6 Der Artikulationsprozeß ‒ Artikulationsart

6.0 Einleitung

Der Konsonant /k/

Abb. 6.1 Der Laut /k/

Der Artikulationsprozeß ist neben dem Luftstromprozeß die wichtigste Komponente bei der Lauterzeugung. Der Luftstromprozeß ist die Basis eines Lautes, er liefert quasi das Rohmaterial, aus dem ein Laut besteht: einen Luftstrom. Durch den Artikulationsprozeß wird dieser Luftstrom moduliert und erhält die für den Laut typische Form.

Die Artikulation eines Lautes kann unter Bezug auf die Beziehung zwischen zwei Artikulatoren (zu Artikulatoren siehe Kapitel 2) beschrieben werden, nämlich die Beziehung zwischen einem passiven Artikulator und einem aktiven Artikulator. Zu den passiven Artikulatoren gehören die Oberlippe, die Oberzähne, der Zahndamm, harter und weicher Gaumen, das Velum und die Uvula. Die aktiven Artikulatoren sind die Unterlippe und die verschiedenen Zonen der Zunge.

Bei der Lautklassifikation ist also zunächst einmal entscheidend, welche beiden Artikulatoren überhaupt primär an der Artikulation des Lautes beteiligt sind. Wenn dies feststeht, ist natürlich wichtig, auf welche Art und Weise sie den Luftstrom modulieren. Dazu betrachtet man sich, wie eng die Artikulatoren bei der Artikulation zusammentreffen.

Ein Beispiel soll dieses verdeutlichen; es geht um den Laut /k/ (vgl. Abb. 6.1):

  1. Artikulatoren: weicher Gaumen (passiv) und Hinterzunge (aktiv)
  2. Grad der Engebildung: völliger Verschluß

Im zweiten Punkt wird beschrieben, wie die Engstelle geartet ist, welche der Luftstrom passieren muß, im ersten Punkt wird beschrieben, wo sich diese Engstelle im Lautgang befindet. Auf genau diese Weise werden auch andere Laute beschrieben, es geht also um

  • Artikulationsort und
  • Artikulationsart.

Ein weiteres Kriterium, welches aber unter Artikulationsart subsumiert wird, ist der Zeitfaktor (s.u.). Wir wollen uns zunächst näher mit der Artikulationsart auseinandersetzen.

6.1. Artikulationsart

6.1.1. Grade der Engebildung

Je nach Annäherung der beiden Artikulatoren können verschiedene Engegrade unterschieden werden. Diese Grade bilden eine Skala, welche von einem totalen Verschluß bis zu einer maximalen Öffnung reicht. Diese beiden Positionen, totaler Verschluß und maximale Öffnung, stellen die Endpunkte der ‘Engegrad–Skala’ dar. Ein Totalverschluß findet sich bei Lauten wie /p/ oder /t/ oder /k/, die dementsprechend Verschlußlaute genannt werden. Eine maximale Öffnung liegt bei einem Vokal wie /a/ vor. Dazwischen allerdings gibt es noch verschiedene andere Grade und Arten der Engebildung. Traditionell werden die folgenden Lautklassen aus dem jeweiligen Engegrad hergeleitet, wobei am Anfang die Verschlußlaute stehen, bei den nachstehenden Klassen der Engegrad sukzessive größer wird, bis zum Schluß die Vokale mit maximaler Öffnung auftreten:

Plosivlaute /p t k b d g/
Affrikaten /tʃ dʒ/
Frikative /f v θ ð s z ʃ ʒ(h)/
Nasale /m n ŋ/
Liquide /l, r/
Gleitlaute (Halbvokale) /j w/
Vokale /i e ɛ æ ɑ ɔ o u/

In den nachstehenden Abschnitten werden diese verschiedenen Grade erläutert und es wird demonstriert, welche Auswirkungen sie auf den Luftstrom und also die Lautform haben. Zum Einstieg betrachten und vergleichen wir zunächst die beiden Endpunkte der Skala, totalen Verschluß und maximale Öffnung. Wir werden die Unterschiede zwischen diesen beiden Lautklassen ermitteln und diese Unterschiede in Form einer Merkmalsmatrix fixieren. Hernach werden wir diese Merkmalsmatrix schrittweise erweitern, einerseits um Merkmale und (damit zusammenhängend) um weitere Lautklassen. Ziel des ganzen ist es, die o.a. Lautklassen in einer Merkmalstabelle zu notieren, und die Merkmale und somit die Lautklassen auf dem Weg dahin zu erläutern.

Verschlußlaute und Vokale unterscheiden sich von einander in vier Attributen.

1. Sonorant.

Vokale sind "von Natur aus" stimmhaft, d.h. im Normalfall werden die Stimmfalten schwingen. Im Mundraum befindet sich kein Hindernis, so daß der Luftstrom ungehindert entweichen kann. Dadurch erhalten Vokale maximale Schallfülle. Wir bezeichnen das Schallfülleattribut mit dem Namen sonorant, so daß Vokale mit dem Merkmal [+sonorant] Plosive (orale Verschlußlaute) hingegen mit dem Merkmal [−sonorant] gekennzeichnet werden können.

2. Silbisch.

Als Folge der großen Schallfülle bilden Vokale ganz natürlich den Gipfel ihrer Silbe, d.h. sie heben sich von den vorhergehenden und nachfolgenden Segmenten derselben Silbe ab. Plosive hingegen, können nie als Silbengipfel vorkommen. Wir erfassen diesen Unterschied mit dem Merkmal silbisch, das für Vokale positiv ([+silbisch]) für Plosive hingegen negativ ([−silbisch]) spezifiziert ist.

3. Okklusiv (verschlossen).

Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß Vokale mit einem ungehinderten kontinuierlich durch den Mund fließenden Lufstrom gebildet werden. Bei Plosivlauten hingegen, wird ein orales Hindernis aufgebaut, das so beschaffen ist, daß der Luftstrom am Entweichen gehindert wird. Wir kennzeichnen daher Plosive mit dem Merkmal [+verschlossen], Vokale hingegen mit dem Merkmal [−verschlossen].

4. Konsonantisch.

Bei der Artikulation eines Verschlußlautes bildet entweder die Unterlippe oder ein Teil der Zunge einen Kontakt mit einem passiven Artikulator. Bei der Artikulation eines Vokals hingegen besteht kein solcher Kontakt. Dieser Unterschied kann durch das Attribut konsonantisch erfaßt werden. Wenn wie bei Verschlußlauten der orale Atemstrom durch ein Hindernis in seinem Fluß beeinträchtigt wird, haben die entsprechenden Segmente das Merkmal [+okklusiv]. Vokale hingegen sind [−konsonantisch].

Diese Beschreibung der "klaren Fälle", d.h. Verschlußlaute (oder enger Plosive) und Vokale, kann wie folgt tabellarisch zusammengefaßt werden:

  silbisch sonorant okklusiv konsonantisch
Plosive + +
Vokale + +

Tab. 6.1. Plosive vs. Vokale

Die anderen vier Lautklassen, Nasale, Frikative, Liquide, und Gleitlaute (oder Halb-Vokale), teilen sich Eigenschaften teils mit den Plosiven, teils mit den Vokalen, haben darüber hinaus natürlich auch Attribute durch die sie sich von diesen und untereinander unterscheiden. Es ist das Ziel der folgenden Ausführungen, diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten

6.1.2. Totalverschluß: Plosive und Nasale

Beginnen wir mit einer etwas ausführlicheren Besprechung der Verschlußlaute.

Definition 6.1. Verschlußlaut (Okklusiv)

Laute, die mit einem Totalverschluß zweier Artikulatoren im Lautgang gebildet werden, heißen Verschlußlaute (Okklusive, engl. stop).

Definition 6.2. Dauerlaut

Alle Laute, die nicht Verschlußlaute sind, sind Dauerlaute (engl. continuant).

Aus diesen Definitionen folgt, daß Verschlußlaute und Dauerlaute komplementär sind, so daß die einen auf der Basis der anderen definiert werden können. Abweichend von der üblichen Praxis, werden wir die Verschlußlaute zugrunde legen. Verschlußlaute werden damit durch das Merkmal [+okklusiv] gekennzeichnet, Dauerlaute durch das Merkmal [−okklusiv].

Alle Verschlußlaute im oben definierten Sinne gehören also zur Kategorie [+okklusiv] alle anderen zur Kategorie [-okklusiv]. Beispiele:

[+okklusiv]: /p b m pf t d n ts tʃ dʒ k g ŋ ʔ/
(z.B. Park, Barke, Marke, Pfad, Tag, Dose, Nase, Zahn, Kahn, Gans, Tang, Aas [ʔaːs], engl. chin [tʃɪn], gin [dʒɪn])

[−okklusiv]: /f v s z ʃ (ʒ) [ç, x] h j w l r (Vokale)/
(z.B. fahren, Waren, reißen, reisen, Schiff, Rouge, ich [ɪç], ach [ax], Hut, Jahr, Lappe, Rappe, engl. pressure, pleasure, wet)

Je nach Art der Verschlußlösung und der Beteiligung nasaler Resonanz können wir verschiedene Unterklassen der Verschlußlaute unterscheiden: nasale Verschlußlaute, orale Verschlußlaute mit abrupter Lösung (Plosive), orale Verschlußlaute mit verzögerter Lösung (Affrikaten).

Man beachte, daß dieser Verschlußlaut-Dauerlaut-Parameter unabhängig von den Stellungsmöglichkeiten des Velums definiert ist. Dieses kann entweder gehoben oder gesenkt sein. Mit anderen Worten, die Merkmale [± okklusiv] und [± nasal] sind frei kombinierbar. Theoretisch ergeben sich daraus folgende Merkmalsmatrizen:

Plosiv

Die Matrizen a) and b) repräsentieren orale bzw. nasale Verschlußlaute.

Definition 6.3. Plosiv

Orale Verschlußlaute mit abrupter Verschlußlösung heißen Plosive.

Plosive: /p, b, t, d, k, g, (ʔ)/

Beispiele: pin, bin, tin, din, call, gall, Cockney butter [bʌʔə]

Definition 6.4. Nasal

Nasale Verschlußlaute heißen Nasale.

Nasale: /m n ŋ/

Beispiele: Wamme, Wanne, Wange

Das Vorhandensein nasaler Resonanz bei Segmenten mit dem Merkmal [–okklusiv] (d.h. bei Lauten mit dem Merkmalskomplex [–okklusiv, +nasal]) wird Nasalierung genannt. Nasalierung ist nur bei Vokalen gebräuchlich.

Das Merkmal [± nasal] unterteilt die Verschlußlaute in Plosive und Nasale. Nasalität ist jedoch nicht das einzige Attribut, das Nasale von Plosiven unterscheidet. Nasale sind quasi "musikalisch", d.h. man kann mit ihnen singen. Es handelt sich also um ein Attribut, das Nasale mit den Vokalen gemeinsam haben, und das wir oben mit dem Merkmal [+sonorant] gekennzeichnet haben.

Obwohl Nasalkonsonanten normalerweise unsilbisch sind, d.h. keinen Silbengipfel bilden, können sie in bestimmten Kontexten silbisch werden. Dies ergibt sich aus ihrer relativ hohen Schallfülle. Im Englischen, z.B., werden Nasalkonsonanten in unbetonten Endsilben silbisch: written, mitten. In der phonetischen Umschrift können silbische Varianten durch einen kleinen senkrechten Strich unterhalb des fraglichen Segments angezeigt werden, z.B. [mɪtn̩, sɛvn̩]].

Wir können also Nasale als wahlweise silbisch klassifizieren, je nach Kontext.

  silbisch sonorant konsonantisch okklusiv nasal
Plosiv + +
Nasal ± + + + +
Vokal + + ±

Tab. 6.2.

In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Arten der Verengung zwischen zwei Artikulatoren schematisch dargestellt. Der passive (obere) Artikulator wird durch eine gerade Linie repräsentiert werden. Eine zweite Linie zeigt – von links nach rechts – den Bewegungsablauf eines aktiven Artikulators als Annäherung an bzw. Entfernung von dem passiven Artikulator. Der Abstand zwischen den Artikulatoren zeigt mithin den Öffnungsgrad an. Betrachten wir die Lautfolge [apha] (beispielsweise in dem Wort Papa). Bei der Artikulation des [a] sind die Artikulatoren weit auseinander. Beim Übergang zum [ph] schließt sich der Unterkiefer und die Unterlippe bewegt sich auf die Oberlippe zu. Diese Phase der Verschlußbildung wird Anglitt genannt. Es folgt darauf die Haltephase oder Okklusion, die über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten werden kann. Manche Sprachen unterscheiden zwischen kurzen und langen Konsonanten. Im Falle der Verschlußlaute liegt der Unterschied in der verschieden langen Haltephase.

Verschlußartikulation - Phasen

Abb. 6.2.

Wir halten fest: Bei der Bildung einer Verschlußartikulation können wir drei Phasen unterscheiden:

  1. Die Bewegung des aktiven Artikulators in eine Verschlußstellung wird Anglitt genannt (engl. onset oder onglide).
  2. Die Verschlußphase selbst heißt Halte (engl. hold) oder Okklusion (engl. occlusion).
  3. Die Bewegung von der Verschlußstellung weg heißt Abglitt (engl. offglide) oder Lösung (engl. release).

Die Untscheidung dieser Phasen kann wichtig werden durch die Art und Weise wie sie mit anderen phonetischen Prozessen interagieren. Wenn beispielsweise während der Phase der Verschlußlösung eines stimmlosen Plosivs wie dem /p/ in pin der Stimmeinsatz des Vokals mit Verzögerung beginnt, erhalten wir eine Übergangsphase, die man Aspiration nennt: [pʰɪn]. Andere Abglittphänomene werden weiter unten behandelt

6.1.3 Engelaute: Frikative und Affrikaten

Das wichtigste Kriterium für die Segmentierung des Kontinuums der Grade der Verengung ist die An- oder Abwesenheit von Turbulenz im Luftstrom hinter der Verengung. Ein turbulenter Luftstrom hat eine ‘zischende’ Qualität. Da die Ausprägung der Turbulenz von der Energiemenge des Luftstroms abhängt und die Vibration der Stimmbänder einen Teil dieser Energie absorbiert, ist auch die Stimmtonbeteiligung ein wichtiger Faktor.

Laute wie /f/ und /v/ werden durch eine sehr starke Annäherung zwischen zwei Artikulatoren gebildet (Unterlippe und Oberzähne). Wenn ein Luftstrom durch diese Enge wie durch eine Düse gezwängt wird, entsteht hinter der Verengung eine Turbulenz, unabhängig davon ob die Stimmbänder schwingen oder nicht.

Frikativ

Abb. 6.3. Frikativ

Die durchgezogene Linie zeigt einen Luftstrom ohne Vibration der Stimmbänder, die gestrichelte Linie einen solchen mit Vibration. Es ist erkennbar, daß der Grad der Turbulenz bei stimmlosen Lauten größer ist.

Definition 6.5. Frikativ

Laute, die sowohl ohne als auch mit Stimmtonbeteiligung einen turbulenten Luftstrom aufweisen heißen Frikative (Reibelaute) (lat. fricare ‘reiben’) .

Im Rahmen des bis jetzt entwickelten Merkmalsystems können Frikative durch die Merkmale [−okklusiv, −sonorant,−nasal] charakterisiert werden.

  silbisch sonorant konsonantisch okklusiv nasal
Plosiv + +
Frikativ +
Nasal ± + + + +
Vokal + + ±

Tab. 6.3.

Reibelaute:

Reibelaute: /f v θ ð s z ʃ ʒ [x ç] h/
Beispiele: finden, winden,—, —, reißen, reisen, Schal, (Rouge), ja, ich, ach, Hut.

Beispiele: fat, vat, thick, this, soul, zone, fission, vision, ship, measure, —, —, hose.

Segmente wie /pf ts/ im Deutschen oder /tʃ dʒ/ sind sowohl Verschlußlaute, als auch als Frikative. Man nennt solche Laute Affrikaten. Sie entstehen dadurch, daß die Lösung des Verschlusses nicht abrupt erfolgt sondern mit Verzögerung, so daß eine längere Phase entsteht, in der die Artikulatoren so angenähert sind, daß sich eine für Reibelaute typische Verengung bildet, durch welche die Luft entweichen kann, wobei hinter der Verengung Turbulenzen erzeugt werden.

Affrikate

Abb. 6.4. Affrikate

Definition 6.6. Affrikate

Affrikaten sind Verschlußlaute mit verzögerter Verschlußlösung, so daß ein turbulenter Luftstrom erzeugt wird.

Beispiele: engl. /tʃ dʒ/: chin, gin, batch, badge
deutsch /pf ts/: Pfahl (vs. fahl), Katze (vs. Kasse)

Unter phonologischen Gesichtspunkten (im Gegensatz zu phonetisch) können Affrikaten entweder als phonematische Einheiten behandelt werden, die an paradigmatischen Oppositionen wie tip:chip, ship:chip etc. teilhaben, oder als Phonemsequenzen wie /t+ʃ/ oder /d+ʒ/. Welche Analyse vorzuziehen ist hängt u.a. von der phonologischen Gesamtstruktur der betroffenen Sprachen ab, insbesondere von ihrer syntagmatischen Struktur. Im Englischen z.B. wäre es unklug die Affrikaten /tʃ,dʒ/ im Silbenanlaut als Phonemsequenzen zu betrachten. Abgesehen von /sp st sk/, die einen Sonderstatus haben, sind im Englischen Anlautkombinationen aus zwei Obstruenten (Konsonanten mit dem Merkmal [–sonorant]) nicht möglich. Die Analyse der englischen Affrikaten als Phonemfolgen /t+ʃ/ oder /d+ʒ/ (mithin als Sequenzen von [–sonorant][–sonorant]) würde diesem allgmeinen Strukurprinzip widersprechen. Außerdem sind die Affrikaten historisch gesehen jedenfalls zum Teil aus palatalen Plosivlauten entstanden (in anderen Fällen durch Entlehung aus dem Französichen).

Umgekehrt sind im Deutschen die Affrikaten /pf/ bzw. /ts/ aus /p/ bzw. /t/ entstanden (so noch heute im Niederdeutschen) und können wie Plosive Anlautverbindungen mit den Liquiden /l, r/ eingehen (z.B.: Pflug, Pfriem).

Wenn Affrikaten nicht als Sequenzen aufgefaßt werden, benötigen wir ein Attribut, das Affrikaten von Plosiven unterscheidet. Phonetisch betrachtet ist für die Affrikaten die verzögerte Verschlußlösung konstitutiv. Chomsky & Halle (1968) haben dafür die Bezeichnung delayed release vorgeschlagen. Ich schlage dafür die transparentere Bezeichnung affrikativvor. Affrikaten haben dann das Merkmal [+affrikativ], Plosive das Merkmal [–affrikativ].

  silbisch sonorant konsonantisch verschlossen nasal affrikativ
Plosiv + +
Affrikate + + +
Frikativ +  
Nasal ± + + + +  
Vokal + + ±  

Tab. 6.4.

Plosive, Affrikaten, und frikative können zur Klasse der Obstruenten zusammengefaßt werden.

Definition 6.7. Obstruent

Mit dem Terminus Obstruent werden Laute bezeichnet, die mit einer Verengung gebildet werden, die den Luftstrom durch die Nase oder den Mund behindert.

Alle Nicht-Obstruenten sind Sonoranten.

Definition 6.8. Sonorant

Sonoranten sind Laute, die mit einem relativ ungehinderten Luftstrom gebildet werden, bei dem die Stimmfalten so angeordnet sind, daß spontane Stimmbildung möglich ist, wie bei Vokalen, Liquiden, Nasalen, und Lateralen.

6.1.4 Approximanten: Liquide

Von den eingangs aufgelisteten Oberklassen haben wir bisher die Liquide und Gleitlaute noch nicht näher bestimmt.

Wenn man die Unterlippe während der Artikulation von /v/ nach unten bewegt, so daß die labiale Öffnung immer größer wird, kommt man bald an eine Stellung, bei der das Reibegeräusch des stimmhaften Frikativs verschwindet. Wenn man dann diese Stellung beibehält aber die Glottis öffnet, erhöht sich Geschwindigkeit des Luftstroms insgesamt und die Strömung durch die labio-dentale Öffnung wird erneut turbulent. Wir haben also einen Verengungsgrad, der bei Stimmlosigkeit ein Reibegeräusch erzeugt, bei Stimmhaftigkeit jedoch nicht. Laute mit dieser Eigenschaften heißen Approximanten.

Definition 5.9. Approximant

Approximanten sind Laute mit einer Annäherung zweier Artikulatoren, die so beschaffen ist, daß nur bei Stimmlosigkeit Luftverwirbelungen entstehen.

Zu den Approximanten gehören im Englischen und Deutschen die Liquide /l/ und /r/ (in lead und read bzw lasen und rasen. Bei der Artikulation dieser Laute ist die Zunge gegenüber der neutralen Stellung angehoben, so daß sie für den Luftstrom ein partielles Hindernis darstellt. Liquide haben also u.a. das Merkmal [+konsonantisch]. Der Zungenkörper ist jedoch so geformt, daß die Luft ihn umfließen kann. Dies geschieht entweder an den Zungenrändern (im Falle von /l/) oder in Zungenmitte. Liquide haben mit Nasalen das Merkmal [+sonorant] gemeinsam. Sie unterscheiden sich von ihnen außer durch die Nasalierung darin, daß letztere Verschlußlaute sind [+okklusiv]. Wie die Nasale sind Liquide prototypisch unsilbisch [–silbisch], können jedoch in bestimmten Kontexten den Silbengipfel bilden, z.B. in metal [mɛtl̩]. Eine unterschiedliche morphologische Struktur kann sich hier phonologisch auswirken, wie der Kontrast zwischen codling (cod+ling) und coddling (coddle + ing), [kɔdlɪŋ] vs. [kɔdl̩ɪŋ] zeigt.

  silbisch sonorant konsonantisch okklusiv nasal affrikativ
Plosiv + +
Affrikate + + +
Frikativ +  
Nasal ± + + + +  
Liquid ± + +  
Vokal + + ±  

Abb.6.5.

6.1.5 Resonant: Gleitlaute und Vokale

Wenn die Öffnung zwischen den Artikulatoren noch größer wird, verschwinden die Luftverwirbelungen auch bei Stimmlosigkeit. Laute, die unabhängig von der Stellung der Glottis nicht-turbulent sind, heißen Resonanten. Typische Resonanten sind die eher offenen Vokale wie /e/ oder /o/.

Resonant

Abb. 6.6. Resonant

Definition 6.10. Resonant

Resonanten sind Laute, die mit einer Annäherung zweier Artikulatoren gebildet werden, die auch bei Stimmlosigkeit keine Luftverwirbelung erzeugt.

  silbisch sonorant konsonantisch okklusiv nasal affrikativ
Plosiv + +
Affrikate + + +
Frikativ +  
nasal ± + + + +  
Liquid ± + +  
Gleitlaut +  
Vokal + + ±  

Tab. 6.5.

Damit bleibt noch die Frage zu klären, was den Gleitlaute von Vokalen unterscheidet. Zu den Gleitlauten gehören im Englischen das /j/ in yet und das /w/ in wet. Sie entsprechen in den meisten Eigenschaften den Vokalen /i/ und /u/. Wie der Name schon andeutet, sind Gleitlaute im wesentlichen schnelle (ballistische) Bewegungen auf eine Zielposition hin. Es ist nicht erforderlich, daß diese Zielposition auch erreicht wird. Gleitlaute haben keine Dauer. Vokale hingegen sind "verlängerbar". Daraus folgt auch, daß Gleitlaute nicht silbenbildend sein können. Die Fähigkeit silbenbildend zu sein, ist in der Tat das essentielle Attribut, das Vokale von Gleitlauten unterscheidet. Vokale haben daher das Merkmal [+silbisch], Gleitlaute das Merkmal [−silbisch].

6.1.6 Vibrationslaute

Ein weiterer Typ von Verengungslauten wird durch die Vibranten (engl. trill) gebildet. Dabei schlägt ein flexibles Organ wiederholt gegen ein anderes, wie in dem gerollten apikalen /r/ des Italienischen, Spanischen und in verschiedenen deutschen Dialekten; oder zwei flexible Organe schlagen gegeneinander, wie z.B. die Lippen bei einem bilabialen Vibranten. Der Erzeugungsmechanismus ist der gleiche wie bei der Vibration der Stimmfalten (Bernoullieffekt).

Vibrant und Flap

Abb. 6.7. Vibrant und Flap

Definition 6.11. Vibrant

Ein Vibrant ist ein Laut, bei dem ein flexibles Organ wiederholt gegen ein anderes schlägt, oder zwei flexible Organe gegeneinander.

Definition 6.12. Flap

Ein Flap ist eine kurzzeitige ballistische Bewegung eines flexiblen Organs gegen einen passiven Artikuklator.

Manche Sprecher des Britischen Englischen verwenden einen Flap für das /r/ in intervokalischer Stellung in Wörtern wie very oder unmittelbar nach dem dentalen Frikativ /θ/ in Wörtern wie three ([θɾiː]). Viele Amerikaner ersetzen das intervokalische /t/ in Wörtern wie city durch einen Flap: [sɪɾɪ].

6.1.7 Lateralität

Bei lingualen Lauten, d.h. solchen die mit der Zunge artikuliert werden, können wir im Hinblick auf die ‘transversale’ Dimension zwei Möglichkeiten der Lokalisierung der Verengung unterscheiden. Die Enge kann mit der Zungenmitte gebildet werden oder an den Zungenrändern. Erstere Laute heißen zentral, letztere lateral (aus lateinisch latus,-eris ‘Seite’).

Definition 6.13. Lateral

Ein Lateral ist ein Laut, dessen Verengung an einer oder an beiden Seiten der Zunge gebildet wird.

Definition 6.14. central

Ein zentraler Laut ist ein Laut, der mit einer Verengung in der Zungenmitte hervorgebracht wird.

Die Begriffe lateral und zentral sind wiederum komplementär. Die Kategorie zentral kann als [–lateral] definiert werden. Im Englischen und Deutschen gibt es nur jeweils ein laterales Phonem, nämlich /l/. Es ist ein Approximant und normalerweise stimmhaft. In bestimmten Kontexten jedoch, z.B. nach stimmlosen Plosiven vor betonten Vokalen kann das englische /l/ jedoch stimmlos und damit zum Reibelaut werden: [pl̥au], [kl̥uː] plough, clue.

In manchen Sprachen kommen sowohl stimmlose als auch stimmhafte laterale Frikative vor.

Laterale vs. Zentrale Verengung

Fig. 6.8. Laterale vs. Zentrale Verengung

6.1.8. Sibilanten

Es besteht ein deutlicher akustischer Unterschied zwischen Frikativen wie /s/ und /ʃ/ auf der einen Seite und /θ/ auf der anderen. Erstere weisen einen hohen Anteil an hochfrequenter akustischer Energie auf, wodurch sie eine charakteristisch zischende Qualität erhalten. Laute mit einer derartigen akustischen Struktur werden durch das auditive Merkmal sibilant (aus lat. sibilare ‘zischen, pfeifen’) bezeichnet.

Definition 6.15. Sibilant

Sibilanten (Zischlaute) sind Frikative und Affrikaten. Diese weisen eine vergleichsweise starke Konzentration akustischer Energie mit hohen Frequenzen auf.

Am einfachsten lassen sich diese Laute durch Aufzählung aussondern. Im Englischen handelt es sich um die folgenden Segmente:

[+sibilant]: /s z ʃ ʒ t ʃ dʒ/
Beispiele: sip zip ship pleasure chip gin

Diese Lautklasse spielt bei der Beschreibung der Pluralbildung im Englischen eine wichtige Rolle. Die regelmäßige Pluralendung weist drei lautlich verschiedene Varianten (Allomorphe) auf: /z/ wie in dogs, /s/ wie in cats, und /iz/ wie in bridges. Die Verwendung dieser Allomorphe ist von der Beschaffenheit des unmittelbar vorangehenden Segmentes abhängig. Die Form /z/ steht nach Segmenten mit den Merkmalen [-sibilant, +stimmhaft], /s/ nach Segmenten mit den Merkmalen [–sibilant, −stimmhaft], und /iz/ nach Segmenten mit dem Merkmal [+sibilant]. Die gleiche Verteilung gilt für das Possessivsuffix in John's, cat's, James's, und die unbetonte Form von is in John's in the garden, the cat's in the garden vs. James is in the garden.

6.1.9 Länge

Mit Ausnahme der Flaps und Halbvokale, die notwendigerweise momentan sind, kann die Haltephase aller Lauttypen beliebig verlängert werden. Verschlußlaute, Frikative, Affrikaten und Resonanten sind verlängerbar. Im Italienischen gibt es einen systematischen Kontrast zwischen kurzen und langen Konsonanten, wie in fato ‘Schicksal’ vs. fatto ‘gemacht’. Das Spanische unterscheidet zwischen einem lingualem Flap und einem lingualen Vibranten wie in pero ‘aber’ vs. perro ‘Hund’. Im Englischen und Deutschen spielt das Attribut Länge eine Rolle bei der Charakterisierung von Vokalartikulationen. Im internationalen phonetischen Alphabet wird die Länge durch einen Punkt (halb-lang): /diˑp/, oder einen Doppelpunkt (lang): /diːd/ repräsentiert.

6.1.10 Artikulationsstärke

Im Englischen wie im Deutschen wird die Opposition zwischen sogenannten stimmlosen und stimmhaften Lauten nicht ausschließlich durch die An- oder Abwesenheit des Stimmtons unterschieden. Vielmehr gibt es sogar Kontexte, in welchen die Opposition aufgehoben ist. Englische Konsonanten, die normalerweise stimmhaft sind, tendieren dazu mit relativ schwacher Energie artikuliert zu werden, während die immer stimmlosen Konsonanten relativ stark sind, d.h. mit höherem subglottalen Druck und größerer Muskelanspannung gesprochen werden. Traditionellerweise unterscheidet man zwischen (starker) Fortisartikulation und (schwacher) Lenisartikulation.

Definition 6.16. Fortis

Fortiskonsonanten sind Laute, die mit ‘starker’ Artikulation, d.h. mit höherem subglottalen Druck und größerer Muskelanspannung gebildet werden.

[+fortis]: /p f t θ s ʃ tʃ k h/

Beispiele: pit, fit, tin, thick, sin, ship, chip, kick, hit.

[–fortis]: /b v d ð n z ʒ dʒ g ŋ l r j w (Vokale)/

Beispiele: bit, vat, din, this, net, zombie, azure, judge, give, song, lip, rob, yeast, well

Fortisartikulation korreliert mit Stimmlosigkeit und verschiedenen Graden der Aspiration. Leniskonsonanten sind nicht aspiriert. Im Englischen korrelliert Lenisartikulation mit größerer relativer Dauer des vorangehenden Segments. Die Vokale in bit und bid sind, obwohl sie dem gleichen Typ [ɪ] angehören, unterschiedliche lang: das /i/ in bid [bɪˑd] ist merklich länger als das in bit. Das gilt auch für andere Sonoranten, z.B.. killed vs. kilt, rend vs. rent, ride vs. write.

6.2 Verschlußlösungsphänomene

Wie bereits ausgeführt kann die Lösungsphase eines Plosivs in verschiedener Weise mit anderen phonetischen Prozessen intgeragieren. Nicht immer werden Plosive durch die Beseitigung des oralen Vertschlusses gelöst.

  1. Im Auslaut wie in map, mat, mack, oder robe, road, rogue, kann die Okklusion aufrecht erhalten werden, während der Luftdruck reduziert und der Verschluß durch ein langsames und relativ unhörbares Öffnen des oralen Verschlusses gelöst wird. Diese unhörbare Lösung kann durch ein diakritisches Zeichen wiedergegeben werden: [mæp̚, mæt̚, mæk̚, rəʊb ̚, rəʊd ̚, rəʊg ̚].
  2. In einer Aufeinanderfolge von zwei Plosiven erfährt der erste keine hörbare Lösung, z.B. in dropped [drɒp ̚t], rubbed [rʌb̚d], white post, good boy, locked, big boy, object, big chin.
  3. Wenn auf einen Plosiv ein homorganer Nasalkonsonant folgt, wird die Luft nicht wie üblich durch Beseitigung des oralen Verschlusses gelöst, sondern durch Senken des Velums, so daß die Luft durch die Nasenhöhle entweichen kann, z.B. topmost, cotton, sudden. Diese nasale Verschlußlösung kann durch ein hochgestelltes n gekennzeichnet werden: [sʌdⁿ].
  4. Folgt auf die Plosive /t/ und /d/, ein /l/, erfolgt die Verschlußlösung normalerweise lateral, d.h. auf einer oder beiden Seiten der Zunge: cattle, medal, atlas, regardless etc. Obwohl die Situation bei Folgen aus /p b k g/ + /l/ etwas verschieden ist (beim Übergang vom Verschluß zum Lateral wird auch der Artikulationsort gewechselt) sprechen wir auch in Wörtern wie apple, bubble, tackle, eagle von lateraler Verschlußlösung etc. In phonetischer Umschrift kann diese Art der Verschlußlösung durch ein hochgestelltes l wiedergegeben werden: [rɪdˡ] (riddle).