Kapitel 4: Syntax

Vorbemerkung

Der Terminus Syntax sowie eine Anzahl verwandter Termini wie syntaktisch, Syntagma, syntagmatisch sind vom griechischen Wort συνταξις [syntaksis] 'Ordnung', 'Anordnung' abgeleitet, das aus den Elementen συν- [syn-] 'zusammen' und ταγ-/τακ- [–tag–/–tak–] ‘anordnen, aufstellen’ besteht. Informell können wir sagen, daß Syntax sich damit beschäftigt, auf welche Weise Wörter zu Sätzen zusammengefügt werden.

Die Syntax ist eines der am weitesten entwickelten Teilgebiete der modernen Linguistik und kann in einem allgemeinen Einführungskurs nur in Umrissen behandelt werden. Ziel dabei ist es, die wichtigsten grundlegenden und allgemein anerkannten Begriffe und Methoden zu vermitteln. Die Behandlung von Details muß weiterführenden speziellen Syntaxveranstaltungen vorbehalten bleiben.

Anknüpfend an die Ausführungen im Kapitel Semiotik werden wir Wörter als Zeichen auffassen, die einen Ausdruck mit einem Inhalt assoziieren, wobei der Ausdruck den Inhalt symbolisiert, z.B. sym(boy, ‘boy’). Konventionellerweise wird die Ausdrucksseite durch Kursivschrift (boy) und die Inhaltsseite durch einfache Anführungszeichen (‘boy’) wiedergegeben. Bei einer Betrachtung als lautsprachliches Zeichen kann die Ausdrucksseite auch in phonemischer oder phonetischer Umschrift dargestellt werden (/bɔɪ/ bzw. [bɔɪ], wobei diese selbst nur eine konventionelle Abkürzung für eine komplexe Informationsstruktur ist (beispielsweise eine Matrix phonetischer Merkmale wie nebenstehend). Die Notation ‘boy’ für die Inhaltsseite ist nicht mehr als ein Etikett für eine möglicherweise komplexe und mehrdeutige Inhaltsstruktur, die wir noch nicht kennen. Beispielsweise ist versucht worden Begriffe in Bedeutungskomponenten zu zerlegen, im vorliegenden Falle etwa [nonadult, male, human].

Sätze haben selbst Zeichencharakter, d.h. sie assoziieren einen Ausdruck und einen Inhalt. Für einen einfachen Satz wie

(4.1.) Boys admire girls

gilt also die Symbolisierungsrelation sym(boys admire girls, ‘boys admire girls’). Andererseits ist (4.1.) aus Elementarzeichen zusammengesetzt, die jeweils für sich einen Ausdruck und einen Inhalt haben.

(4.2.)

Damit stellt sich die Frage, wie einerseits die Ausdrucksstruktur boys admire girls aus den Ausdrucksstrukturen der Elementarzeichen entsteht, und wie sich andererseits die Inhaltsstruktur ‘boys admire girls’ aus den Inhalten der Einzelzeichen ableiten läßt. In beiden Fällen ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile.

Im Falle der Ausdrucksstruktur ist das Grundprinzip die lineare Verkettung. Wie sich im weiteren Verlauf dieses Kapitels zeigen wird, geht es jedoch um mehr als die bloße lineare Aneinanderreihung von Zeichenformen, die Verknüpfung erfolgt vielmehr in einzelnen hierarchischen Stufen. Auf der untersten Stufe haben wir die Verknüpfung von Elementarzeichen (Morphemen) zu Wörtern, z.B. boy + s → boys, girl + s → girls. Die Behandlung dieser Prozesse ist vorrangige Aufgabe des Teilgebietes der Morphologie (s. Kapitel 5). Wir werden im weiteren zunächst von Wörtern als Grundzeichen ausgehen:

(4.3.)

Bei der Bildung des Gesamtausdruckes boys admire girls ist zunächst davon auszugehen, daß admire und girls zum Ausdruck admire girls verknüpft werden: admire girls =admire×girls (× ist ein Verknüpfungszeichen, wofür oft auch das Pluszeichen '+' oder einfach das Leerzeichen verwendet wird). Dies ergibt wiederum verkettet mir boys den Gesamtausdruck: boys admire girls = boys×(admire×girls). Dieser hierarchische Aufbau ist sowohl für die lautliche Realisierung bedeutsam (Satzbetonung, Intonation) als auch für die Satzbedeutung.

Im Gegensatz zu den Elementarzeichen sind die Inhalte von Sätzen nicht arbiträr (im Sinne von de Saussure), sondern durch die Regeln der Grammatik motiviert. Dabei wird vom Prinzip der Kompositionalität der Bedeutung komplexer Ausdrücke ausgegangen.

Definition 4.1. Kompositionalität

Das Prinzip der Kompositonalität der Bedeutung komplexer Ausdrücke besagt, daß die Bedeutung solcher Ausdrücke sich aus den Bedeutungen der einzelnen Elementarzeichen in Abhängigkeit von der syntaktischen Struktur zusammensetzt.

Wir werden auf die Frage, wie die Inhalte der komplexen Ausdrücke von Sätzen aus den jeweiligen Inhalten der Elementarzeichen, aus denen sie aufgebaut sind, abgeleitet werden können, später zurückkommen. Für den Augenblick betrachten wir nur das kombinatorische Potential von Wortformen.

Konstituenz und Dependenz

Zwei zentrale Begriffe der Syntaxtheorie sind Konstituenz und Dependenz. Dabei handelt es sich um zwei wesentliche Grundprinzipien der Satzorganisation, die sich gegenseitig bedingen bzw. als sich gegenseitig ergänzend zu betrachten sind. Das Prinzip der Konstituenz beruht auf der Teil-Ganzes-Beziehung zwischen Satzbestandteilen (z.B. "ein Satz besteht aus Subjekt und Prädikat"). Das Prinzip der Dependenz oder Abhängigkeit beruht auf der Tatsache, daß zwischen Ausdrücken im Satz mehr oder weniger enge Beziehungen bestehen, so z.B. zwischen Attribut und Bezugswort (ein schlauer Fuchs) oder zwischen dem Verb und seinen Ergänzungen (Er begegnete einem Zombie). Diese beiden Relationen sollen in den folgenden Abschnitten genauer betrachtet werden.

Allgemeine Grundbegriffe

Zunächst werden wir einige allgemeine Begriffe wie Sprache, Satz, Äußerung Grammatik, Grammatikalität etc. besprechen.

Im folgenden wollen wir den Terminus Sprache für die Zwecke der Syntax in einem sehr speziellen und eingeschränkten Sinn verwenden:

Definition 4.2. Sprache

Eine Sprache ist eine Menge von Sätzen, von denen jeder aus einer endlichen Menge von Elementen aufgebaut ist, L = {S1, S2,S3, …}

Damit ist z.B. die englische Sprache die Menge der englischen Sätze, die deutsche Sprache die Menge der deutschen Sätze. Es läßt sich begründen, daß die Anzahl der Sätze in einer natürlichen Sprache wie Englisch oder Deutsch unendlich ist, auch wenn ein Angehöriger der betreffenden Sprachgemeinschaft im Laufe seines Lebens nur eine endliche Menge von Sätzen äußern kann. Jeder Satz Si=sym(Ai, Ij) ist ein komplexes Zeichen, d.h. die Assoziation eines (komplexen) Ausdrucks Ai und eines (komplexen) Inhaltes Ij , wobei der Ausdruck den Inhalt symbolisiert.

Sätze müssen von Äußerungen unterschieden werden. Satz und Äußerung stehen im Verhältnis von Typ (type) und Exemplar (token) zueinander. In den folgenden beiden Texten kommt der Ausdruck Suddenly the door opened zweimal vor:

(4.4.) (a) It was quiet and dark. Suddenly the door opened.
  (b) He was almost napping. Suddenly the door opened.

Es handelt sich um zwei verschiedene Äusserungen, d.h. zwei verschiedene konkrete Realisierungen des gleichen Satzes.

Definition 4.3. Äußerung

Eine Äusserung ist ein Satzexemplar, d.h. eine konkrete Realisierung eines Satzes in einem Kommunikationszusammenhang.

Definition 4.4. Vokabular

Die Menge der Elemente, aus der die Sätze einer Sprache aufgebaut sind, ist das Vokabular dieser Sprache.

Im gegenwärtigen Diskussionszusammenhang fassen wir die Elemente des Vokabulars als Wörter in einem intuitiven Sinn auf. Das Vokabular der englischen Sprache ist die Menge der englischen Wörter.

Definition 4.5. Kette

Jede lineare Anordnung von Elementen des Vokabulars bildet eine Kette von Elementen.

Wenn das Vokabular aus Wörtern besteht, was wir für den Augenblick annehmen wollen, sind Ketten aus Wörtern zusammengesetzt. Mit dem Vokabular der englischen Wörter sind die folgenden mögliche Wortketten über diesem Vokabular:

(4.5.) (a) everyone knows that James Bond is invincible
  (b) * knows is that James invincible everyone Bond

Definition 4.6. Teilkette

Eine Kette ki, die Teil einer anderen Kette k j ist, ist eine Teilkette dieser Kette.

So ist very difficult eine Teilkette von a very difficult question, das Wetter ist eine Teilkette von heute ist das Wetter miserabel.

Abb. 4.1. Teilkette

Wir haben Sprache definiert als eine Menge von Sätzen. Was aber ist ein Satz? Darüber sind ganze Bücher geschrieben worden (z.B. Ries J., Was ist ein Satz? [Ries 1931], Seidel E., Geschichte und Kritik der wichtigsten Satzdefinitionen [Seidel 1935]), und es wurden an die 200 verschiedene Satzdefinitionen gezählt. Im Linguistischen Wörterbuch von Lewandowki finden wir u.a.

[Der Satz ist eine] grammatisch, intonatorisch und inhaltlich nach den Regularitäten der jeweiligen Sprache linear und hierarchisch organisierte Einheit als Mittel zu Ausdruck, Darstellung und Appell, zur Kommunikation von Vorstellungen oder Gedanken über Sachverhalte.
(Lewandowski 1990, s.v. Satz)

In dieser Charakterisierung werden einige Eigenschaften von Sätzen genannt, z.B. daß Sätze Zeichen sind, wobei auf das Organonmodell von Karl Bühler Bezug genommen wird (vgl. das Kapitel Semiotik). Eine vollständige Charakterisierung des Begriffes Satz läßt sich nicht auf diese einfache Weise bewerkstelligen. Wir müssen vielmehr eine vollständige Theorie konstruieren, die bestimmt, welche Objekte Sätze einer bestimmten Sprache sind. Solch eine Theorie wird Grammatik genannt. Mit anderen Worten, die Antwort auf die Frage ‘Was ist ein englischer Satz?’ ist eine Grammatik der englischen Sprache.

Der Begriff Grammatik wird häufig mit einer systematischen Ambiguität gebraucht. Zum einen ist damit das mental repräsentierte sprachliche Wissen gemeint, über das ein kompetenter Sprecher einer Sprachgemeinschaft verfügt, und das es ihm ermöglicht, Sätze seiner Sprache zu verwenden und Äußerungen zu beurteilen (internalisierte Grammatik). Zum anderen ist damit die Beschreibung oder Theorie des jeweiligen sprachlichen Wissens gemeint.

Definition 4.7. Grammatik

Eine Grammatik ist eine Theorie einer Einzelsprache.

Die Grammatik einer Sprache als Theorie dieser Sprache spezifiziert, welche Wortketten Sätze (d.h. grammatische Ketten) dieser Sprache sind, und welche nicht (letztere heißen ungrammatisch). Die Grammatik des Englischen hätte zu spezifizieren, daß The killer is called acid rain grammatisch (oder wohlgeformt) ist, während *is acid the called rain killer ungrammatisch ist, obwohl beide Ketten aus den gleichen Wörter bestehen. Es gibt bestimmte Konventionen zur Kennzeichnung des Wohlgeformtheitsgrades eines Ausdrucks. Ein einfacher Stern ‘*’ bedeutet "ungrammatisch". Bei Bedarf kann weiter differenziert werden:

? fragwürdig * ungrammatisch
?? sehr fragwürdig ** "Müll"

Grammatikalität ist ein relativer Begriff. Eine Kette kann nur unter Bezug auf eine gegebene Grammatik als grammatisch oder ungrammatisch beurteilt werden. Genauer müßte man daher sagen, daß die Kette The killer is called acid rain grammatisch ist bezüglich der Grammatik des Englischen. Sie wäre z.B. ungrammatisch bezüglich der Grammatik des Deutschen. Nehmen wir ein weiteres Beispiel: Angenommen, ein Kind äußert den Ausdruck John taked my book. Da die Form *taked in normalem Englisch nicht existiert, muß das Kind eine ihm eigene Regel angewandt haben, nach der die Vergangenheitsform durch Anhängen der Endung -ed an den Stamm gebildet wird. Der Äußerung liegt also eine Grammatik zugrunde, die das Kind internalisiert hat und die sich von der Erwachsenengrammatik unterscheidet. Mit anderen Worten, der Ausdruck John taked my book ist grammatisch bezüglich der internalisierten Grammatik des Kindes und ungrammatisch bezüglich der Grammatik des Englischen.

Die Strukturabhängigkeit grammatischer Prozesse

Bei der Erörterung des Kompetenzbegriffs im ersten Kapitel wurde ausgeführt, daß sich die grammatische Kompetenz u.a. darin manifestiert, daß der kompetente Sprecher/Hörer in der Lage ist, Urteile über die Wohlgeformtheit oder Grammatikalität von Ausdrücken abzugeben und zu entscheiden, ob ein vorgegebener Ausdruck ein Satz seiner Sprache ist oder nicht. Eine wesentliche Aufgabe einer Grammatik als Theorie einer bestimmten Sprache ist es daher, die Eigenschaften zu bestimmen, welche in dieser Sprache Sätze von Nicht-Sätzen unterscheiden. Wie die Beispiele (4.5.)(a) und (b) zeigen, ist eine derartige Eigenschaft sicher die Anordnung der Wörter. Die Reihenfolge der Wörter eines Satzes kann nicht beliebig verändert werden. Es entstehen entweder Sätze mit anderer Bedeutung oder ungrammatische Ausdrücke:

(4.6.) (a) John is in the garden (Aussage)
  (b) Is John in the garden (Frage)
  (c) * Is in the garden John (ungrammatisch)
  (d) ** garden in the is John ("Müll")

Die bloße lineare Anordnung ist aber nur ein Aspekt. Man betrachte die folgenden Beispiele:

(4.7.) (a) The student found the solution to the problem
  (b) The student drove the professor to the station

Oberflächlich betrachtet scheinen diese Sätze die gleiche Struktur aufzuweisen:

the - student - Verb - the - Nomen - to - the - Nomen.

Aber ist die Beziehung zwischen to und dem vorangehenden Nomen in solution to und professor to wirklich die gleiche? Die meisten Muttersprachler würden wohl zugeben, daß die Verbindung im ersten Fall wesentlich enger ist als im zweiten. Dieses Gefühl wird durch die Tatsache bestätigt, daß wir die Kette the professor im zweiten Satz weglassen können, nicht aber die Kette the solution im ersten:

(4.8.)

(a) * The student found to the problem
  (b) The student drove to the station.

Das scheint darauf hinzudeuten, daß im zweiten Fall eine enge Verbindung zwischen dem Verb drove und der Präposition to besteht.

In der folgenden Konstruktion mit sog. "Pseudo-Spaltsätzen" (engl. pseudo-cleft sentences), die häufig als "Diagnoseinstrument" der grammatischen Analyse verwendet wird, fungiert die auf das Verb was (oder eine andere Form von be) folgende Teilkette als syntaktische Einheit. Die Abweichung von (4..)(b) weist darauf hin, daß die Kette the professor to the station keine syntaktische Einheit bildet.

(4.9.) (a) What the student found was the solution to the problem
  (b) * What the student drove was the professor to the station
  (c) What the student drove to the station was the professor

Eine ähnliche Konstruktion ist die der sog. Spaltsätze (engl. cleft sentences). Sie beginnen normalerweise mit dem Pronomen it, gefolgt von einer Form von be, worauf eine Satzteil folgt, der "hervorgehoben" wird. Im Anschluß daran steht eine relativsatzähnliche Konstruktion. Wichtig für unsere diagnostischen Zwecke ist, daß zwischen be und dem Relativpartikel (z.B.that oder who) eine Konstituente steht.

(4.10.) (a) It was the solution to the problem that the student found.
  (b) * It was the professor to the station that the student drove.
  (c) It was the professor that the student drove to the station.

Die bisherige Analyse wird auch durch das Verhalten des Satzes bei der Bildung des Passivs bestätigt. Es ist ein traditionelles Verfahren, die Bildung des Passivs dadurch zu beschreiben, daß man die Passivsätze durch bestimmte Veränderungen aus Aktivsätzen ableitet. Dazu gehört beispielsweise, daß das direkte Objekt des Aktivsatzes zum Subjekt des Passivsatzes wird (jemand brachte die Zeitungdie Zeitung wurde gebracht). Dabei gilt nun, daß nur syntaktische Einheiten (d.h. Konstituenten) bewegt werden können.

(4.11.) (a) The solution to the problem was found by a student
  (b) * The professor to the station was driven by a student
  (c) The professor was driven to the station by a student

Die Analyse dieser Beispiele zeigt, daß die Wörter in einem Satz nicht nur wie die Perlen in einer Kette aufgereiht sind; vielmehr sind bestimmte Wörter enger miteinander verknüpft als andere, was im folgenden Beispiel durch die Klammerung ausgedrückt wird:

(4.12.) (a) [The student] found [the solution to the problem]
  (b) [The student] drove [the professor] [to the station]

Definition 4.8. Strukturabhängigkeit

Das Prinzip der Strukturabhängigkeit ist ein Prinzip der modernen Sprachtheorie, das davon ausgeht, daß das sprachliche Wissen eines Sprechers auf strukturellen Relationen zwischen Satzelementen basiert und nicht auf der bloßen linearen Anordnung.

Ein weiteres Beispiel möge dieses Prinzip der Strukturabhängigkeit erläutern. Für die Struktur deutscher Hauptsätze gilt die Regel, daß das finite Verb, d.h. die nach Person, Numerus und Tempus flektierte Form des Verbs, die zweite Position einnimmt:

(4.13.) Klaus ißt gerne Hamburger

Aber was heißt eigentlich zweite Position? Die Vermutung, daß damit das zweite Wort im Satz gemeint sein könnte, wird durch die folgenden Beispiele schnell widerlegt:

(4.14.) ißt gerne Hamburger

Weitere Beispiel würden deutlich machen, daß es hinsichtlich der Zahl der Wörter, die vor dem finiten Verb stehen können, keinerlei Beschränkungen gibt. Entscheidend ist, daß die Wortfolge vor dem Verb eine syntaktische Einheit bildet. Wenn man von der Zweitstellung des Verbs im deutschen Hauptsatz spricht, bezieht man sich auf solche — möglicherweise sehr komplexe — syntaktische Einheiten. Daraus ergibt sich jedoch zwangsläufig die Notwendigkeit, zu bestimmen, was eine syntaktische Einheit von einer beliebigen Wortfolge unterscheidet.

Konstituenz

Die Struktur von Sätzen ist also nicht bloß linear, sie ist hierarchisch. Abgesehen von Wörtern als den elementaren Bausteinen von Sätzen, fungieren bestimmte Wortketten als komplexe syntaktische Einheiten. Diese Einheiten werden Syntagmen oder Konstituenten genannt.

Definition 4.9. Syntagma

Ein Syntagma ist eine einfache oder komplexe (aus mehreren Wörtern bestehende) syntaktische Einheit.

Definition 4.10. Konstituente

Als Konstituente bezeichnet man in der strukturellen Satzanalyse jede sprachliche Einheit (Morphem, Wort, Syntagma), die Teil einer größeren sprachlichen Einheit ist.

So würde man sagen, daß in den zur Diskussion stehenden Sätzen die Ketten the student, the professor, the solution to the problem jeweils Konstituenten oder Syntagmen sind.

Ein weiterer grundlegender Begriff ist der der unmittelbaren Konstituente.

Definition 4.11. unmittelbare Konstituente

Unmittelbare Konstituenten sind die maximalen Konstituenten einer Konstruktion.

So werden wir sagen, daß der Satz

(4.15.) The voters sought the safety of the center

aus den unmittelbaren Konstituenten the voters und sought the safety of the center besteht. Das kann auf folgende Weise dargestellt werden:

Abb. 4.2. Unmittelbare Konstituenten

Die Verbindungslinien (Kanten, Äste oder Zweige) repräsentieren (von unten nach oben) die Relation "X ist unmittelbare Konstituente von Y".

Natürlich sind andere Analysen denkbar. Man mag einwenden, daß in der Schulgrammatik die Struktur des Satzes als Subjekt Prädikat Objekt (S P O) wiedergegeben würde, d.h. die unmittelbaren Konstituenten wären [the voters]S [sought]P [the safety of the center]O. In der Tat sind [the voters], [sought], und [the safety of the center] Konstituenten des Satzes (s.u.) und sie füllen bestimmte syntaktische Positionen (sie haben bestimmte grammatische Funktionen). Es werden in der Schulgrammatik jedoch keine weiteren Aussagen über die Konstituenz im hier gemeinten Sinne gemacht. Nichts spricht gegen die Anordnung von S P O als S [P O], d.h. unser Satz hätte die Struktur [the voters]S [[sought]P [the safety of the center]O]. Es kann gezeigt werden, daß zwischen dem Verb und dem Objekt ein enger Zusammenhang besteht. Beispielsweise kann man das Objekt nicht einfach weglassen.

(4.16.) * The voters sought

Konstituenz als Baumdiagramm

Abb. 4.3. Konstituenz als Baumdiagramm

Das spricht auch gegen die Aufteilung [the voters sought] [the safety of the center]: [the voters sought] ist keine Konstituente. Der folgende Satz läßt sich umgekehrt nicht durch ein Objekt ergänzen:

(4.17.) The voters hesitated vs. * The voters hesitated the candidates

Mit der Pseudo-Spaltsatz-Konstruktion läßt sich hingegen die Verbindung von Verb und Objekt als Konstituente nachweisen:

(4.18.) What the voters have done is (to) seek the safety of the center

Die vorangehende Analyse hat bereits gezeigt, daß auch die Kette sought the safety of the center aus den unmittelbaren Konstituenten sought und the safety of the center besteht. Durch die Ermittlung aller unmittelbaren Konstituenten der jeweils höheren Konstituente erzielt man eine vollständige hierarchische Gliederung eines gegebenen Satzes. Diese Methode der Analyse von Sätzen in unmittelbare Konstituenten wird IC-Analyse genannt, nach dem englischen immediate constituent analysis. Die IC-Analyse unseres Beispielsatzes liefert das in Abb. 4.3. gezeigte Ergebnis.

Es gibt eine Reihe weiterer Notationsformen für die Darstellung der Konstituenz von Sätzen, so z.B. verschachtelte Klammern oder Kästchen. Die Konstituenz unseres Beispielsatzes kann demnach folgendermaßen durch einen Klammerausdruck oder ein Kastendiagramm dargestellt werden:

[[[The][voters]][[sought][[the][[safety][[of][[the][center]]]]]]

Abb. 4.4. Konstituenz als Klammerausdruck

Abb. 4.5. Konstituenz als Kastendiagramm

Alle Syntagmen, die in einem Satz irgendwo als unmittelbare Konstituenten fungieren, sind Konstituenten des Satzes. Präziser läßt sich der Begriff Konstituente wie folgt definieren:

Definition 4.12. Konstituente

1. Eine Kette ki ist eine Konstituente einer Kette kj wenn sie eine unmittelbare Konstituente dieser Kette ist.
2. ki ist eine Konstituente von kj wenn sie eine unmittelbare Konstituente einer Kette kk ist, die ihrerseits Konstituente von kj ist.

So ist z.B. house in [[behind] [[the][house]]] eine Konsituente von behind the house, weil es eine unmittelbare Konstituente von the house ist, welches seinerseits eine unmittelbare Konstituente von behind the house ist:

Abb. 4.6. Konstituente von

Definition 4.13. Terminale Konstituente

Konstituenten, die nicht weiter in unmittelbare Konstituenten zerlegt werden können, sind terminale Konstituenten oder Endkonstituenten.

Die Wörter behind, the und house im obigen Beispiel sind terminale Konstituenten.

Methoden zur Satzanalyse

Die Aufteilung von sprachlichen Ausdrücken in Konstituenten erfolgte in unseren Beispielen meist nach rein intuitiven Gesichtspunkten, d.h. nach dem Sprachgefühl. So entspricht die Zerlegung von [behind the house] in die unmittelbaren Konstituenten [behind] und [the house] sicher mehr unserer Intuitition als etwa in [behind the] und [house]. Es ist aber wünschenswert, diese intuitiv erkannten Gesetzmäßigkeiten zu objektivieren. Im folgenden werden dazu einige analytische Verfahren vorgestellt, deren Anwendung eine zumindest vorläufige Analyse der Konstituentenstruktur eines Satzes liefert. Im Gegensatz zu einer rein intuitiven Vorgehensweise sind diese Verfahren formal expliziter und wissenschaftlich nachkontrollierbar und demnach objektiver und zuverlässiger.

Für viele amerikanische Strukturalisten der post-Bloomfieldschen Ära war das Hauptanliegen ihrer Forschungsarbeit die Entwicklung eines Inventars von Standardmethoden, die bei der sprachwissenschaftlichen Analyse anzuwenden seien. Man ging von der Annahme aus, daß Sprachen (aufgefaßt als ein "Korpus", d.h. eine Kollektion von tatsächlichen sprachlichen Äußerungen) eine Struktur aufweisen, die es "aufzudecken" galt. Daher erhielten diese Methoden den Namen discovery procedures ("Aufdeckungsverfahren"). Es wurde angenommen, daß man durch die Anwendung dieser Verfahren auf eine Menge von beobachteten Äußerungen (ein sogenanntes Korpus) unter minimaler Heranziehung von Informantenurteilen über die ‘Gleichheit’ und ‘Verschiedenheit’ von Ausdrücken mit Sicherheit die Regeln der Grammatik aus dem Korpus ableiten könne.

Abb. 4.7. "Discovery Procedures"

Die grundlegenden Verfahren dabei sind die Segmentierung, d.h. die Zerlegung einer Äußerung in linear aufeinanderfolgende diskrete Segmente, und die Klassifizierung dieser Segmente nach verschiedenen Kriterien. Diese vorrangige Beschäftigung mit Fragen der Methodologie drückt sich auch in der Art der Begriffsbildung aus. Begriffe werden mit Vorliebe "operational" definiert, das heißt unter Angabe von Kriterien zur Identifizierung von Objekten, die unter den Begriff fallen. So fällt in gewisser Weise Theorie und Methode zusammen.

Die im folgenden vorgestellten Verfahren haben nicht diesen theoretischen Status; sie sind lediglich Hilfsverfahren zur Bildung begründeter Hypothesen über die syntaktische Struktur von sprachlichen Ausdrücken. Sie basieren letztlich auf dem eingangs angesprochenen Prinzip der Strukturabhängigkeit sprachlicher Prozesse.

Eine Reihe nützlicher Verfahren zur operationalen Satzanalyse hat in den sechziger Jahren der Germanist H. Glinz entwickelt (Glinz 1965). Sie sind als "Proben" verschiedener Art bekannt geworden: Austauschprobe, Ersatzprobe, Umstellprobe, Verschiebeprobe, Weglaßprobe, Erweiterungsprobe, Umformungsprobe. Die international üblichen Termini dafür sind:

  1. Substitution (Austauschprobe, Ersatzprobe);
  2. Permutation (Umstellprobe, Verschiebeprobe);
  3. Reduktion oder Tilgung (Weglaßprobe);
  4. Expansion (Erweiterungsprobe);
  5. Transformation (Umformungsprobe).

Substitution (Austausch- oder Erstatzprobe)

Eines der wichtigsten Verfahren in der Linguistik überhaupt ist das der kontrollierten Substitution oder Kommutation. Es wird nicht nur in der Satzanalyse angewandt sondern auf allen sprachlichen Ebenen. Elemente, die in einem gegebenen Kontext austauschbar sind (kommutieren), werden als Elemente der gleichen Klasse betrachtet.

Bei Anwendung der Substitution in der Satzanalyse wird in einer gegebenen Kette eine Teilkette durch eine andere Teilkette ersetzt; der Rest der Kette muß dabei konstant gehalten werden, und die durch die Substitution neu entstandene Kette darf nicht ungrammatisch sein. Die Teilketten, die auf diese Art ermittelt werden, haben dieselbe Distribution (Menge von Kontexten); sie gehören zum gleichen syntaktischen Paradigma und können gegebenenfalls Konstituenten sein.

(4.19.)

Da die Teilketten in der geschweiften Klammer in (4.19.) alle für einander ersetzt werden können, ohne daß der Satz dadurch ungrammatisch würde, liegt die Hypothese nahe, daß jede der eingeklammerten Teilketten eine Konstituente bildet.

Substitution

Teilketten, die in gleicher syntaktischer Position in einer gegebenen Kette austauschbar sind, ohne daß die neu entstandene Kette ungrammatisch ist, können gegebenenfalls Konstituenten sein.

Die etwas vorsichtige Formulierung dieser Prozedur ist mit Bedacht gewählt, da der Substitutionstest nicht automatisch korrekte Analysen erzeugt:

(4.20.) The old

Anhand des Substitutionstests könnten auch in Beispiel (4.20.) die in der geschweiften Klammer stehenden Teilketten als Konstitutenten gelten. Eine solche Analyse widerspricht jedoch jeglicher Intuition über Konstituenz; niemand würde die eingeklammerten Teilketten als Konstituenten bezeichnen. Eine Möglichkeit, diesem Problem zu begegnen und Ergebnisse zu erzielen, die intuitiv nachvollziehbarer sind, ist, den Substitutionstest unter einem quantitativen Gesichtspunkt anzuwenden. Das soll heißen, daß beim Substitutionstest auch darauf geachtet wird, wieviele Syntagmen ein Paradigma umfasst und in wievielen verschiedenen Umgebungen ein Paradigma vorkommen kann. So ist das Paradigma in (4..) einfacher und problemloser um weitere Syntagmen zu vergrößern, als das in Beispiel (4.20.) der Fall ist. Besonders deutlich wird der quantitative Aspekt in unseren Beispielen hinsichtlich der Frage der möglichen Umgebungen, in denen die jeweiligen Paradigmen vorkommen können. Während das Paradigma in (4..) in einer Vielzahl möglicher Positionen stehen kann (vgl. (4..), ist es für das Paradigma in (4.20.) schwierig, andere geeignete Kontexte zu finden.

(4.21.)

Für sich genommen reicht der Substitutionstest nicht aus, um eine befriedigende Satzanalyse zu erzeugen. In der tatsächlichen Anwendung muß er von der Intuitition überprüft und vor allen Dingen durch andere Verfahren ergänzt werden.

Ein weiteres Verfahren zur Satzanalyse ist der Pronominalisierungstest.

Pronominalisierung

Die Teilketten, die pronominalisiert, d.h. durch Pro-Formen substituiert werden können, sind Konstituenten

Hierbei soll untersucht werden, auf welche Teilketten in einer gegebenen Kette man sich mit einer Pro-Form beziehen kann. Die Pronominalisierung kann als eine Art Substitution betrachtet werden.

(4.22.) (a) Sherlock Holmes and Dr. Watson lived in Bakerstreet. They were good friends.
  (b) Sherlock Holmes and Dr. Watson lived in Bakerstreet. They stayed there for many years.
  (c) Sherlock Holmes and Dr. Watson like music. So do I.

In diesen Beispielen werden die Pro-Formen they, there und so benutzt, um sich jeweils auf Sherlock Holmes and Dr. Watson, in Bakerstreet und like music zu beziehen. Demzufolge ist anzunehmen, daß es sich bei diesen Teilketten um Konstituenten handelt. Mithilfe des Pronominalisierungstestes kann auch in Bezug auf die Beispiele in (4..) und (4..) eine präzisere Aussage hinsichtlich der Konstituenz getroffen werden; die Teilketten in (4..) können nämlich pronominalisiert werden:

(4.23.) They cut the grass.

Dahingegen findet sich für keine der Teilketten in (4..) eine Pro-Form, was die Hypothese stützt, daß es sich bei diesen wohl nicht um Konstituenten handelt. Aber auch der Pronominalisierungstest ist nur von begrenzter Gültigkeit, da es nicht für alle Ketten, die intuitiv als Konstituenten gewertet würden, Pro-Formen gibt.

Eine weitere Möglichkeit zur Ermittlung von Konstituenten ist die Anwendung des Fragetests. Er kann ebenfalls als eine Art Subsitutionstest aufgefaßt werden:

Fragetest

Die Teilketten, nach denen sich fragen läßt, sind Konstituenten.

(4.24.) (a) Who is coming today? — My mother.
  (b) When is she coming? — Next Saturday.
  (c) Where did you put the book? — On the table.
  (d) Where are you going? — To London.
  (e) How did you like the mushrooms? — Very well.
  (f) What are you talking about? — The advantages of literacy.
  (g) Why does Jack smoke so much? — Because he is an addict.

Tilgung (Weglaßprobe)

Tilgung

Teilketten, die in einer elliptischen Konstruktion gestrichen werden können, sind Konstituenten.

Beim diesem Test geht es darum, zu sehen, welche Teilketten in einer gegeben Kette gestrichen werden können, ohne daß sich am Verständnis des Ganzen etwas ändert. Eine elliptische Konstruktion ist eine wohlgeformte Konstruktion, in der bestimmte Teilketten unausgedrückt sind.

(4.25.) (a) John won't wash the dishes — I bet he will wash the dishes if you're nice to him.
  (b) John won't help me with my homework, but his brother will help me with my homework

Die Weglaßprobe ist auch nützlich, um für einen gegebenen Satz das "syntaktische Minimun" zu ermitteln und spielt insbesondere für die Ermittlung von Dependenzbeziehungen eine wichtige Rolle (s.u.).

Koordination

Ein wichtiges und besonders zuverlässiges Verfahren der Satzanalyse ist der Koordinationstest. Koordination bedeutet in diesem Zusammenhang die Verknüpfung von Teilketten mithilfe von Konjunktionen wie z.B und. Die Konstituenten, die mithilfe dieses Verfahrens ermittelt werden, gehören zum gleichen Typ.

Koordinationstest

Die Teilketten, die durch Konjunktion miteinander koordiniert werden können, sind Konstituenten, und zwar Konstituenten desselben Typs.

(4.26.) (a) Long speeches and rainy days are depressing
  (b) John gave a very clever and hardly trivial answer.
  (c) Do you know the man next door and his girlfriend?

 

Der Koordinationstest legt nahe, daß die kursiv gesetzten Teilketten Konstituenten sind. In dem nun folgenden Beispiel

(4.27.) (a) John ran up the hill. John ran up the stairs.
  (b) John ran up the hill and up the stairs.

ermitteln wir duch den Koordinationstest die Konstituenten up the hill und up the stairs. Der folgende Beispielsatz (4..) (a) hat, oberflächlich betrachtet, dieselbe Struktur wie (4.27.) (a), es scheint daher plausibel, anzunehmen, daß es sich auch bei up his mother und up his sister um Konstituenten handelt, die koordiniert werden können:

(4.28.) (a) John rang up his mother. John rang up his sister.
  (b) * John rang up his mother and up his sister.

Das Ergebnis zeigt aber, daß dies nicht der Fall ist, die Koordination von up his mother und up his sister führt zu einer Kette, die nicht wohlgeformt ist. Das heißt, daß zwar die Teilketten up the hill und up the stairs Konstituenten sind, up his mother und up his sister dagegen nicht. Dieser Analyse wird durch die Klammerung Rechnung getragen: [John] [ran] [up the hill] im Gegensatz zu [John] [rang up] [his mother].

Daß die miteinander koordinierten Konstituenten zum selben Typ gehören müssen, zeigt das nächste Beispiel:

(4.29.)
(a) John wrote to Mary and to Fred.
  (b) John wrote a postcard and a letter.
  (c) * John wrote a letter and to Fred.
  (d) * John wrote to Mary and a postcard

In (4.29.) (a) und (b) haben die koordinierten Konstituenten jeweils die gleiche Struktur, nämlich Präposition – Nomen in (a) und Artikel – Nomen in (b). In den Sätzen (4.29.) (c) und (d) gehören die koordinierten Konstituenten nicht zum selben Typ, das Ergebnis ist eine nicht wohlgeformte Kette.

Permutation (Umstellprobe oder Verschiebeprobe)

Die Permutation ist eine Operation, welche die Reihenfolge (die lineare Anordnung) von Wörtern bzw. Wortgruppen im Satz verändert.

Verschiebeprobe

Nur Konstituenten können von einer Position innerhalb einer Kette zu einer anderen Position verschoben werden

Dazu das folgende Beispiel:

(4.30.) (a) I don't like your elder sister.
  (b) Your elder sister, I don't like (though your brother is OK).

 

Diese Art der Umstellung von Konstituenten in einem Satz erfüllt oftmals eine rhetorische Funktion, insbesondere, wenn die vorangestellte Sequenz durch eine andere kontrastiert wird, wie in (4.30.) (b). Zusätzliche Beispiele sind:

(4.31.) (a) That kind of attitude, I simply cannot understand.
  (b) Most of these problems a computer could easily solve.
  (c) This topic we will take up again in the section.

Eine Konstituente kann nur ganz und nicht etwa teilweise bewegt werden:

(4.32.) (a) Your elder sister, I don't like.
  (b) * Your elder, I don't like sister.
  (c) * Elder sister, I don't like your.
  (d) * Sister, I don't like your elder.
  (e) * Your, I don't like elder sister.

Transformation (Umformungsprobe)

Neben den oben angesprochenen allgemeineren Verfahren können häufig spezifische einzelsprachliche Konstruktionen zur "Diagnose" herangezogen werden. Für das Englische haben wir beispielsweise bereits die Spaltsätze (It was John who used my tooth brush) und Pseudo-Spaltsätze (What annoys me about John is his dishonesty) sowie die Aktiv-Passiv-Beziehung kennengelernt.

Beispiel

Im nun folgenden Beispiel geht es um die Anwendung einiger der oben vorgestellten Methoden; es soll mit ihnen die gesamte Konstituentenstruktur des Satzes

(4.33.) The vase stood on the table

ermittelt werden.

(4.34.) (a) It stood on the table. (It=The vase, Pronominalisierung)
  (b) What stood on the table was the vase (Pseudo-Spaltsatz)
  (c) Where did the vase stand? On the table (Fragetest)
  (d) What the vase stood on was the table. (Pseudo-Spaltsatz)
  (e) The vase stood on the table and looked splendid. (Koordination)

Damit sind die Wortketten the vase, on the table, the table, stood on the table als Konstituenten ausgewiesen. Da die einzelnen Wörter ebenfalls (terminale) Konstituenten sind, ergibt sich rein logisch nur eine mögliche Konstituentenstruktur:

Dependenz

Wir haben gesehen, daß in einem Satz einige Wörter enger miteinander verknüpft sein können als andere, und daß einige Wörter oder Ketten ausgelassen werden können, ohne daß die Gesamtstruktur zerstört wird, während dies bei anderen nicht der Fall ist. Wir können dieser Tatsache einerseits durch den Begriff der Konstituenz Rechnung tragen, wie wir oben gesehen haben. Im folgenden soll eine andere wichtige syntaktische Relation besprochen werden, die Dependenz oder Abhängigkeit.

Wenn wir das analytische Verfahren der Tilgung (Weglaßprobe) auf bestimmte Beispiele anwenden, stellen wir fest, daß gewisse Wörter nur gleichzeitig mit anderen weggelassen werden können. Zum Beispiel können wir in dem Satz

(4.35.) The students solved extremely difficult problems

das Adjektiv difficult nur weglassen, wenn wir auch das Adverb extremely tilgen:

(4.36.) * The students solved extremely difficult problems
  The students solved extremely difficult problems
  The students solved extremely difficult problems
  * The students solved (extremely) difficult problems

Andersherum setzt das Adverb extremely die Anwesenheit des Adjektivs difficult voraus. Wir werden sagen, daß extremely vom Adjektiv difficult Abhängig ist. Das Adjektiv ist seinerseits vom Nomen problems abhängig. Diese Beziehung der Abhängigkeit wird Dependenz genannt.

Definition 4.14. Dependenz

Dependenz ist eine zweistellige Relation zwischen zwei Wörtern w1 und w2 in einer Kette, wobei das Vorkommen oder die Form oder allgemein das grammatische Verhalten von w1 durch w2 kontrolliert wird.

Definition 4.15. Dependens

Ist w1 von w2 abhängig, dann nennt man w1 das Dependens.

Definition 4.16. Rektion

Rektion ist die Umkehrung der Dependenzrelation. Gegeben seien zwei Elemente w1 und w2: wenn w2 von w1 abhängig ist, dann regiert w1 das w2.

Definition 4.17. Regens

Das kontrollierende Element in einer Dependenzrelation soll Regens genannt werden.

In unserem Beispiel wird das Vorkommen von extremely durch difficult kontrolliert, d.h. extremely ist von difficult abhängig; das Vorkommen von difficult wird durch das Nomen problems kontrolliert. Im Syntagma terribly sorry, wo terribly von sorry abhängig ist, ist sorry das Regens von terribly; sorry regiert terribly.

Ähnlich wie die Konstituenz kann die Dependenz durch Diagramme veranschaulicht werden. Die Dependenzrelation bzw. ihre Umkehrung, die Rektion, wird durch eine Kante angezeigt, die das Dependens nach oben mit dem Regens verbindet. Durch das horizontale Versetzen von Dependens (hier: extremely) und Regens (hier: difficult) wird gleichzeitig die Präzedenzrelation (engl. precedence) ausgedrückt, d.h. die Tatsache, daß in der linearen Abfolge extremely vor difficult steht:

Abb. 4.9. Dependenzstruktur

Im obigen Beispiel ging es darum, daß das Vorkommen eines Elementes vom Vorkommen eines anderen abhängig ist. Ein andere Art der Abhängigkeit liegt vor, wenn die grammatische Form eines Elements von den Eigenschaften eines anderen abhängig ist.

Im Deutschen z.B. wird nicht nur das Vorkommen, sondern auch die Form des attributiven Adjektivs z.B. hinsichtlich der Kategorien Genus ("Geschlecht", d.h. Makulinum, Femininum, Neutrum), Numerus (Einzahl, Mehrzahl), und Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) durch das Nomen kontrolliert. Im Falle des Genus ist dies besonders deutlich zu sehen, weil bei Nomina das Genus ein "inhärentes", d.h. dem jeweiligen Nomen innewohnendes Merkmal ist, während Adjektive von sich aus nicht genusmarkiert sind, sondern sich nach dem inhärenten Genus des Nomens richten.

(4.37.) ein schönes Bild (das Bild) (Neutrum Singular)
  ein schöner Garten (der Garten) (Maskulinum Singular)
  eine schöne Blume (die Blume) (Femininum Singular)
  die schönen Blumen (die Blumen) (Femininum Plural)

Das Verb kontrolliert die Kasusform seiner Komplemente (Ergänzungen):

(4.38.) der Ritter begegnete einem Monster (Dativ)
  er erschlug den Drachen (Akkusativ)
  er harrte der Dinge... (Genitiv)

Präpositionen kontrollieren ebenfalls die Kasusform ihrer Komplemente:

(4.39.) gegen den Strom (Akkusativ)
  mit dem Strom (Dativ)
  außer der Reihe (Genitiv).

Eine besondere Situation liegt bei der Beziehung zwischen Subjekt und Hauptverb eines Satzes vor. Man kann zum Beispiel argumentieren, daß hinsichtlich bestimmter grammatischer Eigenschaften (z.B. Numerus, Person) das Subjekt eines Satzes die Form des finiten Verbs kontrolliert:

(4.40.) Ich singe (4. Person Singular)
  Du singst (2. Person Singular)
  Er singt (3. Person Singular)
  Sie singen (3. Person Plural)

In dieser Hinsicht kann man sagen, daß das Verb vom Subjekt abhängt. Es gibt jedoch andere Merkmale, wo die Annahme plausibler ist, daß das Verb das Subjekt kontrolliert. So verlangen z.B. bestimmte Verben, daß das Nomen des Subjekts zu einer besonderen semantischen Klasse gehört, z.B. die Klasse der Nomina, die Lebewesen bezeichnen, die intentional handeln können.

(4.41.) (a) The boy admires sincerity
  (b) * Sincerity admires the boy
  (c) The mother admires the boy

Die Ungrammatikalität von (4.41.)(b) beruht darauf, daß das Verb admire keine abstrakten Subjekte zuläßt.

Wir müssen also annehmen, daß das Subjekt und das Hauptverb eines Satzes gegenseitig abhängig sind. Man nennt diese gegenseitige Abhängigkeit Interdependenz.

Definition 4.18. Interdependenz

Wenn bei zwei Elementen w1 und w2 sowohl w1 von w2 als auch w2 von w1 abhängig ist, dann sind w1 und w2 interdependent.

Wir wollen in unseren Dependenzdiagrammen die Interdependenz dadurch ausdrücken, daß wir die involvierten Elemente auf der gleichen horizontalen Höhe anordnen und sie mit doppelten Kanten verbinden. In dem Satz Boys admire girls besteht zwischen boys und admire eine Beziehung der gegenseitigen Abhängigkeit, girls wird von admire regiert:

Abb. 4.10. Interdependenz

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Weglaßprobe ein wichtiges Verfahren zur Ermittlung der Dependenzstruktur von Sätzen ist. Was übrig bleibt, wenn alle tilgbaren Wörter und Wortgruppen weggelassen werden, ist die Minimalstruktur des Satzes. Im folgenden Beispiel

(4.42.) (a) A special commission of technical experts proposed a more realistic solution
  (b) A special commission of technical experts proposed a more realistic solution
  (c) A commission proposed a solution
  (d) Commission proposed solution

erhalten wir in (4.42.)(c) die Mimimalstruktur. Im Telegrammstil oder in Zeitungsüberschriften kann dies weiter wie in (4.42.)(d) reduziert werden, wobei commission und proposed interdependent sind.

Dafür erhalten wir folgende Abhängigkeitsstruktur

Abb. 4.11.

Das getilgte Adjektiv special ist von commission abhängig. Wir haben schon ausgeführt, das Präpositionen ihre Komplemente regieren. In der Wortgruppe of technical experts regiert of das Nomen experts und dieses wiederum technical. Dafür erhalten wir folgende Teildependenzstruktur.

Abb. 4.12.

Die Gruppe of technical experts ist eine nähere Bestimmung von commission, hängt also von diesem ab. Analoges gilt für more realistic, das von solution regiert wird. Für den ganzen Satz erhalten wir damit folgende Dependenzstruktur:

Abb. 4.13.

Wie werden später sehen, daß ein sehr enger Zusammenhang zwischen der Dependenzstruktur und der Konstituentenstruktur eines Satzes besteht.

Grammatische Kategorien

Konstituentenklassen

Theoretisch würde die fortgesetzte Konstituentenanalyse von Sätzen die Menge der Konstituenten einer Sprache liefern. Es wäre jedoch dennoch unmöglich, die Menge der Sätze durch Konstituenten allein formal zu charakterisieren, weil die Menge der Konstituenten, ebenso wie die Menge der Sätze, nicht endlich ist. Man kann jedoch zeigen, daß die Konstituenten bestimmte formale und funktionale Eigenschaften gemeinsam haben, so daß es möglich ist, sie als Elemente der gleichen Klasse aufzufassen. Die Menge der möglichen Konstituenten kann also in eine begrenzte Zahl von Teilmengen unterteilt werden, die wir Konstituentenklassen nennen.

Im folgenden Satz zum Beispiel

(4.43.) Peter met the man in the moon

kann Peter durch die Konstituenten the girl, the old man over there etc. substituiert werden:

(4.44.)

(a)

Peter

met the man in the moon

 

(b)

The girl

 
 

(c)

The old man over there

 
 

(d)

The fair-haired baby

 
 

(e)

The rhinoceros we caught last year

 

Alle diese untereinander substituierbaren Ausdrücke sind Mitglieder der gleichen Konstituentenklasse. Eine ihrer gemeinsamen Eigenschaften ist, daß sie in der Umgebung met the man in the moon kommutieren. Sie können auch die Kette the man in the moon ersetzen, d.h. in der Umgebung Peter met vorkommen.

(4.45.)

Peter met

the man in the moon

(a)

   

the girl

(b)

   

the old man over there

(c)

   

the fair-haired baby

(d)

   

the rhinoceros we caught last year

(e)

Die Menge der Kontexte oder Umgebungen, in welchen eine sprachliche Einheit vorkommen kann, nennt man ihre Distribution. Mit dem Begriff der Distribution kann der Begriff Konstituentenklasse wie folgt definiert werden:

Definition 4.19. Konstituentenklasse

Eine Konstituentenklasse ist eine Menge von Konstituenten, die hinsichtlich ihrer Distribution (zumindest teilweise) äquivalent sind.

Wir werden noch sehen, daß die gemeinsamen Eigenschaften von Konstituenten einer bestimmten Klasse wesentlich mit ihrem internen Aufbau zu tun haben.

Lexikalische Kategorien

Es gibt einige Konstituentenklassen, die uns aus der Schulgrammatik vertraut sind. Es handelt sich um die Wortarten. Diese werden lexikalische Kategorien genannt.

Definition 4.20. lexikalische Kategorie

Die Wortklassen Determinator (D), Nomen (N), Verb (V), Adjektiv (A), Präposition (P) und Konjunktion (K) sind lexikalische Kategorien.

Die Klasse der Determinatoren (engl. determiners) umfaßt u.a. die Artikel (the, a/an, some), die Demonstrativpronomina (this, these; that, those) sowie die Possessivpronomina (my, your, his, her, its, our, their).

Die Wortarten haben eine lange grammatische Tradition (vgl. Robins 1966). Näheres dazu im Kapitel Morphologie.

Wortart

Symbol

Beispiele

Nomen (Substantiv)

N

dog, girl, house, honesty ...

Verb

V

jump, sing, kick, study, feel ...

Adjektiv

A

bad, good, tall, green, angry

Determinator

D

 
 

Artikel

 

a, an, the

 

Demonstrativpronomen

 

this, that, these, those

 

Possesivpronomen

 

my, your, her, his, its

Präposition

P

on, in, under, over, across

Abb. 4.14. Lexikalische Kategorien

Syntaktische Kategorien

Wir haben Dependenz als wichtige grammatische Relation kennengelernt und es gibt Grammatikmodelle, die ausschließlich auf der Dependenzrelation aufbauen (sog. Dependenzgrammatiken, vgl. Tesnière 1959 (1980), Weber 1992). Die Dependenz kann jedoch auch im Rahmen der Konstituentenanalyse als methodisches Verfahren zur Identifizierung von Konstituenten eingesetzt werden. Es gilt folgendes Prinzip:

Ein Regens und alle von ihm kontrollierten abhängigen Elemente bilden zusammen eine Konstituente.

Wir setzen das Verfahren im folgenden zur Ableitung des Begriffs der syntaktischen Kategorie ein. Bis jetzt haben wir Dependenz als Relation zwischen Wörtern aufgefaßt. Der Dependenzbegriff kann und muß so verallgemeinert werden, daß Abhängigkeiten erfaßt werden, die allgemein zwischen Elementen bestimmter Wortklassen bestehen. So werden wir sagen, daß in der Kette ein schönes Gemälde die Dependenz des Wortes schönes von Gemälde eine Instanz der Dependenz eines attributiven Adjektivs vom Nomen ist. Wir können nun die Dependenzstruktur einer Konstituente unter Bezug auf die Klassen repräsentieren, der die einzelnen Wörter in der Kette angehören. Die Knoten in einem Dependenzbaum werden durch die Namen lexikalischer Kategorien benannt. Wie vorher, repräsentiert die relative horizontale Anordnung die Präzedenz-Relation (in der Kette A N geht A dem N voraus). Eine gestrichelte Linie zwischen einem Wort und seiner Kategorie repräsentiert die Relation ‘ist ein (Element von)’, z.B. ‘auf ist ein P.

Zum Beispiel:

Abb. 4.15. Verallgemeinerte Dependenzstruktur

Auf der Grundlage dieser Verallgemeinerung können wir den Begriff X-Phrase wie folgt definieren, wobei X eine beliebige lexikalische Kategorie (N, V, A, P, ... ) ist:

Definition 4.21. X-Phrase

Eine regierende lexikalische Kategorie X zusammen mit all ihren Abhängigen konstituiert eine X-Phrase, abgekürzt XP.

Definition 4.22. lexikalischer Kopf

Die regierende lexikalische Kategorie X einer X-Phrase ist der (lexikalische) Kopf dieser Phrase.

Hierbei handelt es sich um ein Definitionsschema, das durch Einsetzen einer lexikalischen Kategorie für X zu einer Definition für eine entsprechende Phrase wird und gleichzeitig ein Symbol dafür liefert. Ersetzen wir X beispielsweise durch N, dann erhalten wir etwa folgende Formulierung:

Definition 4.23. N-Phrase (Nominalphrase)

Eine regierende lexikalische Kategorie N zusammen mit all ihren Abhängigen konstituiert eine N–Phrase, abgekürzt NP, genannt Nominalphrase. Das N ist der Kopf dieser Phrase.

Im obigen Beispiel ist die gesamte Kette die braunen Flecken auf der Nase eine N–Phrase (= Nominalphrase, abgekürzt NP).

Definition 4.24. V–Phrase (Verbalphrase)

Eine regierende lexikalische Kategorie V zusammen mit all ihren Abhängigen konstituiert eine V–Phrase, abgekürzt VP, genannt Verbalphrase. Das V ist der Kopf dieser Phrase.

Definition 4.25. A–Phrase (Adjektivphrase)

Eine regierende lexikalische Kategorie A zusammen mit all ihren Abhängigen konstituiert eine A–Phrase, abgekürzt AP, genannt Adjektivphrase. Das A ist der Kopf dieser Phrase.

Definition 4.26. P–Phrase (Präpositionalphrase)

Eine regierende lexikalische Kategorie P zusammen mit all ihren Abhängigen konstituiert eine P–Phrase, abgekürzt PP, genannt Präpositionalphrase. Das P ist der Kopf dieser Phrase.

Die Kette auf der Nase ist eine P–Phrase (=Präpositionalphrase, abgekürzt PP) und enthält eine weitere NP: der Nase.

Alle X-Phrasen können auch aus dem Kopf alleine bestehen. Ein einzelnes Wort bildet eine X-Phrase, wenn es die gleiche syntaktische Position wie die entsprechende X-Phrase einnimmt, d.h. mit einer X-Phrase kommutiert. Das Adjektiv in a tall boy kommutiert mit very tall: a very tall boy. Das Wort tall ist also einerseits ein Element der lexikalischen Kategorie Adjektiv: [tall]A, es ist andererseits der Kopf einer Adjektivphrase, die keine weiteren Abhängigen hat: [[tall]A]AP.

Der eigentliche Dependenzbaum in Abb. 4.15. repräsentiert nun nicht mehr nur die Dependenzstruktur einer einzelnen Kette sondern vielmehr die einer Klasse von Ketten. Die Kette die grünen Männchen auf dem Mars hat die gleiche Dependenzstruktur:

Abb. 4.16.

Über den Begriff der X-Phrase können wir jetzt auch systematisch einen Zusammenhang zwischen Dependenzstrukturen und Konstituentenstrukturen und allgemein zwischen Dependenz und Konstituenz herstellen:

Abb. 4.17. Dependenz und Konstituenz

Betrachten wir nun folgenden englischen Satz

(4.46.) The automatic trucks from the factory carry coal up the sharp incline

Wenn wir die analytischen Operationen der Tilgung und Substitution auf die Konstituente the automatic trucks from the factory dieses Satzes anwenden, erhalten wir folgende Menge von Konstituenten:

(4.47.)

a. The automatic trucks from the factory

carry coal up the sharp incline

 

b. The automatic trucks

 
 

c. The trucks

 
 

d. Automatic trucks

 
 

e. Trucks

 

 

Diese Konstituenten (a – e) haben nicht nur gemeinsame distributionelle Eigenschaften, sie teilen sich auch Eigenschaften der internen Struktur. Was sie u.a. gemeinsam haben ist, daß sie ein Nomen als lexikalischen Kopf haben, d.h. sie erfüllen alle die Definition einer N–Phrase (Nominalphrase):

Abb. 4.18.

All diese Syntagmen können durch Anfügen der Kette from the factory (einer PP) erweitert werden. Die strukturellen Möglichkeiten einer Nominalphrase lassen sich wie folgt tabellarisch darstellen, wobei fakultative Elemente eingeklammert sind:

NP

(D)

(AP)

N

(PP)

 

(Adv)

A

 

P

NP

         

(D)

N

Abb. 4.19.

In dem Satz the policeman stole a button ist die Teilkette the policeman eine Nominalphrase. Wir können jetzt die Frage stellen, welche Syntagmen in der Umgebung the policeman oder allgemeiner in der Umgebung NP vorkommen können. Einige Möglichkeiten zeigt das folgende Beispiel:

(4.48.)

The policeman

a.

slept

   

b.

is quite bald

   

c.

stole a button

   

d.

gave his mother a cake

   

e.

sent for the doctor

   

f.

took the book from the shelf

 

Was diese Ketten gemeinsam haben ist, daß sie ein Verb als lexikalischen Kopf haben. Sie sind Verbalphrasen (abgekürzt VP). (Die Kette quite bald ist eine Adjektivphrase (AP) und besteht aus einem Gradadverb (Adv) das vom Adjektiv abhängt.)

Abb. 4.20. Strukturen der Verbalphrase

Üblicherweise wird in der Dependenztheorie davon ausgegangen, daß die Subjekts-Nominalphrase vom Hauptverb abhängig ist. Wir werden dieser Praxis hier nicht folgen. Wie schon früher erwogen, werden wir davon ausgehen, daß die Beziehung zwischen der Subjekts-Nominalphrase und dem Verb auf Interdependenz beruht. Ein einfacher Satz wie

(4.49.) The gardener planted a tree

wird wie folgt repräsentiert werden:

Abb. 4.21.

Die Subjekts-Nominalphrase (hier: the gardener) und die Verbalphrase (hier: planted a tree) bilden zusammen einen Satz.

Abb. 4.22.

Definition 4.27. syntaktische Kategorie

Die Kategorie Satz (S) und alle X-Phrasen (XP), wobei X eine lexikalische Kategorie ist, sind syntaktische Kategorien.

Definition 4.28. grammatische Kategorie

Lexikalische Kategorien and syntaktische Kategorien sind (primäre) Grammatische Kategorien.

Die wichtigsten Kategorien sind in der folgenden Tabelle zusammengefaßt. Die Punkte deuten an, daß eventuell weitere Kategorien angenommen werden müssen, um die syntaktische Struktur natürlicher Sprachen adäquat beschreiben zu können.

 

Grammatische
Kategorien

Kategorialsymbol

Syntaktische

Satz

S

Kategorien

Nominalphrase

NP

 

Verbalphrase

VP

 

Adjektivphrase

AP

 

Präpositionalphrase

PP

     

Lexikalische

Determinator

D

Kategorien

Nomen

N

 

Verb

V

 

Adjektiv

A

 

Präposition

P

 

Konjunktion

K

     
NP: a radioactive mineral, a splinter in my eye, all these very old ladies
VP: painted the wall, swam across the channel, ran fast, stood on his head ...
AP: very old, bigger than a Cadillac, easy to please, conducive to good health...
PP: in the garden, under the table, across the channel ...

Phrasenstruktur-Grammatik (PSG)

Phrasenstruktur

Wir können zwei Grundmodelle der grammatischen Beschreibung unterscheiden, je nachdem, welche Art grammatischer Relation als grundlegend betrachtet wird. Zur Auswahl stehen Dependenz und Konstituenz. Die meisten der gegenwärtigen Grammatiktheorien verwenden die Konstituenz als ihre Grundrelation. Wir haben jedoch bereits gesehen, daß zwischen der Konstituentenstruktur und der Dependenzstruktur ein enger Zusammenhang besteht. Beide erfassen wesentliche Aspekte der syntaktischen Struktur von Sätzen und es wäre wünschenswert, eine Repräsentationsform zu finden, die beiden Aspekten Rechnung trägt. Wir werden später zu dieser Frage zurückkehren. In den folgenden Abschnitten werden wir ein geläufiges Grammatikmodell behandeln, das auf der Grundrelation der Konstituenz aufbaut. Konstituenten oder Syntagmen werden im Englischen auch Phrases genannt, was dem zur Diskussion stehenden Grammatiktyp seinen Namen gegeben hat: Phrase Structure Grammar, ins Deutsche übernommen als Phrasenstruktur-Grammatik, abgekürzt als PS-Grammatik bzw. PSG. Für den folgenden Satz

(4.50.) The radical change produced reflection upon other issues

kann die Konstituentenstruktur in Abb. 4. angenommen werden:

Mit den in den vorangehenden Abschnitten eingeführten Begriffen können Sätze nunmehr unter Bezug auf die Konstituentenklassen oder grammatischen Kategorien analysiert werden, welchen ihre Konstituenten angehören.

Abb. 4.23.

Alle Konstituenten in Abb. 4.23. gehören zu bestimmten Konstituentenklassen (vgl. Abb. 4..) Zum Beispiel:

  • The radical change ist eine Nominalphrase
  • produced reflection upon other issues ist eine Verbalphrase
  • reflection upon other issues ist eine Nominalphrase
  • upon other issues ist eine Präpositionalphrase
  • other issues ist eine Nominalphrase

Wir können dies weiter untermauern, indem wir die Dependenzstruktur jeder Konstituente betrachten und die Definition der X-Phrase darauf anwenden:

Abb. 4.24.

Wir können allgemein die Aussage, daß eine bestimmte Wortfolge Wk ein Element einer bestimmten Kategorie Kat ist, in Form Kat(Wk) ausdrücken. Zum Beispiel kann die Aussage, daß die Kette the radical change eine Nominalphrase ist, durch NP(the radical change) repräsentiert werden.

Auf diese Weise können wird die Mitgliedschaft der Konstituenten eines gegebenen Satzes in grammatischen Kategorien darstellen.

Abb. 4.25.

Die Verzweigungen in diesem Baum repräsentieren die Relation der Konstituenz: Ein Baum wie

Abb. 4.26.

wobei k, k1, k2 Ketten sind, repräsentiert eine Menge von Aussagen wie die folgenden:

  • k ist ein Satz
  • kl ist eine Nominalphrase
  • k2 ist eine Verbalphrase
  • kl ist eine unmittelbare Konstituente von k
  • k2 ist eine unmittelbare Konstituente von k
  • kl steht vor k2
  • k = kl + k2 (i.e. k ist Verkettung von kl und k2)

Phrasen-Struktur-Regeln

Es ist üblich, die Kategorialsymbole selbst als Kettenvariable fungieren zu lassen:

Abb. 4.27.

In dieser Konfiguration repräsentiert NP eine Kette mit den folgenden Eigenschaften:

  • sie ist eine Nominalphrase;
  • sie ist eine unmittelbare Konstituente einer weiteren Kette, die zur Kategorie S gehört;
  • sie steht unmittelbar vor einer Kette, die eine VP ist.

Mit diesen Begriffen kann die Konstituentenstruktur von Sätzen nunmehr unter Bezug auf die syntaktischen Kategorien, welchen jede Konstituente angehört, repräsentiert werden. Das wird in dem Beispiel Abb. 4.. gezeigt. Wie in den Dependenzdiagrammen wird die ist-ein-Relation zwischen Wörtern und Wortklassen durch eine gestrichelte Linie angezeigt.

Abb. 4.28.

Was übrig bleibt, wenn wir die lexikalischen Elemente weglassen, ist eine Repräsentation der Konstituentenstruktur nicht nur des Ausgangssatzes, sondern einer ganzen Klasse von Sätzen, nämlich der Klasse von Sätzen, welche die gleiche Konstituentenstruktur wie der Ausgangssatz haben. Auf der Grundlage von Verallgemeinerungen dieser Art können wir jetzt Regeln formulieren, die bestimmen, wie Ketten, die Sätze ausdrücken, aus Konstituenten aufgebaut sind, die zu bestimmten grammatischen Kategorien gehören. Wir können beispielsweise die Verallgemeinerung treffen, daß eine Kette k ein Satz ist, wenn sie aus zwei Teilketten kl und k2 besteht derart, daß k = kl+ k2, kl zur Kategorie NP gehört und k2 zur Kategorie VP. Wir werden dies wie folgt darstellen:

(4.51.) S → NP VP

Diese Regeln werden Konstituentenstruktur-Regeln (KS-Regeln) oder Phrasenstruktur-Regeln (PS-Regeln) genannt:

Definition 4.29. Phrasenstruktur–Regel

Phrasenstruktur–Regeln sind Regeln, die die unmittelbaren Konstituenten von Ketten und deren Zugehörigkeit zu grammatischen Kategorien festlegen. Ihre allgemeine Form ist A → B, wobei A eine grammatische Kategorie (der Regelkopf) ist und B ein Kette aus einer oder mehreren grammatisch Kategorien (der Regelkörper), oder ein lexikalisches Element. Ist B ein lexikalisches Element, drückt A → B die ist-ein-Relation aus (B ist ein A).

Definition 4.30. Phrasenstruktur-Grammatik (PSG)

Die Menge der Phrasenstruktur-Regeln einer Sprache ist eine Phrasenstruktur-Grammatik dieser Sprache.

Beispiel für eine einfache Phrasenstrukturgrammatik (Englisch):

Definition 4.31. Strukturbeschreibung

Die Strukturbeschreibung eines Satzes ist eine Spezifikation seiner Konstituentenstruktur unter Angabe der Zugehörigkeit zu grammatischen Kategorien.

Definition 4.32. generative Grammatik

Die Menge der Regeln, die explizit festlegen, welche Wortketten Sätze einer Sprache sind und gleichzeitig jedem Satz eine Strukturbeschreibung zuweisen, ist eine generative Grammatik dieser Sprache.

Definition 4.33. Phrasenmarker

Jede Repräsentation, welche die Konstituentenstruktur eines Satzes und die Mitgliedschaft jeder Konstituente in grammatischen Kategorien darstellt, ist ein Phrasenmarker (PM).

Die üblichen Formen eines Phrasenmarkers sind indizierte Klammern oder indizierte Bäume, die in verschiedener Gestalt auftreten. Zum Beispiel kann eine Regel wie S &rarrM NP VP als Anweisung folgender Art aufgefaßt werden: "Gegeben sei das Kategorialsymbol S in einer Kette von Kategorialsymbolen. Ersetze S durch den Ausdruck [NP VP]S". Mit den oben aufgeführten PS-Regeln können wir beispielsweise die folgende schrittweise Ableitung konstruieren:

1. S

2. [NP VP]S

3. [[D N]NP VP]S

4. [[D N]NP [V NP]VP]S

5. [[D N]NP [V [D N]NP]VP]S

6. [[[the]D N]NP [V [D N]NP]VP]S

7. [[[the]D [boy]N]NP [V [D N]NP]VP]S

8. [[[the]D [boy]N]NP [[petted]V [D N]NP]VP]S

9. [[[the]D [boy]N]NP [[petted]V [[the]D N]NP]VP]S

10. [[[the]D [boy]N]NP [[petted]V [[the]D [dog]N]NP]VP]S

 

Ein Baum besteht aus einer Menge von Knoten, die durch Kategorialsymbole (S, NP, VP etc.) bezeichnet werden, und einer Menge von Kanten, welche die Knoten verbinden und bestimmte Relationen zwischen Kategorien repräsentieren. Die Regel S → NP VP kann als folgende Anweisung interpretiert werden: "Gegeben sei der Knoten S in einem Baum: konstruiere einen Teilbaum durch Anhängen der Knoten NP und VP in dieser Reihenfolge," d.h.

 

 

Gleichzeitig definiert die Regel Relationen zwischen den Knoten:

Definition 4.34. unmittelbar dominieren

Gegeben sei eine Regel , wobei X und Kategorien sind. Dann gilt: X dominiert unmittelbar jedes . Die Regel spezifiziert, daß S in dem entsprechenden Phrasenmarker unmittelbar NP und VP dominiert.

Definition 4.35. dominieren

Dominieren ist eine binäre Relation zwischen zwei Kategorien X und Y mit folgenden Eigenschaften:

  1. X dominiert Y, wenn X das Y unmittelbar dominiert.
  2. X dominiert Y, wenn es ein Z gibt derart, daß X unmittelbar Z dominiert, und Z Y dominiert.

Zum Beispiel dominiert in dem folgenden Baum S unmittelbar die Knoten NP1 und VP; es dominiert den Knoten N2, weil es einen Weg S → VP → NP2 → N2 gibt, wo jedes nebeneinanderstehende Paar in der "dominiert unmittelbar" Relation steht.

Abb. 4.30.

Definition 4.36. Präzedenz

Eine PS-Regel der Form A → B C sagt auch aus, daß in der Kette A die Teilkette B der Teilkette C vorausgeht.

Zur Identifizierung bestimmter Positionen in einem Baum werden häufig Ausdrücke aus einer Stammbaummetapher verwendet (Mutter, Tochter, Schwester, etc.):

Definition 4.37. Mutter

Ein Knoten ist die Mutter aller Knoten, die er direkt dominiert.

In unserem Beispielbaum ist S die Mutter der Knoten NP1 und VP, VP ist die Mutter von V und NP2. (Statt Mutter wird auch Vater verwendet).

Definition 4.38. Tochter

Knoten, die direkt von einem anderen Knoten dominiert werden, sind Töchter dieses Knotens. Die Tochterrelation ist die Umkehrung der Mutterrelation, d.h. es gilt für zwei beliebige Knoten X und Y: wenn Mutter(X, Y ) dann Tochter(Y, X)

Die Töchter von S sind NP1 und VP.

Mütter und Töchter

Abb. 4.31. Mütter und Töchter

Definition 4.39. Vorfahr

Ein Knoten ist Vorfahr aller Knoten, die er dominiert.

Zum Beispiel ist VP der Vorfahr der Knoten V, NP2, D2 und N2.

 

Definition 4.40. Abkömmling

Knoten, die von einem anderen Knoten dominiert werden, sind Abkömmlinge diese Knotens. Die Abkömmling-Beziehung ist die Umkehrung der Vorfahr-Relation, d.h. es gilt für zwei beliebige Knoten X und Y: wenn Vorfahr(X, Y ) dann Abkömmling(Y, X).

Definition 4.41. Schwester

Knoten, die Töchter des gleichen Knotens (der gleichen Mutter) sind, sind Schwestern von einander (sind Geschwister).

Abb. 4.32. Vorfahren und Abkömmlinge

Es gibt gewisse Abkürzungskonventionen zur Vereinfachung der Formulierung von PS-Regeln. Geschweifte Klammern ‘{’ ‘}’ zeigen Alternativen an. Mehrere Regeln mit dem gleichen Regelkopf, aber verschiedenen Regelkörpern, können durch die Verwendung von geschweiften Klammern zusammengefaßt werden:

(4.52.) kann zu zusammengefaßt werden.

Optionale (fakultative) Elemente können eingeklammert werden, so daß sich die obige Regel weiter zur folgenden Fassung vereinfache läßt:

(4.53.) VP → V(NP)

Es folgt eine vereinfachte PS-Grammatik des Englischen. Wir unterscheiden zwischen syntaktischen und lexikalischen Regeln:

 

Syntaktische Regeln:

(1) S → NP VP

(2) VP → V(NP)(PP)

(3) NP → (D)(AP)N(PP)

(4) PP → P NP

(5) AP → (ADV)A

Lexikalische Regeln:

(6) D → a,the

(7) N → boy, girl, student, professor...

(8) V → slept, ran, called, wrote

(9) A → young,old,nice,pretty

(10) P → in, under, over, across

(11) ADV → very,extremely,terribly...

 

Eine Phrasenstrukturregel wie

S → NP VP

kann auf unterschiedliche Weise interpretiert werden:

1. Symbole die links des Pfeils stehen dominieren unmittelbar Symbole rechts des Pfeils, d.h. S dominiert unmittelbar NP und VP. Die Reihenfolge der Symbole auf der rechten Seite des Pfeils stellt die Präzedenzrelation (x vor y) dar. Symbole rechts des Pfeils dominieren vollständig die Symbolfolge auf der rechten Seite. Die Umkehrung der Relation "dominiert vollständig" ist die Relation "ist ein". S dominiert vollständig die Folge NP + VP, die Folge NP + VP ist ein S.

2. Besteht aus: Eine Kette der Kategorie links des Pfeils besteht aus (hat als unmittelbare Konstituenten) Teilketten der Kategorien rechts des Pfeils, in der angegebenen Reihenfolge. Eine Kette k, die ein S ist, besteht aus zwei Teilketten ~l und k2 derart, daß gilt kl ist ein NP und k2 ist ein VP, und k = kl + k2, wobei + die Operation der Verkettung symbolisiert.

3. Mengentheoretische Interpretation: Die Menge der Elemente der Kategorie links des Pfeils ist definiert durch das kartesische Produkt aus den Mengen der Elemente der Kategorien rechts des Pfeils: S = NP x VP. Sei beispielsweise NP={Hans, Maria} und VP={singt, lacht}, dann ist S = NP x VP={(Hans, singt), (Hans, lacht), (Maria, singt), (Maria, lacht)}.

4. Konstruktionsanweisungen

a. Gegeben sei das Symbol links des Pfeils; ersetze es durch die Symbolkette rechts des Pfeils. Z.B. sei S gegeben, dann ersetze S durch NP VP.

b. Etwas informativer als (a): ersetze S durch den Klammerausdruck [NP VP]s, wodurch Strukturbeschreibungen entstehen, welche die "ist ein"-Relation repräsentieren.

c. Gegeben sei das Symbol links des Pfeils als Knoten in einem Baum. Verbinde den Knoten mit den Knoten rechts des Pfeils in der angegebenen Reihenfolge. Gegeben sei S, konstruiere S

NP VP

Anderes ausgedrückt, durch eine PS-Regel wird ein wohlgeformter Teilbaum definiert. Dies ist natürliche nur eine "Spielzeuggrammatik". Eine realistische Grammatik wird sehr viel mehr Regeln enthalten und sehr viel komplexere Strukturen erfassen müssen, als bisher besprochen wurden. Bevor wir unsere Analyse englischer Sätze fortsetzen, wollen wir einige weitere Beispiele diskutieren.

Erweiterungen der Phrasenstrukturgrammatik

Die Grammatik am Ende des vorherigen Abschnittes ist natürlich nur eine "Spielzeuggrammatik". Eine realistische Grammatik wird aus sehr viel mehr Regeln bestehen und sehr viel komplexere Strukturen beschreiben müssen, als die bisher besprochenen. Insbesondere fehlen Regeln für die Beschreibung zusammengesetzter Sätze. Bevor wir uns mit einigen Erweiterungen dieser Grammatik befassen, wollen wir einige einfache Beispiele diskutieren.

Gegeben seien die folgenden Sätze:

(4.54.) (a) The clever burglar bribed a policeman
  (b) The senile senator wooed a young lady with a baby
  (c) A Maoist student stole the wig of the bald professor

Es soll eine PS-Grammatik erstellt werden, welche diese alle diese Sätze beschreibt. Diese Sätze sind auf einer allgemeinen Strukturebene nach dem gleichen Muster gebaut. Dies wird deutlich, wenn wir durch Anwendung der Weglaßprobe ihre Minimalstruktur ermitteln.

(4.55.) (a) The clever burglar bribed a policeman
  (b) The senile senator wooed a young lady with a baby
  (c) A Maoist student stole the wig of the bald professor

Wir können die Sätze wie folgt gruppieren:

(4.56.)

Diesen Fakten wird zunächst durch folgende Phrasenstrukturregeln Rechnung getragen:

R1: S → NP VP
R2: VP → V NP

Was noch darzustellen bleibt, ist die interne Struktur der Nominalphrasen:

(4.57.)

Weggelassen werden können die Adjektive clever, senile, Maoist, young, bald und die Wortgruppen with a baby und of the bald professor. Letztere setzen sich aus einer Präposition und einer Nominalphrase zusammen:

(4.58.)

Dafür brauchen wir also folgende Regeln:

R3: NP → D (AP) N (PP)
R4: PP → P NP
R5: AP → A

Die übrigen Regeln sind Regeln des Lexikons.

Gegeben sei die Grammatik aus dem vorhergehenden Beispiel. Zeigen Sie, daß der nachfolgende Satz ebenfalls zur Sprache gehört, die durch diese Grammatik definiert wird:

(4.59.) The young student with the wig of the Maoist professor bribed the senile policeman

Rekursive Kategorien

Betrachten wir die beiden folgenden Regeln

(4.60.) (1) NP → D N (PP)

(2) PP → P NP

Sie erklären Syntagmen wie [[the]D [tree]N [in the garden]PP ]NP. Es handelt sich dabei um eine Nominalphrase, welche eine Präpositionalphrase ([in the garden]PP) enthält. Gemäß Regel (2) jedoch besteht eine Präpositionalphrase ihrerseits aus eine Präposition und einer Nominalphrase. Ausgehend von einem Teilbaum wie in Abb. 4.34. wird die Regel (1) erneut anwendbar, wobei möglicherweise eine weitere PP als Teil der Nominalphrase eingeführt wird.

Abb. 4.34.

Es entsteht so ein Zyklus: Regel (1) kann eine Präpositionalphrase einführen, wodurch Regel (2) erneut anwendbar wird, was uns zur Regel (1) zurückführt, und so fort.

Abb. 4.35.

Der Zyklus endet, wenn die optionale Präpositionalphrase in der NP-Regel nicht gewählt wird:

Abb. 4.36.

Kategorien, welche dies Eigenschaft haben, d.h. die in Konfigurationen vorkommen wie

Abb. 4.37.

sind rekursive Kategorien. In unserem Beispiel sind NP und PP rekursive Kategorien. Rekursivität erklärt die Nicht-Endlichkeit natürlicher Sprachen. Weil Nominalphrasen potentiell nicht abgeschlossen sind, können auf diese Weise unbegrenzt viele davon konstruiert werden.

Ähnliches gilt für Relativsätze wie: The dog that chased the cat... Wie Präpositionalphrasen sind Relativsätze Konstituenten von Nominalphrasen, d.h. die Phrasenstruktur des zur Diskussion stehenden Beispiels sieht ungefähr wie folgt aus:

Abb. 4.38.

Zur Erklärung solcher Strukturen benötigen wir eine NP-Regel wie

(4.61.) ,

die besagt, daß der Kopf einer Nominalphrase fakultativ entweder durch eine Präpositionalphrase oder durch einen ganzen Satz modifiziert werden kann. Nun enthalten Sätze offensichtlich ihrerseits Nominalphrasen in unterschiedlichen Positionen, so daß die Kategorie S mehrfach auftreten kann. Mit anderen Worten: die Kategorie S ist eine rekursive Kategorie.

(4.62.) The dog [that chased the cat [that chased the rat [that chased the mouse [that stole the cheese]]]]... collapsed.

Abb. 4.39.

Subkategorisierung

Gegeben sei die folgende stark vereinfachte PS-Grammatik des Englischen:

SYNTAKTISCHE REGELN:

(4.63.) (1) S → NP VP
  (2) VP → V (NP)(PP)
  (3) NP → (D)(AP) N (PP)
  (4) AP → (ADV) A
  (5) PP → P NP

LEXIKALISCHE REGELN:

(4.63.) (6) D → the,...
  (7) N → boy, girl, student, professor, sincerity, book ...
  (8) V → slept, ran, called, wrote, admired, frightened,...
  (9) A → young, old, nice, pretty,...
  (10) ADV → very, extremely, terribly ...
  (11) P → to, about, in, into, against ...

Dabei handelt es sich um ein erstes Modell der internalisierten Grammatik eines kompetenten Sprechers des Englischen, welche sein sprachliches Wissen bestimmt. Dieses Modell ist in mehrfacher Hinsicht inadäquat. Erstens prognostiziert es Sätze, die bezüglich der Grammatik des Englischen ungrammatisch sind:

(4.64.) (1) *the boy ran the professor
  (2) *the student admired the sincerity
  (3) *the sincerity admired the student
  (4) *the book frightened
  (5) *the student slept about the book
  (6) *the book called the professor to the girl

Zweitens werden Ketten, die zweifelsfrei Sätze des Englischen sind, nicht erfaßt, selbst wenn wir annehmen, daß die darin vorkommenden Wörter in den lexikalischen Regeln enthalten sind.

(4.64.) (7) the student bought the book the professor wrote
  (8) the professor was completely in the wrong
  (9) sincerity frightened the boy
  (10) they elected John president

Folglich müssen wir unser Modell modifizieren und ein verbessertes Modell konstruieren, welches die ungrammatischen Sätze nicht zuläßt aber die grammatischen in (4.64)(7) – (10) erfaßt. Dazu müssen wir zunächst herausfinden, was an den abweichenden Sätzen eigentlich falsch ist. Wie können wir den Fehler beseitigen?

(4.65.) (1) (a) the boy ran (to the professor)
  (2) (a) the student admired sincerity (the sincerity of the professor)
  (3) (a) the professor admired the student
  (3) (b) the student admired sincerity
  (4) (a) the book frightened the student
  (5) (a) the student talked about the book
  (6) (a) the student called the professor
  (6) (b) the professor gave the book to the girl

(4.)(1) ist deshalb ungrammatisch, weil das Verb run (im Gegensatz zu saw) im allgemeinen kein direktes Objekt zuläßt; es ist ein intransitives Verb. Wir erhalten korrekte Sätze, indem wir entweder the professor ganz weglassen oder durch die Präposition to erweitern.

(4.)(2) ist abweichend, weil sincerity ein Nomen ist, das bei unspezifischer (generischer) Referenz ohne Artikel steht (im Gegensatz zum spezifischen the sincerity of the professor). Das Verb admire in (4.)(3) hinwiederum legt dem Subjekt Beschränkungen auf: es muß als Kopf ein Nomen haben, das ein menschliches Lebewesen bezeichnet.

Es gibt in grammatischen Ausdrücken offensichtlich Abhängigkeiten, deren Beschreibung es erforderlich macht, innerhalb der verschiedenen lexikalischen Kategorien Subkategorien (Unterkategorien) zu unterscheiden, je nach der syntaktischen Umgebung, in der sie vorkommen können.

Definition 4.42. Subkategorisierung

Subkategorisierung nennt man die Untergliederung der lexikalischen Kategorien (Nomen, Verb, etc.) in syntaktisch-semantisch motivierte Subkategorien um bestimmten Abhängigkeitsbeziehungen im Satz Rechnung zu tragen.

Wenn wir zunächst auf die Verben konzentrieren, müssen wir Verben, die keine Ergänzung (Komplement) zulassen, von solchen unterscheiden, die Ergänzungen zulassen oder gar fordern, und bei letzteren verschiedene Unterarten. So verlangt admire eine Nominalphrase als Ergänzung, give eine Nominalphrase und eine Präpositionalphrase (oder zwei Nominalphrasen wie in the professor gave the girl a book). Verben ohne Komplemente heißen intransitiv, solche mit einer NP als Komplement transitiv. Man bezeichnet die Eigenschaft von Wörtern, bestimmte Ergänzungen zuzulassen bzw. zu verlangen als ihre Wertigkeit oder Valenz.

Definition 4.43. Valenz

Valenz ist ein aus der Chemie entlehnter Begriff und bezeichnet die Fähigkeit eines Lexems (z.B. eines Verbs, Adjektivs, Nomens), seine syntaktischen Umgebungen im Satz vorzustrukturieren, indem es anderen Konstituenten Bedingungen bezüglich ihrer Anzahl und ihrer grammatischen Eigenschaften (syntaktische Kategorie, sekundäre grammatische Katgorien wie Genus, Kasus etc.) auferlegt.

Unsere VP-Regel muß also etwa wie folgt verändert werden:

(4.) (2)(a) VP →

(Vi = intransitives Verb, Vt = transitives Verb, Vp = Verb mit Präpositionalobjekt, Vtp = transitives Verb mit Präpositionalobjekt, Vt2 = ditransitives Verb)

(4.) (8) (a) Viran, jumped, cried, called, talked ...
(b) Vtcalled, wrote, frightened, kicked, broke ...
(c) Vptalked, lived, depended, ...
(d) Vtpgave, sent, ...
(e) Vt2taught, gave, ...

Bei der Ableitung eines Satzes muß zur Erzeugung einer Verbalphrase eine der Alternativen aus Regel (4.)(2)(a) gewählt werden, z.B. VP → V NP

Abb. 4.40.

Damit ist automatisch die Wahl des Verbs eingeschränkt auf Regel (4.)(8)(b), z.B.

Abb. 4.41.

Die Subkategorisierung von lexikalischen Kategorien nach der unmittelbaren syntaktischen Umgebung, in der sie vorkommen können, wird strikte Subkategorisierung genannt.

Definition 4.44. strikte Subkategorisierung

Strikte Subkategorisierung bedeutet strikt lokale, d.h. auf die Ko-Konstituenten der fraglichen Kategorie innerhalb einer Konstituente beschränkte, Subkategorisierung.

Die strikte Subkategorisierung des Verbs berücksichtigt also nur den syntaktischen Kontext innerhalb der Verbalphrase.

Ausgehend vom Englischen hat sich die aus der Sicht des Deutschen unschöne Redeweise eingebürgert, daß eine lexikalische Kategorie seinen lokalen Kontext subkategorisiert, was eigentlich unsinnig ist. Man sagt also z.B. "Vt subkategorisiert eine NP", oder "Vp subkategorisiert eine PP", und "Vtp subkategoriseirt eine NP und eine PP" etc.

Die oben in (2)(a) vorgeschlagene Lösung hat allerdings einen gravierenden Schönheitsfehler. Das Problem ist, daß wir nun nicht mehr ausdrücken können, daß alle als Vi, Vt, Vp etc. klasssifizierten Wörter Verben sind. Wie haben zwar jetzt intransitive, transitive, ditransitive etc. Verben, aber wir haben keine Verben mehr und können folglich keine Aussagen mehr über die Klasse Verb als Ganzes machen.

Zur Lösung dieses Problemes gibt es verschiedene Möglichkeiten:

1. Kontextsensitive Regeln:

Die bisher von uns verwendeten Phrasenstruktur-Regeln waren von der Form A → B, d.h. ein links vom Pfeil stehendes Symbol (hier A) konnte unabhängig von dem syntaktischen Kontext, in dem es steht, durch den Ausdruck rechts des Pfeiles (hier B) spezifiziert werden. Solche Regeln heißen kontextfrei.

Definition 4.45. kontextfreie Regel

Eine kontextfreie Phrasenstrukturregel hat die Form A → B, d.h. ein Symbol A kann ohne Berücksichtigung des Kontextes, in dem es steht, durch ein Symbol oder eine Symbolfolge B spezifiziert (ersetzt, expandiert etc.) werden.

Definition 4.46. kontextfreie Grammatik

Eine Grammatik, die nur kontextfreie Regeln enthält, heißt kontextfrei.

Eine Regel, die Bezug nimmt auf den unmittelbaren syntaktischen Kontext, heißt kontextsensitiv (auch: kontextabhängig oder kontextbeschränkt).

Definition 4.47. kontextsensitive Regel

Eine kontextsensitive (kontextabhängige, oder kontextbeschränkte) Regel hat die Form XAY →  XBY, d.h. ein Symbol A kann durch ein Symbol oder eine Symbolfolge B spezifiziert werden, wenn eine Symbolfolge X vorausgeht und eine Symbolfolge Y folgt. X und Y können auch leer sein. Wenn sowohl X als auch Y leer sind, geht die kontextsensitive in eine kontextfreie Regel über. Statt XAY → XBY schreibt man auch: A → B / X — Y (lies: A wird zu B in der Umgebung X — Y).

Beispiel: In norddeutschen Dialekten des Deutschen wird der Laut [g] (wie in Gabe) als stimmhafter Reibelaut [ɣ] gesprochen, wenn er zwischen zwei Vokalen steht, z.B. Säge [zɛ:gə] → [zɛ:ɣə]. Wenn wir Vokale durch das Symbol V bezeichnen, gilt also die kontextsensitive Regel:

(4.66.) (a) VgV → VɣV, bzw.
(b) g → ɣ / V — V

Definition 4.48. kontextsensitive Grammatik

Eine Grammatik, die kontextsensitive Regeln enthält, heißt kontextsensitiv.

Wir können unser Problem mit der Verbalphrase dadurch lösen, daß wir zunächst den Kopf V der VP durch eine kontextfreie Regel wie (4.)(2)(b) einführen, und dann dieses V in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext weiter als Vi, Vt etc. spezifizieren.

(4.) (2)(b) VP → V(NP)()

(4.) (2)(c) V →

Wird durch Regel (4.)(2)(b) beispielsweise die Teilstruktur 1.42 abgeleitet, dann bestimmt die kontextsensitive Regel (4.)(2)(c), daß das V nur zu Vt weiterentwickelt werden kann:

Abb. 4.42.

Abb. 4.43.

2. Subkategorisierung durch syntaktische Merkmale:

Kontextsensitive Grammatiken sind sehr komplex, sowohl in ihrem Aufbau als auch in ihrer Anwendung bei der Generierung und Analyse von Sätzen. Es ist daher ein erstrebenswertes Ziel, eine Sprache durch eine weitgehend kontextfreie Grammatik beschreiben zu können. Wir wollen daher versuchen, die angesprochenen Probleme mit kontextfreien Mitteln zu lösen.

Eine neuerdings vielfach gewählte Möglichkeit, die Ausdrucksfähigkeit von Phrasenstrukturgrammatiken zu erhöhen, besteht darin, die grammatischen Kategorien nicht als atomare, nicht weiter analysierbare Entitäten zu betrachten, sondern als Bündel von Merkmalen. In den oben aufgeführten Regeln sind Symbole wie V und Vt atomar und nicht weiter analysierbar, und daß Vt eine Subkategorie von V ist ergibt sich eigentlich nur durch die Regeln, in welchen beide vorkommen, z.B. V → Vt / — NP.

Die Verwendung von Merkmalen im intendierten Sinne ist in der Linguistik nichts neues. Merkmale spielen beispielsweise in der Phonologie schon seit langem eine wichtige Rolle. Allgemein lassen sich Merkmale wie folgt definieren:

Definition 4.49. Merkmal

Ein Merkmal ist eine Zuordnung von einem Attribut und einem Wert (oder Ausprägung) aus einem gegebenen Wertevorrat.

In diesem allgemeinen Sinne könnte z.B. "lexikalische Kategorie" als Attribut aufgefaßt werden mit dem Wertevorrat {Nomen, Verb, Adjektiv, Präposition etc.}. Wie wir im Kapitel zur Morphologie noch ausführlicher sehen werden, unterscheidet man verschiedene "sekundäre" grammatische Kategorien wie Genus, Numerus, Kasus, die ebenfalls Attribute in diesem Sinne sind. Das Attribut Genus z.B. hat als "Merkmalsausprägungen" die Werte {Maskulinum, Femininum, Neutrum}, das Attribut Numerus die Werte {Singular, Plural}.

Eine Wortform wie Kindern in dem Ausdruck helft den armen Kindern hat z.B. folgende partielle Merkmalstruktur:

Attribut

Wert

Kategorie

Nomen

Genus

Neutrum

Numerus

Plural

Kasus

Dativ

Tab. 4.1.

Merkmale werden üblicherweise in eckige Klammern gesetzt, z.B. [Genus   Neutrum], [Person   3]. Das Merkmalsbündel in Tab. 4.1 sieht dann wie folgt aus:

.

Von besonderem Interesse sind nun Merkmale, die nur zwei Merkmalsausprägungen haben, sog. binäre Merkmale. Das gilt beispielsweise im Deutschen für das Attribut Numerus. In einem solchen Fall wird häufig als Attribut einer der Merkmalswerte genommen und als Merkmalsausprägung + oder -, wobei meist der Wert vor das Attribut gestellt wird. Statt [Numerus   Plural] schreibt man also [+Plural], und statt [Numerus   Singular] entsprechend
[−Plural]. Es handelt sich jedoch nur um Notationsvarianten des allgemeinen Merkmalsbegriffs.

Häufig werden auch nicht-binäre Merkmale binär dargestellt. Dies gilt beispielsweise für die kategorialen Merkmale:

Definition 4.50. kategoriales Merkmal

Kategoriale Merkmale kennzeichnen die Zugehörigkeit sprachlicher Einheiten zu grammatischen Kategorien wie z.B. Nomen oder Verb. Anstelle von [Kategorie   Nomen] schreibt man meistens [+Nomen] bzw. kurz [+N]. Analog: [+V] für [Kategorie   Verb] bzw. [+A] für [Kategorie   Adjektiv], etc.

Ist K eine lexikalische Kategorie, gilt allgemein:

(4.67.) K → [+K].

3. Kontextfreie Subkategorisierung

Wir haben am Beispiel von sincerity bereits gesehen, daß auch Nomina hinsichtlich ihres grammatischen Verhaltens subkategorisiert werden müssen. Man vergleiche dazu noch folgende Beispiele:

(4.68.)

Zunächst muß zwischen Eigennamen (engl. proper noun, z.B. John) und Gattungsnamen oder Appellativum (engl. common noun, z.B. bottle, furniture, cake, dt. Mann, Frau, Haus) unterschieden werden. Appellativa bezeichnen eine ganze Gattung gleichgearteter Dinge und zugleich jedes einzelne Wesen oder Ding dieser Gattung. Es handelt sich offenbar um ein binäres Merkmal und wir können Gattungsnamen mit [+Appellativum] und Eigennamen mit [-Appellativum] kennzeichnen. Es gilt also, daß eine Kategorie mit dem kategorialen Merkmal [+Nomen] zusätzlich entweder das Merkmal [+Appellativum] oder [-Appellativum] aufweist. Dies kann durch eine Regel der folgenden Art ausgedrückt werden:

(4.69.) (a) [+Nomen] → [±Appellativum]
dies ist eine konventionelle Abkürzunge für
(b) [+Nomen] →

Man nennt eine derartige Regel eine kontextfreie Subkategorisierungsregel.

Für das Englische gilt, daß Eigennamen ([−Appellativum]) nicht mit einem Artikel [(b)–(d)] und nicht im Plural [(e)] verwendet werden können.

Die Appellativa können weiterhin unterteilt werden in Nomina, die wohlunterschiedene Individuen bezeichnen (Individuativa, z.B. bottle, table, person, dt. Tisch, Stuhl, Mann) und solche, für die das nicht zutrifft. Nach dem Englischen wollen wir dafür das Merkmal zählbar (engl. count) einführen. Quer dazu gibt es die weitere Unterscheidung zwischen Konkreta (Substantive, mit denen etwas Gegenständliches bezeichnet wird, z.B. Mensch, Mann, Frau, Kind, Fisch, Blume, Haus, Tisch etc.) und Abstrakta (Substantive, mit denen etwas Nichtgegenständliches, etwas Gedachtes bezeichnet wird). Abstrakte bezeichnen z.B.

Menschliche Vorstellungen: Geist, Seele;
Handlungen: Schlag, Wurf, Korrektur;
Vorgänge: Leben, Sterben, Schwimmen, Schlaf;
Zustände: Friede, Ruhe, Angst, Liebe, Alter;
Eigenschaften: Würde, Verstand, Ehrlichkeit;
Verhältnisse oder Beziehungen: Ehe, Freundschaft, Nähe;
Wissenschaften, Künste: Biologie, Mathematik, Linguistik;
Maß- und Zeitbegriffe: Meter, Watt, Gramm; Jahr, Stunde, Mai).

Wir können dies in einer Regel folgendermaßen zusammenfassen, wobei die Werte '+' bzw. '-' jeweils unabhängig voneinander gewählt werden können.

(4.70.) [+Appellativum] → [±Zählbar, ±Konkret]

Diese Regel führt also zu vier verschiedenen Merkmalsbündeln:

[+Appellativum, + Zählbar, + Konkret] (Baum, Tisch, Hund, Ring),
[+Appellativum, + Zählbar, −Konkret] (Leidenschaft, Gedanke, Verbrechen),
[+Appellativum, −Zählbar, +Konkret] (Wasser, Sand, Mörtel),
[+Appellativum, −Zählbar, −Konkret] (Güte, Sanftmut, Liebe).

Nicht-zählbare Nomina können noch nach Kollektivbezeichnungen (Kollektiva: police, group, people etc.) und Stoffbezeichnungen (water, cake, gold, wine, dt. Wasser, Leder, Holz, Fleisch etc.) unterschieden werden.

Bei den Konkreta kann zwischen Nomina, die höhere Lebewesen bezeichnen, und anderen unterschieden werden (Merkmal [±Belebt]). Gleiches gilt auch für Eigennamen:

(4.71.) (a) [+Konrekt] [±Belebt]
  (b) [-Appellativum] [±Belebt]

Bei den Nomina mit dem Merkmal [+Belebt] kann weiterhin zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen differenziert werden.

(4.72.) [+Belebt] → [±Menschlich].

Das folgende Diagramm zeigt die schrittweise Ableitung eines Merkmalbündels nach den obigen Regeln:

 

Abb. 4.44.

Im Lexikon müssen die Wörter entsprechend durch Merkmalsbündel charakterisiert sein.

[+N, +Appellativum, +Zählbar, + Konkret, +Belebt, -Menschlich]: Hund, Katze, Kuh, Pferd, ...

Ein Wort kann dann in einer syntaktischen Struktur als terminale Konstituente verwendet werden, wenn seine Merkmalsspezifikation von der des entsprechenden Knotens im Baum nicht verschieden ist. Zwei Merkmalsbündel sind dann voneinander verschieden, wenn es wenigstens ein gemeinsames Merkmal mit gegensätzlicher Spezifikation gibt.

Beispiele: [+Belebt, –Menschlich] ist nicht verschieden von [+Konkret]
[+Konkret, +Zählbar] ist verschieden von [–Belebt, –Zählbar]

4. Strikte Subkategorisierung durch Merkmale

Unter der Annahme, daß grammatische Katgorien nicht atomar sind, sondern aus Merkmalskomplexen bestehen, können wir auch das Problem der strikten Subkategorisierung beim Verb nunmehr mithilfe von Merkmalen besser handhaben. Wir führen dazu ein Merkmal Subkat (für Subkategorie) mit Zahlen als Merkmalswerten ein. Die Festlegung der Merkmalswerte erfolgt dabei durch die Phrasenstrukturregeln. Anstelle der alten Regel

(4.) (2)(a) VP →

erhalten wir dann:

(4.73) (2)(a) VP →

Für [+V, Subkat 0] kann vereinfachend auch V[Subkat 0] oder noch kürzer V[0] geschrieben werden.

(4.74) (2)(a) VP →

Das Merkmal [Subkat 0] kennzeichnet also intransitive Verben, das Merkmal [Subkat 1] transitive Verben, etc.

Das Lexikon ist dann eine Liste von Wörtern, die neben anderen Informationen auch eine Merkmalsspezifikation aufweisen, z.B.

run: [+V, Subkat 0]

kick: [+V, Subkat 1]

etc.

Grammatische Funktionen

Strukturelle Ambiguität

Wir haben bereits einige Beispiele von mehrdeutigen Sätzen kennengelernt, d.h. von Sätzen, die auf verschiedene Weise verstanden werden können. Betrachten wir das folgende Beispiel:

(4.75.) The visitor watched the girl with the telescope.

Dieser Satz kann auf zweierlei Art und Weise verstanden werden. Man kann dies durch Paraphrasen wie die folgenden explizit machen:

(4.76.) (a) The visitor used the telescope to watch the girl
  (b) The visitor watched the girl who had the telescope.

In einer Interpretation modifiziert with the telescope die Verbalphrase watched the girl, im anderen Falle ist sie Modifikation von the girl. Dies wird weiter bestätigt durch das unterschiedliche Verhalten bei Tests wie die Pseudo-Spaltsatz-Konstruktion oder die Passivierung.

(4.77.) (a) What the visitor watched was [the girl with the telescope]NP
  (b) What the visitor watched with the telescope was [the girl]NP
(4.78.) (a) [The girl with the telescope]NP was watched by the visitor
  (b) [The girl]NP was watched with the telescope by the visitor.

Die Ambiguität eines Satzes kann einerseits auf der Mehrdeutigkeit einzelner Wörter beruhen, oder auf der Tatsache, daß ihm verschiedene Strukturbeschreibungen zugeordnet werden können (strukturelle Ambiguität). Im zur Diskussion stehenden Beispiel besetzt die Präpositionalphrase [with the telescope]PP verschiedene Positionen in der syntaktischen Gesamtstruktur: es kann einerseits als unmittelbare Konstituente der Nominalphrase mit dem Kopf girl analysiert werden, oder andererseits als unmittelbare Konstituente der Verbalphrase (oder eventuell des ganzen Satzes).

Abb. 4.45.

Abb. 4.46.

In Fällen struktureller Ambiguität erkennen wir einen engen Zusammenhang zwischen der Strukturbeschreibung von Sätzen und der Art und Weise, wie sie verstanden werden. Wir können die folgende Hypothese aufstellen:

In den bisher diskutierten Beispielen konnten die Ambiguitäten auf der syntaktischen Ebene erklärt werden. Es gibt jedoch Fälle, in denen die Ambiguität nicht mit den strukturellen Mitteln, die wir bisher kennengelernt haben (Konstituenz oder Dependenz), erklärt werden kann. Sehen wir uns dazu das folgende Beispiel genauer an:

(4.79.)

Zur Erklärung der Infinitivkonstruktion wollen wir versuchsweise die folgende Regel postulieren (INFKOMP = Infinitivkomplement):

(4.80.) INFKOMP → to VP

Die Beispiele (4.79)(a) und (b) können wie folgt repräsentiert werden:

Abb. 4.47.

Abgesehen von den lexikalischen Unterschieden beim Verb (promise vs. persuade) und der Tatsache, daß Bill im einen Falle ein Dativ, im anderen aber ein Akkusativ ist, scheinen diese Sätze identische Strukturen aufzuweisen. Eine genauere Untersuchung zeigt jedoch, daß sie ganz unterschiedlich interpretiert werden. Die Frage Who does the mowing? muß verschieden beantwortet werden. Im Falle von Abb. 4.47 (a) ist es John, im anderen Falle ist es Bill. Nun nehmen die Nominalphrasen John und Bill in diesen Sätzen verschiedene Positionen ein. John ist eine unmittelbare Konstituente des ganzen Satzes, während Bill eine unmittelbare Konstituente der Verbalphrase (VP) ist. Wir werden sagen, daß diese Nominalphrasen in Abhängigkeit von ihrer Position im Satz an verschiedenen grammatischen Relationen oder grammatischen Funktionen teilhaben. In traditioneller Redeweise ist John das Subjekt und Bill das Objekt. Was die eingebettete Verbalphrase to mow the lawn betrifft, können wir sagen, daß sie ein implizites ("mitverstandenes") Subjekt hat, welches im Falle von promise mit dem Subjekt des übergeordneten Satzes identisch ist, während es im Falle von überreden mit dessen Objekt übereinstimmt.

Allgemein gesprochen können wir den Begriff Grammatische Funktion wie folgt definieren:

Definition 4.51. grammatische Funktion

Gegeben seien zwei benannte Knoten A und B. Wir definieren eine grammatische Funktion als eine Relation (A,B), gesprochen "A von B", wobei B das A unmittelbar dominiert (bzw. A unmittelbare Konstituente von B ist).

In einem gegebenen Phrasenmarker gibt es soviele verschiedene grammatische Funktionen wie es verschiedene Paare von grammatischen Kategorien (A, B) gibt, zwischen welchen die Relation der unmittelbaren Dominanz besteht. Einige dieser Funktionen sind aus der Schulgrammatik vertraut, wie die folgende Aufstellung zeigt.

Funktion

Funktionsname

Struktur

(NP, S)

Subjekt (von)

(VP, S)

Prädikat (von)

(NP, VP)

Objekt (von)

(NP, PP)

Objekt (von)

(AP, NP)

Attribut (von)

(X, XP)

Kopf (von)

In den Phrasenmarkern, welche die Konstituentenstruktur von Sätzen beschreiben, könnten wir die relevanten grammatischen Funktionen durch zusätzliche Annotationen in der Form Kategorie:Funktion anzeigen:

Abb. 4.48.