Kapitel 6: Morphologie

6.1 Die Syntax der Wörter

In den bisherigen Kapiteln (Semiotik, Syntax, Semantik) haben wir Wörter als nicht weiter analysierbare, ganzheitliche sprachliche Zeichen betrachtet, in denen ein Ausdruck durch eine Symbolisierungsrelation mit einem Inhalt assoziiert ist: sym(Ai, Ij), z.B. sym(cut, ‘cut’), wobei ‘cut’ ein Name für eine möglicherweise komplexe Inhaltsstruktur ist.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß Wörter nicht die kleinsten sprachlichen Zeichen sind, sondern häufig aus kleineren, zeichenartigen Elementen zusammengesetzt sind. Dies ist besonders deutlich erkennbar bei Wörtern wie boyfriend, teaspoon, deren Bestandteile auch eigenständig als Wörter vorkommen: boy, friend, tea, spoon. Problematischer sind Wörter wie einerseits finger und andererseits singer. Während finger nicht in kleinere Zeicheneinheiten zerlegt werden kann, besteht singer offensichtlich aus den Bestandteilen sing und -er, die auch in anderen Wörtern wie singing oder finder [faində] vorkommen. Dieser unterschiedliche Status von finger und singer manifestiert sich auch in der Aussprache, insofern die Buchstabenfolge <ng> im einen Falle als [ŋg] gesprochen wird, im anderen nur als [ŋ]: [fiŋgə] vs. [siŋə].

Sehen wir uns dazu weiterhin die englischen Formen sings, singing, singer, singable an. Diese Formen sind teilweise gleich, insofern sie alle sing enthalten, eine Form, die auch selbständig in (to) sing vorkommt. Man wird auch sagen, daß diese Formen sich in ihrer Bedeutung gleichen. Die verbleibenden Teile -s, -ing, -er, -able kommen auch in anderen Wörtern mit ähnlicher Bedeutung vor, d.h. es gelten Proportionen wie in Abb. 6.2.

Diese Beispiele zeigen, daß die Wörter einer Sprache aus kleineren bedeutungshaltigen Einheiten aufgebaut sein können. Die kleinsten bedeutungshaltigen Einheiten einer Sprache werden Morpheme genannt. Dieser Terminus ist von dem griechischen Wort μορφη [morfe:] ‘Gestalt, Form’ abgeleitet. Ein einzelnes Wort kann aus einem oder mehreren Morphemen bestehen (vgl. Abb. 6.).

Dabei sind die Morpheme nicht bloß linear aneinandergereiht, wie man am Beispiel gentlemanliness verdeutlichen kann. Den Ausgangspunkt bildet das Wort [man]N, ein Nomen, das sich mit dem Adjektiv gentle zu einem neuen Nomen verbindet: [[gentle]A[man]N]N. Das Morphem -ly, dient dazu, aus Substantiven Adjektive zu machen, hier: [[[gentle]A[man]N]N ly]A. Daraus kann wiederum mithilfe des "Suffixes" -ness ein Nomen abgeleitet werden: [[[[gentle]A[man]N]N li]A ness]N. Wörter weisen also wie Sätze eine hierarchische Strukur auf, was noch deutlicher wird, wenn man sie als Baumdiagramm darstellt.

1 Morphem

boy

desire

2 Morpheme

boy + ish

desire + able

3 Morpheme

boy + ish + ness

derire + able + ity

4 Morpheme

gentle + man + li + ness

un + desire + able + ity

mehr als vier Morpheme

un + gentle + man + li + ness

anti + dis + establish + ment + ari + an + ism

Die Untersuchung solcher Strukturen ist, semiotisch betrachtet, Gegenstand der Syntaktik. Man könnte also von einer "Syntax der Wörter" sprechen. Der Teil der Linguistik, der die Struktur oder Form von Wörtern untersucht, heißt Morphologie. In den folgenden Abschnitten werden wir die wichtigsten Grundbegriffe der Morphologie unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen und Englischen diskutieren.

6.2 Wörter und Lexeme

Wir wollen mit einer Präzisierung des Wortbegriffes beginnen. Wort ist ein Ausdruck der Alltagssprache. Betrachten wir die folgende metalinguistische Aussage über das Englische:

(6.1.) Die Wörter find und found sind verschiedene Formen des gleichen Wortes.

Offensichtlich werden hier die Ausdrücke Wörter und Wort in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet (mal abgesehen vom Gegensatz Plural vs. Singular). Der Ausdruck Wörter wird im Sinne von Wortform verwendet, der Ausdruck Wort bezeichnet eine Klasse von Wortformen, die in einem gewissen Sinne äquivalent sind. Die Ausdrücke find und found (ebenso died ~ dies, tooth ~ teeth etc.) sind verschiedene Wörter in der ersten Bedeutung (Wort = Wortform), gleichzeitig sind sie jedoch verschiedene Formen des gleichen Wortes ‘find’ (bzw. ‘die’, ‘tooth’) in der zweiten Bedeutung. Um diese verschiedenen Bedeutungen von Wort konsequent auseinander halten zu können, ist es sinnvoll eine terminologische und typographische Unterscheidung zu treffen.

Definition 6.1. Wort

Von nun an soll der Terminus Wort zur Bezeichnung einzelner Wortformen verwendet werden. Wortformen werden durch Kursivschrift gekennzeichnet: find, found.

Für die zweite Bedeutung führen wir den terminus technicus Lexem ein.

Definition 6.0. Lexem

Ein Lexem ist eine Klasse lexikalisch äquivalenter Wortformen, die es in verschiedenen Umgebungen repräsentieren. Falls erforderlich können Lexeme typographisch durch Fettschrift gekennzeichnet werden: find, die, tooth.

Somit können wir jetzt Aussagen machen wie: Das Wort found ist das Präteritum von find; der Plural von tooth ist teeth; der Singular von mouse ist mouse etc.

Das Lexem ist die grundlegende Einheit des Vokabulars oder Lexikons einer Sprache.

Definition 6.1. Lexikon

Das Lexikon einer Sprache ist die Menge der Lexeme dieser Sprache.

Das Lexem ist eine abstrakte Einheit, die durch die invarianten Eigenschaften der Menge der Wörter definiert ist, die es repräsentiert. Wenn wir von den Eigenschaften eines Lexems sprechen, handelt es sich gewöhnlich um Merkmale der syntaktischen Klassifikation (z.B. das Lexem find ist ein Verb) oder der Bedeutung (z.B. old ist in einer Bedeutung das Gegenteil von young, in einer zweiten Bedeutung das Gegenteil von new).

Damit stellt sich auch die Frage, wie denn Lexeme zu repräsentieren seien. Eine sehr verbreitete Möglichkeit besteht darin, eine der Wortformen, die das Lexem insgesamt ausmachen, zur Repräsentation dieses Lexems zu heranzuziehen. Diese Darstellungskonventionen nennt man Zitierformen oder Nennform.

Definition 6.2. Zitierform

Unter der Zitierform (oder Nennform) eines Lexems verstehen wir die Form des Lexems, die konventionellerweise verwendet wird, um sich darauf in den Standardwörterbüchern und Grammatiken zu beziehen.

Die meisten Sprachen kennen gewisse Konventionen für die Darstellung der Lexeme ihres Lexikons. Zum Beispiel ist die Zitierform (Nennform) des Verbs im Lateinischen die Erste Person Singular Indikativ Präsens und nicht der Infinitiv (amo vs. amare), welche Form im Deutschen (singen), Französischen (aimer), und Italienischen (amare) verwendet wird. Im Englischen ist es der bloße Stamm love.

Im allgemeinen werden Nennformen von Lexemen so gewählt, daß sich die übrigen Wortformen daraus am einfachsten ableiten lassen.

Im Deutschen ist die Nennform des Nomens der Nominativ Singular, beim Adjektiv ist es die unflektierte Form: klein.

6.3 Das Morphem

Wir haben in den vorausgegangenen Abschnitten bereits mehrfach den Terminus Morphem verwendet, ohne ihn genauer zu bestimmen. Das Morphem ist die grundlegende Einheit der Morphologie und der Begriff soll in den folgenden Abschnitten etwas genauer definiert werden. Dabei werden weitere begriffliche Unterscheidungen getroffen.

Morpheme sind wie die Phoneme abstrakte Einheiten, die in der Rede durch diskrete, d.h. voneinander deutliche abgrenzbare, Einheiten realisiert werden, und zwar in der mündlichen Sprache als Phonemfolgen, in der schriftlichen als Graphemfolgen. Diese Repräsentationseinheiten werden Morphe genannt.

Definition 6.3. Morph

Morphe sind Phonem- (oder Graphem-) Sequenzen, die ein Morphem in bestimmten Umgebungen repräsentieren.

Definition 6.4. Morphem

Ein Morphem ist die kleinste bedeutungstragende Einheit einer Sprache, die nicht weiter in kleinere bedeutungstragende Einheiten zerlegt werden kann, ohne daß die Bedeutung dieser Einheit zerstört wird. Das Morphem ist eine Klasse äquivalenter Morphe.

Die meisten Morpheme des Englischen werden durch jeweils ein einziges Morph repräsentiert: kick /kik/, bad /bæd/ etc. Einige Morpheme werden jedoch durch mehr als ein Morph repräsentiert, je nach ihrer Position in einem Wort oder Satz. So hat das Pluralmorphem des Englischen, das orthographisch durch -(e)s dargestellt wird (z.B. in cats, dogs, und forces), die Varianten /s/, /z/, bzw. /iz/ (in phonologischer Umschrift). Diese Varianten repräsentieren in ihrer Gesamheit das englische Pluralmorphem. Wir können das so ausdrücken: sym({/s/, /z/, /iz/}, Plural). Derartige Varianten heißen Morphemvarianten oder Allomorphe:

Definition 6.5. Allomorph

Allomorphe sind alternative Realisierungen eines Morphems in bestimmten Umgebungen.

/s/

/z/

/iz/

lips

/lip-s/

jobs

ʤɔb-z/

forces

/fɔ:s-iz/

cats

/kæt-s/

hands

/hænd-z/

buzzes

/bʌz-iz/

locks

/lɔk-s/

dogs

/dɔg-z/

dishes

/diʃ-iz/

   

days

/dei-z/

witches

/wiʧ-iz/

   

bees

/bi:-z/

bridges

/briʤ-iz/

Abb. 6.5. Allomorphe des Plurals

Woher kommen diese Varianten? Sehen wir uns dazu einige Beispiele an (Abb. 6.6.).Bei genauerer Betrachtung stellen wir fest, daß die Distribution der Allomorphe des Pluralmorphems vom jeweiligen Auslaut des Stammes abhängt. Genauer, das Allomorph /iz/ wird verwendet, wenn der Stamm auf einen Sibilanten (‘Zischlaut’, d.h. eines der Phoneme /s, z, ʃ, ʒ, ʧ, ʤ/) endet — wie in forces, buzzes, dishes, bridges etc. —; das Allomorph /s/ steht nach stimmlosen Nicht-Sibilanten (lips, cats, locks), und die Variante /z/ in allen anderen Umgebungen (dogs, days, bees), d.h. nach stimmhaften Nicht-Sibilanten (/b, d, g, v, ð, .../) oder Vokalen und Diphthongen (/æ, ɛ, ɪ, ɔ, ʊ, ɑ, ʌ/ bzw. /eɪ, ɔɪ, aʊ, aɪ/). Die Allomorphe des Plurals sind phonologisch determiniert.

Definition 6.6. Phonologisch determinierte Allomorphe

Phonologisch determinierte Allomorphe eines Morphems sind phonemisch verschiedene Allomorphe, deren Vorkommen von der phonologischen Umgebung abhängig ist.

Die Allomorphe {/s/, /z/, /iz/} sind nicht gegenseitig austauschbar, sie ergänzen sich gegenseitig: wo das eine Allomorph nicht stehen kann, erscheint das andere. Man nennt diese Verteilung komplementär.

Definition 6.7. Komplementäre Distribution

Funktional äquivalente Einheiten (z.B. bedeutungsgleiche Einheiten), die sich im gleichen Kontext gegenseitig ausschließen, sich in ihrem Vorkommen insgesamt aber gegenseitig ergänzen, sind komplementär verteilt.

[Morphologisch bedingte Allomorphe]

Wenn ein Morphem aus mehreren Allomorphen besteht, stellt sich ähnlich wie beim Begriff Lexem als Klasse äquivalenter Wortformen die Frage, wie es zu repräsentieren sei. Zunächst ist es üblich, Morpheme als Mengen von Allomorphen durch eine Mengenklammer darzustellen: {/s/, /z/, /iz/}.

Man kann versuchen, eine Grundform zu finden, aus der sich die anderen Formen durch allgemeine Regeln ableiten lassen. Diese Grundform muß nicht mit einem der Allomorphe übereinstimmen, sie kann abstrakt sein.

Beispiele:

Beim Pluralmorphem kann die Variante /z/ als die am wenigsten restringierte zur Grundlage gemacht werden.

Regeln:

1. Endet der Stamm auf einen Sibilanten, wird zwischen Stamm und /z/ ein /i/ eingeschoben.

2. /z/ wird durch /s/ ersetzt, wenn der Stamm auf einen stimmlosen Konsonanten endet.

Diese Regeln erklären unter Berücksichtigung der Reihenfolge die Varianten des Pluralmorphems.

Morphemtypen

Im Deutschen und Englischen können viele Morpheme selbständig als Wörter verwendet werden. Solche Morpheme heißen frei.

Definition 6.8. Freie Morpheme

Morpheme, die selbständig als Wörter vorkommen können heißen freie Morpheme.

Haus, Hund, Wiese, Katze, Baum bzw. boy, book, sing etc. sind freie Morpheme.

Definition 6.9. Gebundene Morpheme

Morpheme, die nicht als selbständige Wörter vorkommen können, heißen gebundene Morpheme

Das Wort unselfish z.B. besteht aus den drei Morphemen un, self, und ish, wovon self ein freies Morphem ist, und un und ish gebundene Morpheme.

In manchen Sprachen gibt es formbildende Elemente, die nicht den Status von Morphen (bzw. Morphemen) haben (sie haben keine identifizierbare Bedeutung), die andererseits aber auch nicht nur als phonologische Erscheinungen behandelt werden können. Dies gilt beispielsweise für die sog. Fugenelemente bei der Bildung von zusammengesetzten Wörtern im Deutschen wie Krankheit-s-zeichen, Liebe-s-lied, Universität-s-bibliothek, Auge-n-braue, Schwan-en-hals. Diese Fugenelemente sind zwar historisch aus Flexionsmorphemen von Substantiven hervorgegangen, haben jedoch keine identifizierbare Bedeutung mehr.

Ein ähnliches Problem liegt im Englischen in Wörtern wie deceive, (mis-, pre-)conceive, (ap-)perceive, receive vor. Die Tatsache, daß die "Vorsilben" de-, con-, per-, re- in vielen anderen englischen Wörtern romanischen Ursprungs vorkommen, legt eine Segmentierung in de-ceive, con-ceive, per-ceive, re-ceive nahe. Das Element -ceive verhält sich wie ein Morphem, es kann ihm aber keine eindeutige Bedeutung zugeordnet werden. Es handelt sich um "Pseudomorpheme" oder Formative.

Definition 6.10. Formativ

Als Formative sollen hier formbildende Elemente bezeichnet werden, unabhängig davon, ob sie Morphe sind (d.h. bedeutungshaltig sind) oder nicht.

Morphophonologie

Wenn Morpheme miteinander kombiniert werden, können an den Verbindungsstellen eine Reihe von Veränderungen eintreten. Der traditionelle Oberbegriff für diese Art von Veränderungen an Kontaktstellen (Morphem oder Wortgrenzen) ist Sandhi.

Definition 6.11. Sandhi

Mit Sandhi bezeichnet man phonologische Veränderungen an grammatischen Formen (Morphemen, Wörtern), die bei ihrer Verknüpfung auftreten. Man kann zwischen internem (an Morphemgrenzen in Wörtern) und externem (an Wortgrenzen) Sandhi unterscheiden.

Wir haben bereits gesehen, daß die phonologische Form eines Stammes die Auswahl eines bestimmten Allomorphs determinieren kann. Umgekehrt kann die phonologische Gestalt des Stammes sich ändern, wenn ein bestimmtes Morphem angefügt wird. Wenn z.B. das Pluralmorphem an den Stamm wife angefügt wird, wird das stimmlose /f/ durch das stimmhafte /v/ ersetzt: wife + s → wives. Ähnlich bei {/haus/}+{/iz/} → {/hauziz/}.

Ein bekanntes Beispiel für externes Sandhi ist die liaison im Französischen. Ein Wort wie grand hat drei Allomorphe, /grã/, /grãd/ und /grãt/, wobei ersteres gewählt wird, wenn kein Vokal folgt. Die zweite Form erscheint im Wortinneren vor einem Vokal, z.B. grande femme /grãdə fam[ə]/, die letzte am Wortende vor vokalischem Anlaut des nächsten Wortes: grand homme /grãtɔm/.

Definition 6.12. Morphophonologie

Die Untersuchung der Wechselwirkung zwischen Morphologie und Phonologie (z.B. bei Sandhiformen) ist Gegenstand der Morphophonologie (engl. morphophonemics).

6.4 Flexionsmorphologie und lexikalische Morphologie

Es ist offensichtlich, daß die Wörter generate und generation in enger formaler Beziehung zueinander stehen und gewisse Bedeutungsmerkmale gemeinsam haben. (so gilt z.B. die Proportion generate:generation :: propagate:propagation). Dennoch sind sie Formen von zwei verschiedenen Lexemen generate und generation. Generate, generated, generates und generating, andererseits, sind verschiedene Formen desselben Lexems generate. Die formalen Beziehungen zwischen generate und generation einerseits und die zwischen den verschiedenen Formen des Lexems generate andererseits (generate, generated etc.) sind von verschiedener Art.

Wir haben bereits einen allgemeinen Begriff von Paradigma kennengelernt als Menge von Elementen, die in paradigmatischer Beziehung zueinander stehen. Aus der traditionellen Grammatik kennen wir den Begriff des Wortformenparadigmas, den wir hier wie folgt definieren wollen:

Definition 6.13. Morphologisches Paradigma

Die verschiedenen Wörter eines bestimmten Lexems bilden ein morphologisches Paradigma.

generate: {generate, generates, generated, generating}

generation: {generation, generations}

singen: {singe, singst, singt, singen, sang, sangst, gesungen}

Sänger: {Sänger, Sängers, Sängern}

Wir können nunmehr zwei Teilbereiche der Morphologie unterscheiden. Ein Bereich untersucht die formalen Beziehungen zwischen den Wörtern innerhalb eines Paradigmas. Das ist die Flexionsmorphologie. Der andere untersucht die formalen Beziehungen zwischen den Wörtern verschiedener Lexeme. Das ist die lexikalische Morphologie.

6.4.1 Flexionsmorphologie

Definition 6.14. Flexion

Der Terminus Flexion bezieht sich auf die Prozesse, welche die verschiedenen Formen desselben Lexems erklären. Es ist ein Oberbegriff für Deklination, Konjugation und Komparation

Ein Flexionsprozeß resultiert in einer neuen Form des gleichen Lexems.

Flexionsprozesse wie Affigierung: sing + ssings und Modifikation: sing + past → sang (s.u.) signalisieren grammatische Beziehungen wie z.B. Numerus, Tempus, Genus etc. Sie beeinflussen nicht die lexematische Identität der Wörter.

Sekundäre Grammatische Kategorien

Die Flexionsmorphologie ist im Englischen nicht sehr ausgeprägt, deshalb werden wir im folgenden meist deutsche Beispiele zugrunde legen.

(6.2.)(a) ich du
(b)*ich * du

(6.3.)(a) wir ihr
(b)*ich *du

(6.4.)(a) ich gestern wir gestern
(b)*ich heute* wir heute

(6.5.)(a) ich heute wir heute
(b)*ich gestern*wir gestern

Die Beispielen (6..) bis(6.5.) zeigen Teilparadigmen von Verben und deren syntagmatische Beziehungen. Wir sehen einerseits, daß die Verbformen mit dem Subjekt hinsichtlich Person (6., 2. oder 3. Person) und Zahl (Singular oder Plural) übereinstimmen müssen. Andererseits müssen sie mit den adverbialen Bestimmungen heute bzw. gestern hinsichtlich der ausgedrückten Zeit (Gegenwart bzw. Vergangenheit) in Einklang stehen.

Die verschiedenen Wortformen eines Paradigmas gehören also zu Unterklassen, die (Sekundäre) grammatische Kategorien genannt werden können. Die wichtigsten sekundären grammatischen Kategorien sind:



Grammatische Kategorie

Wertebereich

1.

Numerus:

Singular, Plural, Dual (Zweizahl)

2.

Person:

1. (Sprecher), 2. (Angesprochener), 3. (‘Besprochener’)

3.

Genus:

Maskulinum, Femininum, Neutrum
(männlich, weiblich, sächlich)

4.

Kasus:

Nominativ, Genitiv, Akkusativ, Dativ etc.

5.

Tempus:

Präsens, Präteritum, Futur
(Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft)

6.

Aspekt:

Progressiv, Imperfektiv, Perfektiv

7.

Modus:

Indikativ, Konjunktiv, Optativ, Imperativ
(‘Wirklichkeitsform’, ‘Möglichkeitsform’,
‘Wunschform’, ‘Befehlsform’)

8.

Genus
(des verbs):

Aktiv, Passiv, Medium



Abb. 6.7. Sekundäre grammatische Kategorien

Morphologische Merkmale

Für flektierende Sprache ist es charakteristisch, daß ein Wort gleichzeitig zu mehreren grammatischen Kategorien gehört. So ist das Verb in du sangst durch 2. Person Singular Indikativ Präteritum beschrieben, mit den Kategorien Person, Numerus, Modus, Tempus. Es bietet sich an, zur Beschreibung solcher Formen ähnlich wie in der Phonologie Bündel von Merkmalen, hier also von morphologischen Merkmalen, zu verwenden.

Definition 6.15. Merkmal

Ein Merkmal ist eine Zuordnung von einem Attribut und einem Wert (oder Ausprägung) aus einem gegebenen Wertevorrat.

In der Morphologie sind die Attribute die grammatischen Kategorien, die Merkmalsausprägungen die Werte aus der Tabelle in Abb. 6.7. Die Flexionsform sangst ist dann beispielsweise durch folgendes Merkmalbündel charakterisiert:

Nun ist sangst auf aus den Morphemen sang und st zusammengesetzt. Damit stellt sich die Frage, wie die morphologischen Merkmale sich auf diese Komponenten verteilen.

Die Flexion nominaler Kategorien bezeichnet man als Deklination, die verbaler Kategorien als Konjugation und die des Adjektivs als Komparation:

Definition 6.16. Deklination

Die Flexion nominaler Kategorien (Nomen, Adjektiv, Numerale, Determinator) mit den grammatischen Kategorien Kasus , Numerus , Genus), wird Deklination genannt.

Definition 6.17. Konjugation

Die Flexion von Verben (grammatische Kategorien: Person, Numerus, Tempus, Aspekt, Modus, Genus Verbi (=Aktiv, Passiv) etc.) heißt Konjugation

Definition 6.18. Komparation

Komparation bezeichnet die Flexion des Adjektivs hinsichtlich der Formen des Komaparativs und Superlativs

Wie wir gesehen haben, kommt es bei flektierenden Sprachen häufig vor, daß verschiedene Kategorien durch die gleiche Form repräsentiert werden. Man bezeichnet dies als Synkretismus.

Definition 6.19. Synkretismus

Die Tatsache, daß innerhalb eines Paradigmas verschiedene grammatische Kategorien durch die gleiche Form repräsentiert werden, nennt man Synkretismus.

In He came und He has come haben das Präteritum und das Partizip Perfekt von come verschiedene Formen. In He tried und He has tried haben sie die gleiche Form, es handelt sich um einen Fall von Synkretismus.



Infinitiv

 

sein

Partizip

 

(ge)wesen

Singular

 

Präsens

Präteritum

Person

1

bin

war

 

2

bist

warst

 

3

ist

war

Plural

     

Person

1

sind

waren

 

2

seid

wart

 

3

sind

waren

Historisch betrachtet ist das Paradigma von sein aus drei verschiedenen Wortstämmen aufgebaut: 6. {sein, seid, sind, ist}, 2. {bin, bist} , 3. {war, gewesen}. Formen des gleichen Paradigmas, die aus verschiedenen Stämmen abgeleitet sind, bezeichnet man als Suppletivformen:

Definition 6.20. Suppletivformen

Wenn Mitglieder eines Paradigmas von den Stämmen verschiedener Lexeme abgeleitet werden (um eine Lücke zu füllen), spricht man von Suppletivformen.

Weitere Beispiele: dt. gut ~ besser ~ best, viel ~ mehr ~ meist, engl. go ~ went ~ gone,
good ~ better ~ best, be ~ was ~ were ~ been.

6.4.2 Lexikalische Morphologie

Definition 6.21. Lexikalische Morphologie

Die lexikalische Morphologie untersucht die formalen Beziehungen zwischen verschiedenen Lexemen.

Lexemklassen

Die Lexeme einer Sprache können im Hinblick auf bestimmte semantische und formale Eigenschaften in Klassen eingeteilt werden. Die Herausarbeitung dieser Klassen — der sog. Redeteile (lat. partes orationis, engl. parts of speech) — hat eine lange Geschichte, angefangen bei den alten griechischen Philosophen (vgl. dazu Robins 1966). Wir können zunächst sieben Hauptklasssen unterscheiden:



in, on, below, against, ...

1.

Verb

run, kick, work, ...

2.

Nomen

tree, dog, freedom, ...

3.

Adjektiv

big, red, beautiful, ...

4.

Adverb

today, there, well, stragely, ...

5.

Präposition

6.

Determinator

a(n), some, any, the, this, that ...

7.

Konjunktion

that, because, although ...

8

Interjektion

ouch, oops, oh, psst ...



Abb. 6.9. Lexemklassen

Die genaue Charakterisierung dieser Lexemklassen ist nicht Gegenstand der Morphologie alleine, sondern der Grammatik insgesamt.

Die Lexemklassen können in zwei Teilgruppen eingeteilt werden, sog. offene Klassen und geschlossene Klassen. Die offenen Klassen sind Verb, Nomen, Adjektiv, Adverb, die geschlossenen Präposition, Determinator, Konjunktion .

Offene Klassen sind u.a. durch ihre Größe gekennzeichnet: im Gegensatz zu den geschlossenen Klassen, die im Prinzip aufzählbar und somit in die Grammatik integrierbar sind, sind die offenen Klassen Bestandteile des Lexikons. Offene Klassen heißen so, weil die Sprache durch Wortbildungsregeln Mittel bereitstellt, sie jederzeit bei Bedarf zu erweitern.

Die Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Klassen ist nicht auf die Hauptklassen beschränkt. Man kann beispielsweise die Klasse der Nomina in drei Unterklassen einteilen (Eigennamen, Gattungsnamen, Pronomen), von welchen die ersten beiden offen sind, während die Klasse der Pronomina geschlossen ist.

Abb. 6.10. Wortartenschema nach Hans Glinz

Wortbildung

Es gibt drei wesentliche Verfahren zur Bildung neuer Wörter: Derivation, Konversion und Komposition.

Definition 6.22. Derivation (Ableitung)

Den Prozeß der Affigierung oder Modifikation zur Bildung neuer Lexeme nennt man Derivation (Ableitung).

Beispiele: dt. geschmack + los → geschmacklos, schön + heit → Schönheit, engl. nation (Nomen) + al → national (Adjektiv), national + ise → nationalise (Verb), nationalise + -ation → nationalisation (Nomen) etc.

Definition 6.23. Konversion

Konversion ist ein besonderer Ableitungsprozeß, wobei ein Lexem in eine neue Lexemklasse überführt wird, ohne daß ein Affix angefügt wird.

Beispiele: Verb → Nomen: dt. schau-en → Schau, bau-en → Bau, fall-en Fall. Da das Englische keine sehr ausgeprägte Flexion hat, ist die Konversion ein sehr verbreitetes Wortbildungsmittel; vgl. smell, taste, hit, walk; Adjektiv → Verb: dirty, empty, lower.

Definition 6.24. Komposition

Komposition ist der morphologische Prozeß, durch den neue zusammengesetzte Lexeme durch die Kombination zweier oder mehrerer freier Formen gebildet werden.

Definition 6.25. Kompositum

Ein durch Komposition gebildetes Wort heißt Kompositum (engl. compound).

Beispiele: dt. Haus + Tür → Haustür, groß + Stadt → Großstadt, engl. bed + room → bedroom, black + bird → blackbird, washing + machine → washing machine.

 

Besonders bei der Bildung von Komposita stellt sich die Frage, inwieweit die Bedeutung des Kompositums aus der Bedeutung seiner Komponenten ableitbar ist. Wenn wir z.B. soupspoon und silverspoon miteinander vergleichen, stellen wir fest, daß die semantische Beziehung zwischen soup und spoon eine andere ist, als die zwischen silver und spoon. Wir können soupspoon als spoon for eating soup paraphrasieren, silverspoon hingegen als spoon made of silver. Dieser Unterschied läßt sich sehr gut mithilfe der Begriffsgraphen beschreiben (vgl. das Semantikkapitel).

Die Bedeutung von spoon ist etwa a tool for mixing, serving, and eating food. Wenn wir uns auf den Aspekt des Essens beschränken, läßt sich dies wie folgt darstellen:

(6.6.)[tool] ← (inst) ← [eat] → (ptnt) → [food]

Die Bedeutung von soup ist liquid cooked food

(6.7.)[food] —

→ (attr) → [liquid]
← (rslt) ← [cook]

Die Bedeutung von soupspoon ergibt sich aus der Vereinigung von beiden kanonischen Graphen über den gemeinsamen Begriff [food]:

(6.8.)[tool] ← (inst) ← [eat] → (ptnt) → [food] —
→ (attr) → [liquid]
← (rslt) ← [cook]

Das Wort silver hingegen ist ein Metall, eine Substanz, die das Material sein kann aus dem ein Gegenstand hergestellt ist:

(6.9.)[silver] ← (matr) ← [make] —
→ (agnt) → [animate]
→ [rslt] → [physobj]

Um (6..) mit (6.9.) vereinigen zu können, müssen wir berücksichtigen, daß [tool] eine Spezialisierung von [physobj] ist, [tool] < [physobj]:

(6.10.)[silver] ← (matr) ← [make] —
→ (agnt) → [animate]
→ [rslt] → [tool]

Dies kann dann über das gemeinsame [tool] verschmolzen werden zu:

(6.11.)[tool] —
← (inst) ← [eat] → (ptnt) → [food]
← (rslt) ← [make] —
→ (matr) → [silver]
→ (agnt) → [animate]

 

Die verschiedenen Aspekte der Morphologie lassen sich wie folgt zusammenfassen:



Abb. 6.11. Aspekte der Morphologie

6.5 Morphologische Prozesse

Wir können verschiedene Prozesse unterscheiden, mithilfe derer Wörter aus elementareren Elementen wie z.B. Morphemen konstruiert werden können.

6.5.1 Affigierung

Der gebräuchlichste morphologische Prozeß im Deutschen und Englischen besteht im Anfügen eines Morphems an eine Wurzel oder einen Stamm: trag + bar → tragbar, sing + ing → singing.

Definition 6.26. Affigierung

Der morphologische Prozeß, durch den grammatische oder Lexikalische Information an einen Stamm angefügt wird, wird Affigierung genannt.

Affigierung ist ein rekursiver Prozeß insofern er wiederholt auf seinen eigenen Output angewandt werden kann, zum Beispiel:

(6.12.)de + scribe → describe
describe + able → describable
in + describeable → indescribable

Die Reihenfolge, in welcher die Affixe an den Stamm angefügt werden, ist signifikant, d.h. Wörter können eine interne Struktur haben, die über die bloße sequentielle Anordnung hinaus geht:

 

(6.13.)[in[ [de scribe] able] ]

 

Wörter können so komplex sein wie antidisestablishmentarianism oder supercalifragilisticexpialidocious (was immer das heißen mag).

Definition 6.27. Wurzel

Eine Wurzel ist die Grundform eines Wortes, die ohne Identitätsverlust nicht weiter analysiert werden kann. Es ist der Teil des Wortes, der verbleibt, wenn alle Affixe entfernt werden.

Das Wort dishonesty besteht aus den Morphemen dis + honest + y, wobei dis und y Affixe sind. Wenn man diese wegläßt bleibt als Wurzel honest übrig.

Definition 6.28. Stamm

Ein Stamm ist der Teil eines Wortes, an den die Flexionsaffixe angefügt werden. Er kann nur aus einem einzigen Wurzelmorphem bestehen (ein einfacher Stamm wie in Frau), oder aus zwei Wurzelmorphemen (ein zusammengesetzter Stamm wie in Fahrkarte), oder aus einem Wurzelmorphem plus einem Derivationsaffix (ein komplexer Stamm wie in freundlich oder Freundlichkeit).

Von einem Stamm sprechen wir also nur im Zusammenhang der Flexionsmorphologie (Konjugation, Deklination, Komparation). Es gibt Sprachen, die besondere Stammbildungsformative verwenden. Im Lateinischen unterscheidet man bei der Konjugation je nach Stammbildung mehrer Klassen, z.B. die ..-Stämme wie laud-..-re ‘loben’ (Wurzel laud), die ..-Stämme wie del-..-re ‘zerstören’ (Wurzel del), die .+-Stämme aud-.+-re ‘hören’ (Wurzel aud).

In dem englischen Wort derivations ist das auslautende s ein Flexionssuffix (Plural). Wenn wir dieses abstreichen bleibt der Stamm derivation übrig. Dieser ist mit den Affixen -at und -ion aus der Wurzel deriv abgeleitet:

(6.14.)

 

Ein weiterer nützlicher, aber allgemeinerer Begriff ist der der Basis.

Definition 6.29. Basis

Jede Form, an die ein Affix angefügt werden kann, ist eine Basis.

Jede Wurzel und jeder Stamm ist eine Basis. Die Menge der Basen ist jedoch größer als die Vereinigung aller Wurzeln und Stämme, weil der Prozeß der Affigierung mehrfach anwendbar ist. Die Form touchable, z.B., fungiert als Basis für die Präfigierung mit un- bei der Bildung von untouchable. Dabei ist touchable jedoch weder eine Wurzel, weil es zusammengesetzt ist (touch + able), noch ein Stamm, weil es sich nicht um die Bildung einer Flexionsform handelt.

Abb. 6.12.

Definition 6.30. Affix

Affix ist der Sammelbegriff für alle Arten von Formativen, die nur in Verbindung mit einem anderen Morphem (der Wurzel oder dem Stamm) verwendet werden können, d.h. Affixe sind ein Typ gebundener Morpheme.

Affixe werden gewöhnlich in drei Klassen eingeteilt, je nach ihrer Position bezüglich der Wurzel oder des Stammes eines Wortes: Präfix, Suffix, und Infix.

Definition 6.31. Präfix

Ein Präfix ist ein Affix, das am Anfang einer Wurzel oder Stammes angefügt wird.

Definition 6.32. Präfigierung

Der Prozeß des Anfügens eines Präfixes wird Präfigierung genannt.

Der Prozeß der Präfigierung wird im Deutschen und Englischen häufig zur Bildung neuer Lexeme verwendet (z.B. dt. un- + glücklich + unglücklich, engl. un- + happy → unhappy, mini- + computer → minicomputer), nicht jedoch zur Bildung von Flexionsformen.

Definition 6.33. Suffix

Ein Suffix ist ein Affix, das am Ende einer Wurzel oder eines Stammes angefügt wird.

Definition 6.34. Suffigierung

Der Prozeß des Anfügens eines Suffixes wird Suffigierung genannt.

Suffigierung wird im Deutschen und Englischen sehr häufig verwendet, sowohl zur Derivation neuer Lexeme (z.B. dt. heiter + keit → Heiterkeit, Kopf + los → kopflos bzw. engl. national + -ise → nationalise, generate + -tion → generation) als auch zum Ausdruck Grammatischer Beziehungen (Flexionsendungen wie dt. -t, -st, -en bzw. engl. -s, -ed, -ing).

Definition 6.35. Infix

Ein Infix ist ein Affix das im Inneren einer Wurzel oder eines Stammes eingefügt wird.

Definition 6.36. Infigierung

Der Prozeß des Anfügens eines Infixes wird Infigierung genannt.

Infigierung ist in den europäischen Sprachen eine sehr seltene Erscheinung, findet sich jedoch häufig in asiatischen, amerikanischen und afrikanischen Sprachen. Historisch gesehen ist das -n- im deutschen stand (im Gegensatz zu stehen) ein Infix.

6.5.2 Modifikation

Ein weiterer wichtiger morphologischer Prozeß ist die Modifikation, eine Veränderung in der Wurzel oder im Stamm eines Wortes, wie z.B. der Vokalwechsel zwischen den Singular- und Pluralformen vieler deutscher sowie einiger englischer Substantive: (dt. Sohn ~ Söhne, Hut ~ Hüte, Lamm ~ Lämmer, eng. man ~ men, mouse ~ mice). Ein verbreiteter Vorgang dieser Art ist der Ablaut:

Definition 6.37. Ablaut

Ablaut nennt man den regelhaften Vokalwechsel in Wörtern des gleichen Lexems, der nicht phonologisch konditioniert ist.

Einschlägige Beispiele finden wir bei vielen sog. starken Verben dt. singen ~ sang ~ gesungen, finden ~ fand ~ gefunden, werden ~ ward ~ geworden, engl. sing ~ sang ~ sung, find ~ found ~ found, give ~ gave ~ given etc. Der Ablaut ist vom Umlaut zu unterscheiden:

Definition 6.38. Umlaut

Umlaut ist eine Vokalalternation zwischen verwandten Vorderzungen- und Hinterzungenvokalen, die — zumindest historisch betrachtet — phonologisch konditioniert ist (regressive Assimilation unter dem Einfluß von /i, j/ in der Folgesilbe). Wo jedoch die Bedingungsfaktoren verlorengegangen sind, muß Umlaut als ein morphologischer Prozeß aufgefaßt werden.

Beispiele: Mutter ~ Mütter, Vater ~ Vater, Vogel ~ Vögel, man ~ men, mouse ~ mice, fox vixen (dt. Fuchs Füchsin).