Ausdruck erwähnt, fungiert er als
Name für sich selbst.
Definition 2.15. Name
Ein NAME ist ein metasprachlicher Ausdruck, der sich auf einen sprachlichen Ausdruck
bezieht, z.B. um darüber eine linguistische Aussage zu machen.
Der unterschiedliche Status von Klaus in den beiden Sätzen kann durch typographische
Konventionen wie Anführungszeichen oder Kursivschrift verdeutlicht werden:
(2.8.) Klaus ist ein Nomen. vs.
‘Klaus’ ist ein Nomen.
Erwähnung kann rekursiv sein.
(1.26.) Das Subjekt von ‘Klaus’ ist ein Nomen ist "Klaus".
Das Wort Nomen ist ebenfalls ein metalinguistischer Ausdruck. Es ist ein
Fachterminus, der einen theoretischen Begriff bezeichnet.
Definition 2.16. Linguistischer Terminus
Ein linguistischer Terminus ist ein metasprachlicher Ausdruck, dem ein linguistischer
Allgemeinbegriff durch Definition fest zugeordnet ist.
Der jeweilige begriffliche Inhalt linguistischer Termini muß möglichst genau festgelegt
werden. Dies kann durch Definitionen geschehen, durch welche die einzelnen Begriffe
voneinander abgegrenzt werden. Die einzelnen Begriffe erhalten so einen festen Stellenwert
im Rahmen eines zusammenhängenden Begriffssystems.
Definition 2.17. Definition
Unter einer Definition versteht man die genaue Abgrenzung eines Begriffes innerhalb
eines größeren Zusammenhanges unter Verwendung anderer Begriffe (explizite Definition).
Definition 2.18. Definiendum
Definition 2.19. Definiens
Der Begriff oder Begriffskomplex, durch den ein Begriff (das Definiendum) definiert
wird, heißt Definiens (lat. ‘das, was definiert’).
Im weiteren Verlauf dieses Textes sind die meisten Definitionen nach diesem Schema
aufgebaut:
Abb. 2.7. Definition
Ein solches System besteht zunächst aus einer Reihe von Grundbegriffen, die nicht
explizit definiert werden können, sondern entweder durch ihre Stellung im Gesamtsystem
implizit definiert sind, oder im Rahmen einer anderen Theorie definiert werden.
Alle anderen Begriffe werden aus den Grundbegriffen durch Definition abgeleitet.
Ein typisches Beispiel für dieses Verfahren ist Bloomfields Artikel ‘A Set
of Postulates...’ (1926) Dort wird beispielsweise Sprechakt als Grundbegriff
vorausgesetzt und als Äusserung bezeichnet:
Definition 2.20. Äußerung
Ein Sprechakt ist eine Äusserung.
Ein weiterer Grundbegriff ist gleich, der zusammen mit dem Terminus Äusserung zur
Definition von Sprachgemeinschaft herangezogen wird:
Definition 2.21. Sprachgemeinschaft
Innerhalb bestimmter Gemeinschaften sind aufeinander folgende Äußerungen gleich
oder teilweise gleich. Eine solche Gemeinschaft ist eine Sprachgemeinschaft.
Nachdem nun auf diese Weise Äusserung und Sprachgemeinschaft definiert ist, definiert
Bloomfield Sprache wie folgt:
Definition 2.22. Sprache
Die Gesamtheit der Äußerungen, die in einer Sprachgemeinschaft gemacht werden können,
bildet die Sprache dieser Sprachgemeinschaft.
2.5.4. Beschreibungssprache
In Definition 2.9. wurde Wissenschaftssprache definiert als die Gesamtheit der sprachlichen
Mittel einer Wissenschaft. Unter diesen Mitteln ist eine Teilmenge besonders wichtig,
nämlich die sprachlichen Mittel, mit denen die Theorien formuliert werden. Dieser
Teil einer Wissenschaftssprache soll Beschreibungssprache genannt werden.
Abb. 2.8.
Gary Larson The far side.