3 Luftstromprozesse
Wie bereits mehrfach ausgesagt wurde, ist die Grundlage eines jeden Lautes ein Luftstrom.
Bei der Produktion von Sprachlauten gibt es drei verschiedene Mechanismen zur Erzeugung
eines solchen Luftstromes. Alle drei haben gemein, daß die beteiligten Organe die
Luft entweder komprimieren oder verdünnen, daß also entweder ein Druck oder ein
Saugeffekt entsteht. Von diesen beiden unterschiedlichen Effekten hängt auch die
Richtung des Luftstromes ab: Der Luftstrom kann entweder nach außen (aus dem Körper
heraus) gerichtet sein. Dieses nennt man Egressiv. Oder
er kann nach innen (in den Körper herein) gerichtet sein, was mit
Ingressiv bezeichnet wird. Druck erzeugt einen egressiven Luftstrom,
ein Saugeffekt erzeugt einen ingressiven Luftstrom.
3.1 Pulmonischer Luftstrom
Abb. 3.1. Das Atmungssystem
Bei der Mehrzahl aller Sprachlaute wird der benötigte Luftstrom durch die Aktivität
des Atmungssystems hervorgebracht. Dieses besteht aus Zwerchfell,
Brustkorb, Zwischenrippen- und
sonstiger Atmungsmuskulatur,Lungen,
Bronchien und Luftröhre (vgl.
Abb. 3.1.) Das lateinische Wort für 'Lunge' heißt pulmo (Genitiv pulmo:nis),
und daher wird dieser Luftstrom Pulmonisch genannt.
Die Lungen können sich zwar nicht aus eigener Kraft bewegen, sie sind jedoch elastisch,
so daß sie sich ausdehnen können, wenn eine Kraft von Außen auf sie einwirkt. Dies
geschieht entweder durch Absenken des Zwerchfells oder durch Heben des Brustkorbes
infolge der Kontraktion der äußeren Zwischenrippenmuskeln. In beiden Fällen vergrößert
sich das Lungenvolumen, wodurch die in den Lungen eingeschlossene Luft verdünnt
wird. Sinkt der Luftdruck in der Lunge unter den der Außenluft und besteht über
die Atemwege eine Verbindung zu dieser, so wird zum Druckausgleich Luft in die Lunge
einströmen.
Abb. 3.2. Ein- und Ausatmen
Im Gegensatz zum Einatmen, das u.a. durch Muskelaktivität bewerkstelligt wird, ist
das normale Ausatmen ein eher passiver Vorgang. Die Zwischenrippen- bzw. die Zwerchfellmuskeln
erschlaffen, wodurch sich der Brustkorb infolge seines Gewichtes senkt bzw. das
Zwerchfell durch seine Elastitzität hebt. Auf diese Weise erhöht sich der Druck
auf die Lunge und führt in der Folge zu einer Volumenverkleinerung und einem Luftdruckanstieg.
Besteht eine Verbindung zur Außenluft, wird im Falle eines Überdrucks Luft aus dem
Körper ausströmen. Allerdings weicht der Ausatmungsvorgang beim Sprechen (wie auch
beim Singen) etwas davon ab, weil für die Tonerzeugung ein relativ konstanter mittlerer
atmosphärischer Druck erforderlich ist, der durch gezielte Aktivität der Atmungsmuskulatur
erreicht wird (vgl. Kohler 1977:46f.).
Bei diesem pulmonischen Luftstrom wird die Luft von der Lunge nach außen gedrückt,
er ist Egressiv. Obwohl es auch die Möglichkeit gibt,
durch Einsaugen von Luft in die Lunge Laute zu erzeugen (Kinder z.B. sprechen manchmal
auf diese Weise, und deutsche Sprecher verwenden häufig ein ingressives ja),
wird diese Möglichkeit doch in keiner Sprache systematisch für die Produktion von
Sprachlauten genutzt. Der pulmonische Luftstrom wird in allen Sprachen verwendet,
in einigen exklusiv, z.B. in der deutschen Sprache, andere Sprachen verwenden auch
die nachstehenden Mechanismen.
Abb. 3.3. Einatmen
Abb.3.4. Ausatmen
3.2 Glottalischer Luftstrom
Abb. 3.5. Ejektiv = glottalisch egressiv
Bei manchen Lauten wird der Luftstrom durch die Aktivität des Kehlkopfes erzeugt,
und zwar indem der Kehlkopf bei geschlossener Glottis entweder eine Auf- oder eine
Abwärtsbewegung vollzieht. Dieser Mechanismus wird nach dem lat. Namen für die im
Kehlkopf angesiedelte Stimmritze (Glottis) Glottalisch
genannt.
Ist der Lautgang durch Anheben des Gaumensegels zum Nasenraum hin abgeschlossen
(velischer Verschluß) und wird gleichzeitig ein artikulatorisches Hindernis aufgebaut,
so führt die Aufwärtsbewegung des Kehlkopfes oberhalb der Glottis zu einer Druckerhöhung
im so eingeschlossenen Luftraum des Lautganges, die durch eine Engebildung oder
durch Verschlußlösung abgebaut wird. Dadurch entsteht ein egressiver, d.h. nach
außen gerichteter Luftstrom, der jedoch weit schwächer und somit weniger variabel
nutzbar ist, als ein pulmonischer Luftstrom. Die Abwärtsbewegung des Larynx erzeugt
unter sonst gleichen Bedingungen oberhalb der Glottis einen Saugeffekt und in der
Folge einen ingressiven, d.h. nach innen gerichteten Luftstrom.
Die unterschiedlichen Bewegungen des Kehlkopfes (Aufwärts oder Abwärts) können theoretisch
mit unterschiedlichen Stellungen der Glottis einhergehen. Ist die Glottis geschlossen,
so fehlt der Stimmton, die Stimmbänder können aber auch so angenähert sein, daß
Stimmton entsteht. (Zu den unterschiedlichen Stellungen der Glottis siehe das Kapitel
über Phonation). In der Praxis allerdings werden nicht alle dieser Möglichkeiten
verwendet. Es gibt zwei Klassen von Lauten, die durch glottalen Luftstrom initiiert
werden: Ejektive und Implosive.
Bei den Ejektiven ist die Glottis geschlossen, bei den Implosiven ist sie in Stimmtonstellung.
3.2.1 Ejektive
Vollzieht der Kehlkopf eine Aufwärtsbewegung, so ist die Glottis immer geschlossen.
Die supraglottale Luft (lat. supra bedeutet über, supraglottal
bezieht sich also auf die Luft oberhalb der Glottis) wird dabei komprimiert, und
die Lösung des oralen Verschlusses bewirkt eine Art Explosion. Laute, die auf diese
Art erzeugt werden, gehören zur phonetischen Kategorie der Ejektive.
Da die Glottis bei diesen Lauten immer geschlossen ist, sind sie notwendigerweise
allesamt stimmlos.
Abb. 3.5. zeigt, wie durch den velischen, den glottalen sowie durch einen oralen
Verschluß ein Raum gebildet wird, in welchem die Aufwärtsbewegung des Kehlkopfes
die Luft komprimiert. Diese Laute sind in den Sprachen der Welt relativ häufig vertreten.
In der Englishen Sprache tauchen sie vereinzelt als Realisierung von /p/, /t/ und
/k/ im Auslaut auf. Ejektive werden typographisch durch Hochkommata gekennzeichnet:
/p'/, /t'/ und /k'/.
3.2.2 Implosive
Abb. 3.6. Implosiv = glottalisch ingressiv
Wenn der Kehlkopf eine Abwärtsbewegung vollzieht entsteht ein Saugeffekt, der im
eingeschlossenen Luftraum einen Unterdruck erzeugt, der bei Lösung des oralen Verschlusses
durch einen ingressiver Luftstrom abgebaut wird. Laute, die auf diese Art erzeugt
werden, gehören zur phonetischen Kategorie der Implosive.
Bei der Bildung von Implosivlauten befindet sich die Glottis in der Stimmtonstellung,
so daß gleichzeitig Lungenluft nach außen entweichen und einen Ton erzeugen kann.
Implosive werden genau genommen also durch eine Kombination von pulmonischem und
glottalischem Luftstrom erzeugt.
3.3 Velarischer Luftstrom
Bei dem letzten Luftstrom, der vorgestellt wird, bildet der hintere Zungenrücken
mit dem Velum einen Verschluß. Ein zweiter Verschluß wird mit den Lippen oder aber
mit Zungenspitze bzw. Zungenblatt und Oberzähnen bzw. Zahndamm gebildet. Diese beide
Verschlußstellen begrenzen einen Raum, in welchem eine Ab- und Rückwärtsbewegung
der Zunge einen Sog erzeugt. Wird dabei der orale Verschluß gelöst, strömt Luft
in den Mundraum und es entsteht ein Schnalzlaut.
Abb. 3.7. Schnalz = velarisch ingressiv
Es gibt verschiedene Arten von Schnalzlauten, die in bezug auf die verschiedenen
Arten, den oralen Verschluß zu bilden, differenziert werden können. Wird der orale
Verschluß mit Ober- und Unterlippe gebildet (bilabial), so entsteht bei
der Lösung dieses Verschlusses ein schmatzartiger Laut, wie man ihn von Küßchengeben
kennt. Bei einem weiteren Schnalzlaut wird der orale Verschluß mit Zungenblatt und
Zahndamm gebildet (alveolar), siehe Abb 3.7. Die Lösung dieses Verschlusses
gibt einen Laut, der hintereinandergereiht in manchen Sprachen, auch im Deutschen
und im Englischen, Bedauern, Mitgefühl oder Irritation ausdrückt. Wenn ein solcher
Laut schriftlich wiedergegeben werden soll, findet man dafür in englischen Texten
die Buchstabenfolge tsk-tsk-tsk. Auch in anderen Bereichen kommen Schnalzlaute
vor, beispielsweise werden sie verwendet, um Tiere, z.B. Pferde, anzutreiben. Die
einzigen (bekannten) Sprachen, in denen Schnalzlaute als 'normale' Sprachlaute fungieren,
stammen aus Afrika, z.B. Nama, Zulu, Xhosa usw. Im Namen der letztgenannten Sprache,
Xhosa, steht die Buchstabenkombination Xh für einen solchen Schnalzlaut.
3.4 Zusammenfassung
Die folgende Tabelle zeigt die vier Luftstromprozesse, die zur Sprachlautproduktion
verwendet werden. Die Parameter dabei sind einerseits die beteiligten Organe, andererseits
die Richtung des Luftstroms. Bei den angegebenen Beispiellauten handelt es sich
jeweils nur um Verschlußlaute, also Laute, deren Erzeugung immer einen völligen
Verschluß innerhalb des Lautganges involviert. (Einfaches Beispiel: bei dem Laut
/p/ wird durch die Ober- und die Unterlippe ein völliger Verschluß erzeugt, Verschlußlaute
werden später noch ausführlichst beschrieben.) Die Differenzierung der Luftstromprozesse
macht auch nur bei diesen Lauten Sinn, sowohl Ejektiv, Implosiv- und Schnalzlaute
sind Verschlußlaute, und die durch glottalischen bzw. velarischen Luftstrom erzeugte
Energie ist auch zu gering, um andere Sprachlaute zu erzeugen.
Luftstrom
|
Richtung
|
Kurzbeschreibung
|
Art des Verschlußlautes
|
phonetische Symbole
|
pulmonisch
|
egressiv
|
Lungenluft wird durch die Atmungsmuskulatur nach außen befördert
|
Plosiv
|
p t k
|
glottalisch
|
egressiv
|
Aufwärtsbewegung des Kehlkopfs komprimiert die Luft im Rachen- und Mundraum, Glottis
geschlossen
|
Ejektiv
|
p' t' k'
|
glottalisch
|
ingressiv
|
Abwärtsbewegung des Kehlkopfes erzeugt Saugeffekt in Mund- und Rachenraum, Glottis
in Stimmtonstellung
|
Implosiv
|
ɓ ɗ ɠ
|
velarisch
|
ingressiv
|
Im Mundraum entsteht durch die Ab- und Rückwärtsbewegung der Zunge ein Saugeffekt.
|
Schnalzlaut
|
ʘ ǀ ǃ ǂ ǁ
|