4 Phonation

4.0 Einleitung

Der im Normalfall durch die Aktivität der Atmungsmuskulatur erzeugte Luftstrom, sozusagen die "Trägerwelle" des Sprechens, wird auf dem Weg nach außen durch eine Reihe verschiedener Prozesse "moduliert". Die erste Stelle, an der eine derartige Modulation erfolgen kann, ist der Kehlkopf oder Larynx (Adj. laryngal). Der larnygale Prozeß, um den es sich hier vorrangig handelt, wird Phonation genannt.

Definition 4.1. Phonation

Unter Phonation versteht man jede laryngale Sprechtätigkeit, die weder der Erzeugung eines Luftstroms noch der Artikulation dient, sondern vielmehr der Bildung einer hörbaren akustischen Engergiequelle auf der Basis eines durch das Atmungssystem bereitgestellten Luftstroms.

Die Vibration der Stimmlippen bei der Erzeugung des charakteristischen Stimmtons von Vokalen wie [a e i o u]) oder Resonanten wie [m n l j w] ist eine laryngale Aktivität, die ausschließlich eine phonatorische, d.h. stimmbildende Funktion hat. Im Gegensatz dazu ist der vollständige Verschluß zwischen den Stimmlippen bei der Bildung des sog. Kehlkopf- oder Glottisverschlußlautes [ʔ], der z.B. im Deutschen im Anlaut aller Wörter gesprochen wird, die orthographisch mit Vokal beginnen (z.B. Ei [ʔaɪ] oder Akt [ʔakt]), eine laryngale Aktivität mit artikulatorischer Funktion. Die Auf- oder Abwärtsbewegung des Kehlkopfes bei der Produktion glottalischer Laute (Ejektive oder Implosive), die wir im vorangegangen Kapitel kennengelernt haben, ist eine laryngale Aktivität, die der Bildung eines Luftstromes dient.

Anatomie des Stimmapparates

Abb. 4.1. Anatomie des Stimmapparates

4.1 Die Anatomie des Stimmapparates

Der Kehlkopf oder Larynx (Adj. laryngal) ist ein System von Knorpeln, die durch Muskeln und Bänder miteinander verbunden sind. Die wichtigsten Teile des Knorpelskeletts sind der große Schildknorpel (der als Adamsapfel äußerlich sichtbar ist, engl. thyroid cartilage), der tiefer liegende Ringknorpel (engl. cricoid cartilage) und die beiden innen gelegenen kleinen pyramidenförmigen Stellknorpel (Aryknorpel, engl. arytenoid cartilages).

Der Kehlkopf

Abb. 4.2. Der Kehlkopf

 

Die Knorpel des Kehlkopfes

Abb. 4.3. Die Knorpel des Kehlkopfes

Die primäre biologische Funktion des Kehlkopfes ist jedoch nicht die Phonation, sondern die Kontrolle des Luftweges von außen zur Lunge und umgekehrt von der Lunge nach außen als Teil des Atmungsprozesses. Er hat außerdem eine Schutzfunktion, indem er verhindert, daß feste oder flüssige Nahrung in die empfindlichen Lungengewebe gerät bzw. dafür sorgt, daß durch einen komplizierten Vorgang, den wir Husten nennen, Fremdkörper aus der Lunge entfernt werden.

Das wichtigste Organ für den Phonationsprozeß stellen die Stimmlippen oder Stimmfalten (engl. vocal cords, vocal folds) dar.

Kehlkopf in vivo Stellung der Glottis
Abb. 4.4. Kehlkopf in vivo Abb. 4.5. Stellung der Glottis
(schematisch)


Definition 4.2. Stimmlippen, -falten

Die Stimmlippen (auch Stimmbänder oder Stimmfalten genannt) bestehen aus zwei Muskelfalten , die von einem gemeinsamen Ausgangspunkt an der Innenseite des vorderen Teils des Schildknorpels ("Adamsapfel") nach rückwärts bis zu den Vorderenden eines beweglichen pyramidenförmigen Knorpelspaares, die Stellknorpel, verlaufen. Die Stimmlippen sind äußerst flexibel und können durch die Tätigkeit der mit ihnen verbundenen Knorpel und Muskeln verschiedene Gestalt annehmen.

Der Raum zwischen den beiden Stimmlippen und den Stellknorpeln, die Stimmritze, wird glottis genannt.

Definition 4.3. Glottis

Mit Glottis bezeichnet man den Raum zwischen den Stimmlippen und den Stellknorpeln (engl. arytenoid cartilages). In manchen Fällen ist es zweckmäßig, zwischen dem muskulösen (durch die Stimmfalten gebildeten) und dem knorpeligen Teil der Glottis zu unterscheiden.

Wie bereits erwähnt, kann die Glottis eine Reihe unterschiedlicher Zustände aufweisen, deren Form und Wirkung in den folgenden Abschnitten erläutert werden soll.

4.2 Atemstellung (Stimmlosigkeit)

Atemstellung

Abb. 4.6. Atemstellung

Am einfachsten läßt sich die Stellung der Glottis beim Atmen beschreiben. Sowohl die Stimmlippen als auch die Stellknorpel liegen in ihrer ganzen Länge auseinander, so daß ein Lungenluftstrom relativ ungehindert entweichen kann. Beim normalen Ausatmen liegen sie etwas enger beeinander als beim Einatmen. Soweit bekannt, ist die Stellung der Glottis bei stimmlosen Lauten die gleiche wie beim Ausatmen.

Ein typischer Laut, der mit dieser Glottisstellung gebildet wird, ist das stimmlose /h/, bei dem auch die Artikulationsstelle glottal ist. Im übrigen ist diese Glottisstellung die Grundlage für alle stimmlosen Laute, wie z.B. [p, t, k, f, s, S, x ...]. Manche stimmlose Laute haben kein eigenes phonetisches Symbol, z.B. weil sie Varianten von typischerweise stimmhaften Lauten sind (z.B. Nasale, Liquide und Vokale). In diesen Fällen wird ein kleiner Kreis als zusätzliches diakritisches (=unterscheidendes) Zeichen verwendet: [m ̥] und [n ̥] z.B. sind stimmlose Varianten der Nasale [m] und [n]. Haben die fraglichen Buchstaben Unterlängen, schreibt man das Zusatzzeichen besser über das Hauptsymbol: [ŋ˚]

4.3 Stimmstellung

Stimmstellung
Abb. 4.7. Stimmstellung

Bei der Bildung von stimmhaften Lauten, d.h. bei Vokalen wie [a e i o u] oder Resonanten wie [m n l j w], sind die Stimmlippen so angeordnet, daß sie sich in ihrer gesamten Länge fast berühren. Wenn durch diese sehr enge Annäherung ein egressiver pulmonischer Luftstrom geschickt wird, bilden sich Kräfte, durch deren Zusammenspiel dieser Luftstrom in eine Folge von periodischen Pulsen verwandelt wird. Dieser Vorgang soll im folgenden etwas genauer betrachtet werden.


Längsschnitt durch den Kehlkopf
Stimmfalten
4.8. Längsschnitt durch den Kehlkopf
Abb. 4.9. Stimmfalten

Phasen der Phonation

Phonation Phase 1

Abb. 4.10.

Abb. 4.10. und die folgenden Abbildungen zeigen das Öffnen und Schließen der Glottis aus der Perspektive von vorn auf den Kehlkopf, die Stimmfalten sind zudem in der Mitte quer angeschnitten..In der Ruhe oder zu Beginn eines Phonationszyklus berühren sie sich.

Phonation Phase 2

Abb. 4.11.

Drückt die Atemluft von unten gegen die Stimmfalten entsteht ein subglottaler Druck, der bei Erreichen eines Schwellwertes diese auseinanderpreßt. Dabei trennen sich zunächst die unteren Ränder.

Phonation Phase 3

Abb. 4.12.

Später trennen sich auch die oberen Ränder.

Phonation Phase 4

Abb. 4.13.

Sind die Stimmfalten geöffnet, kann die Atemluft wie durch eine Düse in den Rachenraum entweichen.

Phonation Phase 5

Abb. 4.14.

Durch diese schnelle Strömung entsteht jedoch eine seitliche Sogwirkung, der sog. Bernoulli Effekt, der die Stimmlippen, unterstützt durch deren Elastizität, quasi ansaugt und zusammenzieht.

Phonation Phase 6

Abb. 4.15.

Dabei schließen sich zuerst die unteren Ränder, die oberen folgen, wenn der subglottale Luftstrom abgeschnitten ist.

Phonation Phase 7

Abb. 4.16.

 

Phonation Phase 8

Abb. 4.17.

Als Folge davon wird unterhalb der erneut Glottis ein Druck aufgebaut, der sie den Phonationszyklus von vorne beginnen läßt. Auf diese Weise wiederholt sich dieser Zyklus immer wieder und erzeugt die regelmäßige Vibration, die wir Stimme nennen. Die Vibrationsgeschwindigkeit und damit die Stimmhöhe eines stimmhaften Lautes hängt von der Spannung der Stimmlippen ab, die von der Kehlkopfmuskulatur kontrolliert wird.
   

Hinweis: Die folgenden Animationen und Videos können nur angezeigt und abgespielt werden, wenn auf dem Rechner ein Quicktime "Plugin" vorhanden ist. Gegebenenfalls müssen Sie es aus dem Internet herunterladen und installieren.

Abb. 4.18. Phonationsphasen animiert
Die Bewegung der Stimmlippen
Abb.4.19. Die Bewegung der Stimmlippen

 

Abb. 4.20. Stimmbildungs-Beispiele

Durch die beien Phonationtypen "Stimmhaftigkeit" und "Stimmlosigkeit" werden zwei Klassen von phonetischen Segmenten (phonetische Kategorien) definiert, die Klasse der stimmhaften Segmente und die Klasse der stimmlosen Segmente. Da auf der systematischen Ebene alle Segmente entweder stimmhaft oder stimmlos sind, können wir Stimmlosikeit als Abwesenheit von Stimmton definieren. Stimmhafte Laute werden dann durch das Merkmal [+stimmhaft] beschrieben, stimmlose Laute durch das Merkmal [–stimmhaft].

[+stimmhaft]: /b, d, g, m, n, ŋ, v, z, ʒ, l, r, j / und Vokale
Ebbe, Ede, Egge, Emma, Anna, Anger, Slave, reisen, Massage, Wille, Karren, Jagen ...

[–stimmhaft]: /p, t, k, pf, f, s, ʦ, θ, ʃ, x /
Pappe, Wette, Ecke, Napf, Strafe, reißen, Zecke, engl. thick, Lasche, Wache.

4.4. Stimmeinsatz-Zeit

Stimmeinsatz-Zeit

Abb. 4.21. Stimmeinsatz-Zeit

Im vorhergehenden Abschnitt wurde davon ausgegangen, daß phonetische Segmente entweder stimmhaft oder stimmlos sind. Von einem im engeren Sinne phonetischen Standpunkt aus betrachtet ist dies nicht ganz korrekt. Die Begriffe stimmhaft und stimmlos beziehen sich auf spezifische Zustände der Stimmlippen während der Artikulation eines Lautes. Die Dauer dieser Zustände muß jedoch nicht mit den Segmentgrenzen zusammenfallen, d.h. eine Periode der Stimmhaftigkeit (oder Stimmlosigkeit) kann länger oder kürzer sein als die Länge eines Segmentes. Wenn sich die Stimmfalten nur während eines Teils der Artikulation in Stimmstellung (oder umgekehrt in Atemstellung) befinden, ist das betroffene Segment partiell stimmhaft (bzw. stimmlos). Anlautendes englisches /b/ z.B. ist partiell stimmhaft, während das entsprechende französische /b/ immer voll stimmhaft ist.

Durch den Begriff der Stimmeinsatz-Zeit läßt sich auch das Phänomen der Aspiration erklären. Unter Aspiration versteht man eine Phase der Stimmlosigkeit unmittelbar nach der Lösung eines Verschlusses. Anders ausgedrückt, die Stimmfalten beginnen erst eine Weile nach der Verschlußlösung wieder zu schwingen. Im Englischen und Deutschen z.B. sind die stimmlosen Plosivlaute /p, t, k/ im Silbenanlaut vor betontem Vokal aspiriert. In der phonetischen Umschrift wird Aspiration durch ein hochgestelltes /h/ wiedergegeben: z.B. [ph, th, kh].

4.5. Weitere Stellungen der Glottis

Neben den beiden fundamentalen Glottisstellungen Stimmstellung und Atemstellung, mit denen wir uns im weiteren Verlauf hauptsächlich beschäftigen werden, gibt es noch weitere Stellungen der Glottis, die linguistisch mehr oder weniger marginal sind.

4.5.1. Flüsterstellung

Flüsterstellung

Wenn man bewußt vom normalen Ausatmen zum Flüstern wechselt, kann man im Kehlkopf eine Anspannung verspüren, die beim Atmen fehlt. Man kann zwar mehrere Arten des Flüsterns unterscheiden. Für den Augenblick jedoch genügt es festzustellen, daß Flüstern ein kräftiges zischenedes Geräusch ist, das durch einen turbulenten Luftstrom durch eine stark verengte Glottis hervorgebracht wird. In geflüsterter Sprache sind normalerweise stimmhafte Laute geflüstert, während normalerweise stimmlose Laute stimmlos bleiben. Wenn man z.B. Wörter wie fish oder six flüstert, kann man feststellen, daß in der Tat nur der Vokal geflüstert wird, während die Konsonanten stimmlos bleiben. Im Gegensatz dazu werden beim Flüstern des Wortes vision alle Laute durch Flüstern ersetzt werden. Anders bei fission: wenn man beide Wörter hintereinander flüstert, tritt der Unterschied zwischen Flüstern und Stimmlosigkeit klar hervor.

In keiner bisher bekannten Sprache scheint es systematische geflüsterte Laute zu geben.

Abb. 4.22. Flüsterstellung
 

 

4.5.2. Murmelstimme

Murlmelstimme

Abb. 4.23 Murlmelstimme

Manche Laute können nicht ausschließlich durch den Gegensatz zwischen stimmhaft und stimmlos charakterisiert werden. Es gibt Sprachen mit zwei Vokalreihen, bei denen jeweils die Stimmfalten schwingen. Eine Vokalreihe wird mit einer Glottisstellung erzeugt, die der Stimmstellung entspricht. Die andere Reihe wird mit einer anderen Konstellation der Stimmlippen produziert, bei der der knorpelige Teil der Glottis (zwischen den Stellknorpeln) geöffnet ist, während der muskulöse Teil sich in Stimmstellung befindet. Dadurch entsteht quasi eine Kombination von Stimmhaftigkeit und Stimmlosigkeit. Das Englische /h/ zwischen Vokalen (wie in ahead [əɦɛd]) ist von dieser Qualität. In der phonetischen Beschreibung indischer Sprachen wird die Murmelstimme traditionell stimmhafte Aspiration genannt. In der phonetischen Umschrift kann dieser Phonationstyp durch ein subskribiertes Trema oder ein hochgestelltes [ɦ] gekennzeichnet: [m- z- b- a-] bzw. [mɦ zɦ bɦ aɦ]

4.5.3. Knarrstimme

Knarrstimme

Abb. 4.24 Knarrstimme

Eine andere Erscheinungsform der Vibration der Stimmfalten findet sich in laryngalisierten Lauten. Dabei ist der knorpelige Teil der Glottis fest geschlossen, während ein Teil der muskulösen Glottis offen ist und mit geringer Amplitude vibriert. Häufig sind sogar einzelne Glottisschläge wahrnehmbar, da auch die Schwingungsfrequenz sehr niedrig ist (zwischen 90 und 40 Hz). Man nennt diesen Phonationstyp auch Knarrstimme (engl. creaky voice).

In der phonetischen Umschrift wird die Laryngalisierung durch eine subskribierte Tilde gekennzeichnet: [m̰ b̰ z̰ a̰]

4.5.4. Glottisverschluss

Bei der Bildung eines Glottisverschlusses (engl. glottal stop) werden die Stimmlippen in ihrer gesamten Länge fest zusammengepreßt. Von einem systematischen (phonologischen) Standpunkt aus betrachtet muß der Glottisverschluß als Artikulationstyp aufgefaßt werden. Vom phonetischen Gesichtspunkt aus ist er jedoch ein Stellungstyp der Glottis, der komplementär zu anderen Glottisstellungen ist. Liegt ein glottaler Verschluß vor, kann es gleichzeitig weder Stimmhaftigkeit, noch Stimmlosigkeit, noch irgend einen anderen Phonationstyp geben.