2 Sprechwerkzeuge und Terminologie

2.0 Einleitung

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Abb. 2.1. Anordnung der Sprechwerkzeuge
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In der Einleitung war des öfteren die Rede von den Sprechwerkzeugen oder Sprechorganen, und es ist ausgesagt worden, daß die Beschreibung und Klassifikation von Sprachlauten in der artikulatorischen Phonetik über die unterschiedlichen Stellungen, Positionen, Bewegungen dieser Sprechorgane vollzogen wird. Mit Sprechwerkzeug oder Sprechorgan sind all diejenigen Teile des Körpers gemeint, die unmittelbar aktiv oder passiv in die Lautproduktion einbezogen sind. Dazu gehören u.a. die Lunge, der Kehlkopf, der Gaumen, die Zunge, die Zähne, die Lippen etc. Eine besonders herausragende Rolle spielt dabei die Zunge, die ein sehr flexibles Organ ist und es insbesondere ermöglicht, die Resonanzeigenschaften des Mundraumes in vielfältiger Weise zu verändern. Diese besondere Rolle ist auch daran erkennbar, daß in vielen Sprachen das Wort für Zunge stellvertretend für Sprache insgesamt verwendet wird, z.B. lat. lingua (span. lengua, frz. langue, it. lingua etc.), engl. tongue (z.B. mother tongue), dt. Zunge (z.B. "Sie sprachen mit vielen Zungen").

Bei der Betrachtung der Sprechwerkzeuge sollte erwähnt werden, daß diese primär nicht der Produktion von Lauten dienen, sondern andere Funktionen erfüllen: Die Lunge etwa ist für die Atmung zuständig, der Kehlkopf verhindert, daß beim Schlucken etwas in die Luftröhre gerät, die Zunge liefert u.a. wichtige sensorische Information über den Geschmack oder die Temperatur dessen, was in den Mund genommen wird, die Zähne dienen dem Zerkleinern von Nahrung und so fort.

In diesem Kapitel sollen die Sprechwerkzeuge anhand von Graphiken und Bildern anschaulich und detailliert vorgestellt und benannt werden. Es soll einen Eindruck in die betroffene Anatomie geben, aber auch als Referenz und Nachschlagetext für die folgenden Kapitel dienen. Von den lateinischen Bezeichnungen der Sprechwerkzeuge ist auch die internationale phonetische Terminologie abgeleitet.

2.1 Die Sprechwerkzeuge

Die Abb. 2.1. zeigt eine grobe Zusammenstellung der bei der Lauterzeugung beteiligten Sprechorgane. Für eine überblickshafte Erläuterung der Erzeugungsmechanismen ist es vorteilhaft, zunächst von einem vereinfachten Funktionsmodell der Sprechwerkzeuge auszugehen (Abb. 2.2.). Dabei wird von den meisten anatomischen Details abstrahiert, um die Funktionsweise in den Vordergrund zu stellen.

Funktionsmodell des Vokaltraktes

Abb. 2.2. Funktionsmodell des Vokaltraktes

Zur Erzeugung eines Schallereignisses gleich welcher Art ist eine Energiequelle erforderlich. Im Falle der Spracherzeugung ist die Basis und Energiequelle eines jeden Lautes ein Luftstrom, dessen Volumen und Druck die Dauer und Lautstärke des Lautes bestimmen. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich dabei um einen Luftstrom, der aus der Lunge kommt und den Körper über die Lippen verläßt.

Das menschliche Atmungssystem stellt also im Normalfall die Energiequelle für die Schallerzeugung dar, wobei die Lungenflügel eine Art Luftreservoir darstellen. Durch das Zusammenspiel der Lungenmuskulatur wird die Lunge zusammengedrückt, ähnlich wie bei einem Blasebalg. Durch den entstehenden Druck wird die Luft nach außen gepreßt.

Auf seinem Weg von der Lunge zu den Lippen und gegebenenfalls zur Nase muß dieser Luftstrom eine ganze Reihe von Stellen passieren, an denen er je nach Stellung der betroffenen Organe modifiziert wird. Diese Veränderung des Luftstroms durch die Sprechorgane ist verantwortlich für die Erzeugung der verschiedenen Sprachlaute. Die Luft verläßt die Lunge durch die Luftröhre, fließt durch den Kehlkopf (Larynx), der eine Art Ventil darstellt, und gelangt so in ein System von Höhlen, die als "Resonanzräume" wirken. Es handelt sich um die Rachenhöhle (Pharynx), die Mundhöhle, und die Nasenhöhle. Mund­, Rachen­ und Nasenhöhle können durch verschiedene Stellungen des Gaumensegels (Velum) sowie der Zunge miteinander in Verbindung treten. Die Zunge ist ein sehr bewegliches Organ und kann den Luftstrom an verschiedenen Stellen und auf verschiedene Weise kontrollieren. Nach außen steht das System durch die Lippen als "Ventil" in Verbindung.

Bei der Charakterisierung einzelner Sprachlaute werden häufig schematisierte Darstellungen der Sprechorgane wie in Abb. 2.4. verwendet. Dabei ist wichtig, sich einmal klar zu machen, woraus diese Schemata abgeleitet sind.

Röntgenaufnahme der Sprechorgane

Schematische Darstellung der Sprechorgane

Abb. 2.3. Rögtenaufnahme der
Sprechorgane in neutraler Stellung
während der Aussprach des Vokals [ə]
Abb. 2.4. Neutrale Konfiguration des Lautgangs
auf der Basis der Röntgenaufnahme

 

Querschnitt durch den Schädel
Abb. 2.5. Querschnitt durch den Schädel

Abb. 2.3. Zeigt eine Röngtenaufnahme der Sprechorgane bei der Bildung des unbetonten Vokales [ə], der mit einer Konfiguration des Lautganges erzeugt wird, die als relativ neutral betrachtet werden kann. Die schematische Darstellung in Abb. 2.4. ist daraus durch Abstraktion abgeleitet, bei der nur die relevanten Eigenschaften erhalten bleiben.

2.2 Die Resonanzräume

Resonanzräume

Abb. 2.6. Resonanzräume

Der Kehlkopf oder Larynx (Adj. laryngal) ist ein durch Muskeln und Bänder verbundenes System von Knorpeln und wird im Kapitel über Stimmbildung (Phonation) genauer beschrieben werden. Er enthält ein Paar von elastischen Bändern, (Lippen oder Falten). Der Phonationsprozeß umfaßt die Aktivität der Stimmlippen, sowie eines pyramidenförmigen Paares von Knorpeln, Stellknorpel genannt, die mit den Stimmbändern verbunden sind. Der Spalt zwischen den Stimmbändern und den Stellknorpeln wird Stimmritze oder Glottis (Adj. glottal) genannt. Die Glottis kann verschiedene Gestalten annehmen, d.h. die Stimmlippen können mehrere verschiedene Positionen zueinander einnehmen. Darüber werden ebenfalls bei der Phonation genauere Ausführung gemacht.

Oberhalb des Kehlkopfes schließt sich der Rachenraum oder Pharynx (Adj. pharyngal) an. Das Volumen des Pharynx kann auf verschiedene Weise verändert werden, z.B. durch Anhebung des Kehlkopfes, durch ein Zurückziehen der Zungenwurzel, oder durch Kontraktion der Rachenrückenwand.

Oberhalb und vor der Rachenhöhle befinden sich zwei weitere Hohlräume, die Mundhöhle und die Nasenhöhle. Der Boden des Mundes wird weitgehend durch die Zunge ausgefüllt, die ihre Gestalt und ihr Volumen sehr flexibel verändern kann und in der Folge auch die Resonanzeigenschaften des Mundraumes modifiziert. Vorne wird der Mund durch die Zähne und Lippen begrenzt, an den Seiten durch die Wangen. Das Munddach besteht aus den Oberzähnen, dem Zahndamm bzw. Alveolen (unmittelbar hinter den Zähnen, Adj. alveolar), dem harten Gaumen (lat. palatatum, daher das Adj. palatal) und dem weichen Gaumen, Gaumensegel oder Velum (Adj. velar). Das Velum mündet in das Zäpfchen, im Fachjargon Uvula (Adj. uvular) genannt. Das Velum fungiert ebenfalls als Ventil. Es kann angehoben werden, sodaß der Zugang zur Nasenhöhle versperrt ist, oder gesenkt, so daß Pharynx und Nasenhöhle verbunden sind.

2.3 Terminologie

Die Artikulation von Lauten wird traditionellerweise unter Bezug auf die Organe oder Organteile beschrieben, die direkt und unmittelbar an der Lauterzeugung beteiligt sind. Diese wollen wir Artikulatoren nennen.

Definition 2.1. Artikulator

Artikulatoren sind Sprechorgane oder Teile von Sprechorganen, die am unmittelbarsten an der Erzeugung eines bestimmten Lautes beteiligt sind.

Bei der Bildung des Anlautes im Wort pin kommt es beispielsweise entscheidend darauf an, daß die Unter- und Oberlippe so aufeinandergepreßt werden, daß keine Luft nach außen entweichen kann. Hier sind demnach die Unter- und Oberlippe die Artikulatoren.

Die Rolle einiger Artikulatoren ist eher passiv, sei es daß sie unbeweglich sind, sei es daß sie statisch verwendet werden. Die Oberzähne, der Zahndamm und der Gaumen sind passive Artikulatoren. Die Unterlippe und verschiedene Teile der Zunge sind aktive Artikulatoren.

Passive Artikulatoren

Abb. 2.7. Passive Artikulatoren

Passive Artikulatoren
Nr. Deutsch Englisch Latein Adjektiv
1. Lippe lip labium labial
2. Zähne teeth dentes dental
3. Zahndamm teeth ridge alveoli alveolar
        postalveolar
a) retroflex
b) palato-alveolar
4. harter Gaumen hard palate palatum palatal
5. weicher Gaumen soft palate velum velar
6. Uvula uvula uvula uvular
7. Rachen pharynx pharynx pharyngal
8. Kehlkopf larynx larynx laryngal
  Stimmritze glottis glottis glottal
Aktive Artikulatoren

Abb. 2.8. Aktive Artikulatoren


Aktive Artikulatoren

Nr. Deutsch Englisch Latein Adjektiv Adj. in Komposita
  Zunge tongue lingua lingual (linguo-)
a Lippe lip labium labial labio-
b Spitze tip apex apikal apico-
c Blatt blade lamina laminal lamino-
d vorder- front   prä-  
      dorsum dorsal dorso-
e hinter- back   post-  
f Wurzel root radix