Kapitel 2. Allgemeine Grundbegriffe

2.1. Vorbemerkung

In dem Maße wie die Linguistik versucht eine exakte Wissenschaft zu sein, erhalten Aussagen über ihre Gegenstände die Form von Theorien. Dabei müssen grundsätzlich drei Aspekte unterschieden werden:

  1. Der Objektbereich, der durch eine Theorie erklärt oder durch ein Modell modelliert werden soll. Dieser ist immer schon im Sinne eines Formalobjektes (vgl. Kapitel 1.) zu verstehen.
  2. Die Theorie selbst, die den Objektbereich beschreibt und erklärt. Der gleiche Objektbereich kann durch unterschiedliche Theorien erklärt werden.
  3. Die Sprache, in der eine Theorie ausgedrückt wird. Die gleiche Theorie kann gegebenenfalls durch unterschiedliche Sprachen ausgedrückt werden. Ausdrücke aus verschiedenen Sprachen sind dann ineinander übersetzbar.

Eine Theorie sollte zunächst in (gegebenenfalls terminologisch angereicherter) Alltagssprache ausdrückbar sein. Es hat sich jedoch als vorteilhaft erwiesen, in den Wissenschaften eine spezielle Wissenschaftssprache zu verwenden. Darüber wird ausführlicher in Abschnitt 2.3. die Rede sein.

2.2. Theorie und Theoriebildung

In den folgenden Abschnitten sollen zunächst kurz Begriffe wie Theorie, Hypothese, theoretisches Konstrukt erläutert werden.

Definition 2.1. Theorie

Eine Theorie ist ein System von Hypothesen oder eine Menge von solchen Systemen, die zur Erklärung bestimmter Phänomenenbereiche entwickelt werden.

Definition 2.2. Hypothese

Eine Hypothese ist eine empirische Verallgemeinerung über einer Menge von Beobachtungsdaten.

Wir können zumindest vier Phasen der Theoriebildung unterscheiden.

  • Sammlung und Beschreibung von empirischen Daten
  • Hypothesenbildung
  • Theoriebildung
  • Überprüfung

PHASE 1

Beobachtungen über bestimmte Phänomene (Daten) werden gesammelt, beschrieben und klassifiziert. So können wir z.B. beobachten, daß bestimmte Holzgegenstände in Wasser schwimmen, während bestimmte (feste) Metallgegenstände untergehen. Zum Zwecke der Beschreibung und Klassifizierung von Beobachtungsdaten werden Beschreibungssprachen geschaffen (z.B. das phonetische Alphabet und die Terminologie der artikulatorischen Phonetik). Das Resultat der Phase 1 ist eine Beschreibung und Klassifizierung einer Menge von Beobachtungsdaten.

PHASE 2

Auf der Grundlage einer Sammlung von beschriebenen und klassifizierten Beobachtungs­daten können wir versuchen Hypothesen zu bilden, wobei eine Hypothese eine empirische Verallgemeinerung über die beobachteten Daten ist. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Nachdem wir in einer großen Anzahl von Fällen festgestellt haben, daß feste Holzgegenstände in Wasser schwimmen, während feste Metallgegenstände untergehen, bilden wir die Hypothesen "Alle festen Holzgegenstände schwimmen in Wasser" und "Alle festen Metallgegenstände gehen in Wasser unter". Wir sehen jedoch noch keinen Zusammenhang zwischen diesen Hypothesen.

PHASE 3

Das grundlegende Ziel der Theoriebildung ist es, verschiedene Hypothesen durch allgemeine Prinzipien miteinander in Beziehung zu setzen, und so eine Erklärung für die gemachten Beobachtungen zu erhalten. Diese zur Erklärung herangezogenen Prinzipien werden theoretische Konstrukte genannt. In unserem Beispiel wird das unterschiedliche Verhalten von hölzernen und metallischen Gegenständen durch das gleiche allgemeine Prinzip, das wir spezifisches Gewicht nennen, erklärt. Das spezifische Gewicht ist die relative Dichte einer Substanz, d.h. das Verhältnis der Dichte einer Substanz und der einer Vergleichssubstanz (normalerweise Wasser).

Definition 2.3. Theoretisches Konstrukt

Ein theoretisches Konstrukt ist ein konstruierter, theoretischer oder theoriegebundener Begriff, der nur indirekte empirische Bezüge hat. Systeme von Konstrukten ergeben Theorien im Sinne begrifflicher Netze über einem Gegenstandsbereich. Linguistische Konstrukte sind Struktur, System, Phonem, Kompetenz, usw.

Mit dem Begriff bzw. theoretischen Konstrukt des spezifischen Gewichtes können nun die beiden Hypothesen

  1. Alle Holzgegenstände schwimmen in Wasser
  2. Alle festen Metallgegenstände gehen in Wasser unter

auf sehr allgemeine Weise miteinander in Beziehung gebracht werden:

Alle festen Körper, deren spezifisches Gewicht kleiner ist als das einer bestimmten Flüssigkeit, schwimmen in dieser Flüssigkeit.

PHASE 4

Die Überprüfung von Theorien. Theorien werden überprüft, indem man sie zu falsifizieren versucht. Der Wissenschaftler versucht Fälle zu finden, die durch die Theorie nicht erklärt werden oder im Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie stehen. Eine Theorie ist gültig solange sie nicht falsifiziert worden ist. In unserem Beispiel kann die Hypothese, daß alle festen Metallgegenstände in Wasser untergehen, durch die Beobachtung falsifiziert werden, daß Natrium in Wasser schwimmt. Es handelt sich hier jedoch um eine Falsifizierung der ursprünglichen Hypothese "alle Metallgegenstände gehen unter", aber nicht der Theorie. Denn mit dem theoretischen Konstrukt des spezifischen Gewichts wird auch das Verhalten von Natrium erklärt, dessen spezifisches Gewicht (0.97) kleiner als das von Wasser (1.00) ist.

2.3. Wissenschaftssprache

Eine Theorie muß sprachlich ausgedrückt werden. Dies kann prinzipiell mithilfe der Alltagssprache geschehen. Damit sind jedoch eine Reihe von Schwierigkeiten verbunden, die dazu geführt haben, daß zur Formulierung von wissenschaftlichen Theorien eine eigene Wissenschaftssprache entwickelt worden ist.

2.3.1. Alltagssprache und Wissenschaftssprache

Definition 2.4. Wissenschaftssprache

Die "Gesamtheit der sprachlichen Mittel einer Wissenschaft mit den Regeln für deren Gebrauch" (Klaus/Buhr 1971, sv. Wissenschaftssprache) nennt man Wissenschaftssprache.

Die Grundlage einer Wissenschaftssprache ist immer die Alltagssprache. Gerade die Eigenschaften der Alltagssprache, die ihre Flexibilität als Kommunikationsmittel ausmachen, machen sie als Wissenschaftssprache jedoch ungeeignet: viele Wörter der Alltagssprache sind mehrdeutig, ihre Bedeutung ist oft unscharf; die Alltagssprache enthält Synonyme etc. Die Begriffe der Wissenschaftssprache müssen jedoch eindeutig und genau sein. Die Wissen­schaftssprache versucht diese Nachteile der Alltagssprache zu überwinden, indem sie eine spezielle Terminologie verwendet, die für die jeweilige Wissenschaft genau definierte Begriffe bezeichnet. Durch eine solche Terminologie wird neben der Eindeutigkeit auch eine kürzere und damit übersichtlichere Ausdrucksweise möglich.

2.3.2. Theoretische und metatheoretische Begriffe

Definition< 2.5. Theoretische Begriffe

Begriffe, die sich auf den von einer Theorie beschriebenen Gegenstand beziehen, und die somit unmittelbare Bestandteil der Theorie sind, werden theoretische Begriffe genannt.

Theoretische Begriffe der Sprachtheorie sind z.B.: Satz, Wort, Relativpronomen, Phonem etc. Daneben sind auch Begriffe erforderlich, die Eigenschaften der Theorie selbst erfassen, mit denen man also über Theorien spricht.

Definition 2.6. Metatheoretische Begriffe

Begriffe mit denen man über Eigenschaften von Theorien spricht werden metatheoretische Begriffe genannt.

Metatheoretische Begriffe der Sprachtheorie sind z.B.: Transformationsregel, Struktur­beschreibung, Regelschema, Symbolkette, grammatische Kategorie etc.

2.3.3. Objektsprache und Metasprache

Die Wissenschaftssprache ist die Sprache, mit der eine Wissenschaft über ihre Gegenstände spricht. Betrachten wir zunächst die Verwendung der Wissenschaftssprache durch den Nicht-Linguisten.

Der Chemiker, z.B., verwendet Sprache um über Gegenstände zu sprechen, die keine Sprache sind. Die Sprache, die er dazu verwendet, unterscheidet sich jedoch von der Alltagssprache. Es ist eine besondere Sprache mit einem speziellen Vokabular, einer Terminologie. Es ist ein Teil der Sprache, die wir Wissenschaftssprache genannt haben. Nehmen wir folgendes Beispiel:

(2.1.)  Natriumchlorid ist ein Salz

Natriumchlorid ist ein chemischer Terminus, den wir in der Alltagssprache nicht verwenden. In einem Spezialwörterbuch würden wir als Bedeutung Salz finden. Was passiert jedoch, wenn wir im Beispiel Natriumchlorid durch Salz ersetzen?

(2.2.)  Salz ist ein Salz.

Das ist etwas seltsam.[1]

Für den Chemiker hat das Wort Salz eine besondere und allgemeinere Bedeutung.

(2.3.)  Salz ist eine Substanz, die durch die Reaktion einer Säure mit einer Base entsteht.

Noch genauer könnte diese Aussage wie folgt formuliert werden:

(2.4.)  In der Chemie wird das Wort Salz zur Bezeichnung jeder Substanz verwendet, die durch die Reaktion einer Säure mit einer Base entsteht.

Damit sollte deutlich geworden sein, daß auch der Nicht-Linguist Sprache in zweierlei Funktionen verwendet. Er verwendet Sprache, um über Gegenstände zu sprechen, die selbst nicht Sprache sind. Die Sprache, die er zu diesem Zweck verwendet wird Objektsprache genannt.

Definition 2.7. Objektsprache

Der Teil der Wissenschaftssprache, mit der man über nicht-sprachliche Gegenstände einer Wissenschaft spricht, wird Objektsprache genannt.

Der Wissenschaftler verwendet Sprache jedoch auch, um über Sprache zu sprechen, z.B. über die Objektsprache seiner Wissenschaft. Das kann notwendig sein, um z.B. die Bedeutung eines bestimmten Terminus zu definieren, wie im obigen Beispiel.

Definition 2.8. Metasprache

Jede Sprache mit der über eine Sprache gesprochen wird, ist eine Metasprache

Da eine Metasprache selbst wieder eine Sprache ist, kann man sich auch eine Metasprache zu dieser Sprache vorstellen, eine Meta-Metasprache, so daß wir eine ganze Hierarchie mit mehreren metasprachlichen Ebenen erhalten:

Metasprache der n-ten Stufe
Metasprache der 2. Stufe
(Meta-Metasprache)
¯
Metasprache der 1. Stufe
¯
Objektsprache
¯
nichtsprachliche Objekte

Abb. 2.1. Objektsprache und Metasprachen

Eine Metasprache der ersten Stufe ist durch folgende Eigenschaften charakterisiert:

  1. Alles was in der Objektsprache ausgedrückt werden kann, kann auch in der zugeordneten Metasprache ausgedrückt werden. Eine Metasprache muß so ausdrucksfähig sein, daß sich alle Ausdrücke ihrer Objektsprache in sie übersetzen lassen.
  2. Mittels der Metasprache kann man alle Ausdrücke der Objektsprache bezeichnen; das bedeutet: Man hat Namen für sie (Namenmetasprache).
  3. Man kann in der Metasprache über alle Beschaffenheiten ihrer Objektsprache sprechen.
  4. Man kann in der Metasprache Regeln für den Gebrauch der Objektsprache fomulieren. Z.B. kann man den Gebrauch objektsprachlicher Termini durch Definitionen semantisch regeln.

Für die Objektsprache gilt u.a. folgendes:

  1. Ist die Objektsprache eine wissenschaftliche Fachsprache, ist zumindest der Gebrauch der Termini durch die zugehörige Metasprache semantisch geregelt.
  2. Die Objektsprache ist nicht selbst-rückbezüglich, d.h. in der Objektsprache sind keine Aussagen über die Objektsprache selbst erlaubt.

Die Linguistik unterscheidet sich von anderen Wissenschaften u.a. darin, daß ihr Objekt die Alltagssprache ist. Genau betrachtet hat die Linguistik daher keine Objektsprache im definierten Sinn. Die Wissenschaftssprache der Linguistik ist daher immer schon eine Metasprache. Wenn wir sagen: Peter hat zwei Silben, wollen wir nicht über irgendeine Person sprechen, sondern über das Wort Peter. Es handelt sich also um einen metasprachlichen Ausdruck. Das Wort Silbe bezeichnet einen theoretischen Begriff und ist ebenfalls ein metasprachlicher Ausdruck.

Die Alltagssprache wird normalerweise verwendet um über nichtsprachliche Gegenstände zu sprechen und fungiert dann als Objektsprache. Sie kann jedoch auch reflexiv verwendet werden und fungiert dann als Metasprache. In der Alltagssprache kommen also sowohl objektsprachliche als auch metasprachliche Ausdrücke vor. Der Ausdruck Dieses Wort möchte ich nicht noch einmal hören ist sicher ein Ausdruck der Alltagssprache. Gleichzeitig ist das Wort Wort ein metasprachlicher Ausdruck. Um dieser besonderen Situation gerecht zu werden, soll der Begriff linguistischen Objektsprache eingeführt werden:

Definition 2.9. Linguistische Objektsprache

In der Linguistik bezeichnet der Begriff Objektsprache eine natürliche Sprache wenn sie selbst Gegenstand der Untersuchung ist. Die linguistische Objektsprache ist reflexiv, d.h. sie kann metasprachliche Ausdrücke enthalten.

Angesichts der wichtigen Rolle, welche Sprache im menschlichen Leben spielt, ist es keines­wegs überraschend, daß die Alltagssprache eine Reihe von Ausdrücken enthält, die sich auf sprachliche Gegenstände beziehen, z.B. Satz, Wort, Laut, Buchstabe usw. Man vergleiche die folgenden Beispiele:

(2.5.)  (a) Hans ist ein Narr
(b) Hans ist ein Nomen
(c) Hans ist einsilbig

(2.6.)  (a) Sätze bestehen aus Wörtern
(b) Sätze besteht aus 5 Buchstaben

(2.7.)  Was Hans zu dem Mann im Garten gesagt hat ist zweideutig.

Der Satz Hans ist ein Narr ist ein normaler objektsprachlicher Ausdruck, mit dem eine Aussage über eine Person namens Hans gemacht wird. Der Satz Hans ist ein Nomen hingegen macht nur Sinn, wenn Hans sich nicht auf irgendein Individuum bezieht, sondern auf das Wort Hans selbst. Es handelt sich um eine metalinguistische Aussage über das deutsche Wort Hans als Wort. Man kann auch sagen, daß im ersten Fall das Wort Hans ‘gebraucht’ wird während es im zweiten Fall ‘erwähnt’ wird.[2]

Wird ein Ausdruck erwähnt, fungiert er als Name für sich selbst.

Abb. 2.2. Objekt- und Metasprache in Naturwissenschaft und Linguistik

Definition 2.10. Name

Ein Name ist ein metasprachlicher Ausdruck, der sich auf einen sprachlichen Ausdruck bezieht, z.B. um darüber eine linguistische Aussage zu machen.

Der unterschiedliche Status von Hans in den beiden Sätzen kann durch typographische Konventionen wie Anführungszeichen oder Kursivschrift verdeutlicht werden:

(2.8.)  Hans ist ein Nomen. Hans ist ein Nomen.

Erwähnung kann rekursiv sein.

(2.9.)   Das Subjekt von Hans ist ein Nomen ist "Hans".

Vergleiche dazu auch folgendes Beispiel aus Carnap';s Buch The Logical Syntax of Language (Carnap 1959: 156f.):

  1. ω ist eine Ordnungszahl;
  2. ω ist keine Ordnungszahl, sondern ein griechischer Buchstabe;
  3. Omega ist ein griechischer Buchstabe;
  4. Omega ist kein griechischer Buchstabe, sondern ein Wort, welches aus 5 Buchstaben besteht;

Im Satz (4) wird nicht über Omega gesprochen, also nicht über ω, sondern über Omega. An Subjektstelle steht in (4) also nicht Omega wie in Satz (3), sondern vielmehr "Omega".

Das Wort Nomen ist ebenfalls ein metalinguistischer Ausdruck. Es ist ein Fachterminus, der einen theoretischen Begriff bezeichnet.

Definition 2.11. Linguistischer Terminus

Ein linguistischer Terminus ist ein metasprachlicher Ausdruck, dem ein linguistischer Allgemeinbegriff durch Definition fest zugeordnet ist.

Der jeweilige begriffliche Inhalt linguistischer Termini muß möglichst genau festgelegt werden. Dies kann durch Definitionen geschehen, durch welche die einzelnen Begriffe voneinander abgegrenzt werden. Die einzelnen Begriffe erhalten so einen festen Stellenwert im Rahmen eines zusammenhängenden Begriffssystems.

Definition 2.12. Definition

Unter einer Definition versteht man die genaue Abgrenzung eines Begriffes innerhalb eines größeren Zusammenhanges unter Verwendung anderer Begriffe (explizite Definition).

Definition 2.13. Definiendum

Der zu definierende Begriff heißt Definiendum (lat. das zu Definierende).

Definition 2.14. Definiens

Der Begriff oder Begriffskomplex, durch den ein Begriff (das Definiendum) definiert wird, heißt Definiens (lat. das, was definiert).

Ein solches System besteht zunächst aus einer Reihe von Grundbegriffen, die nicht explizit definiert werden können, sondern entweder durch ihre Stellung im Gesamtsystem implizit definiert sind, oder im Rahmen einer anderen Theorie definiert werden. Alle anderen Begriffe werden aus den Grundbegriffen durch Definition abgeleitet.

Dabei können verschiedene Arten von Definitionen unterschieden werden.[3]

Definition 2.15. Realdefinition

Durch eine Realdefinition wird eine bereits bekannter Begriff auf andere bekannte Ausdrücke in Übereinstimmung mit deren Bedeutungen zurückgeführt (reduziert).

Definition 2.16. Nominaldefinition

Durch eine Nominaldefinition wird ein neuer Begriff in die Wissenschaftssprache eingeführt und diese somit erweitert.

Ein typisches Beispiel für dieses Verfahren ist Bloomfields Artikel A Set of Postulates... (1926, vgl. Kapitel 1). Dort wird beispielsweise Sprechakt als Grundbegriff vorausgesetzt und als Äusserung bezeichnet:

Definition 2.17. Äußerung

Ein Sprechakt ist eine Äußerung.

Ein weiterer Grundbegriff ist gleich, der zusammen mit dem Terminus Äußerung zur Definition von Sprachgemeinschaft herangezogen wird:

Definition 2.18. Sprachgemeinschaft

Innerhalb bestimmter Gemeinschaften sind aufeinander folgende Äußerungen gleich oder teilweise gleich. Eine solche Gemeinschaft ist eine Sprachgemeinschaft

Nachdem nun auf diese Weise Äußerung und Sprachgemeinschaft definiert ist, definiert Bloomfield Sprache wie folgt:

Definition 2.19. Sprache

Die Gesamtheit der Äußerungen, die in einer Sprachgemeinschaft gemacht werden können, bildet die Sprache dieser Sprachgemeinschaft.

2.3.4. Beschreibungssprache

In 2.1.1 wurde Wissenschaftssprache definiert als die Gesamtheit der sprachlichen Mittel einer Wissenschaft. Unter diesen Mitteln ist eine Teilmenge besonders wichtig, nämlich die sprachlichen Mittel, mit denen die Theorien formuliert werden. Dieser Teil einer Wissenchaftssprache soll Beschreibungssprache genannt werden.

2.3.5. Symbolisierte und formalisierte Sprachen

Wissenschaftliche Theorien sollen bestimmten Anforderungen genügen:

(a) Sie sollen widerspruchsfrei sein.
(b) Sie sollen adäquat sein, d.h. mit den Fakten übereinstimmen.
(c) Sie sollen explizit sein, d.h. sie sollen keine unausgesprochenen Annahmen machen.
(d) Sie sollen einfach sein.

Die Anforderungen (b)–(d) können nicht unmittelbar, sondern nur im Vergleich mit anderen Theorien überprüft werden. Ihre Überprüfung beruht also auf Aussagen wie "die Theorie T1 ist einfacher (adäquater, expliziter) als T2, weil ...". Der Begriff widerspruchsfrei bezieht sich nicht direkt auf die beschriebenen Sachverhalte, sondern auf den logischen Zusammenhang der Sätze der Theorie. Es hat sich gezeigt, daß es leichter ist, Theorien zu entwickeln, die diesen Anforderungen genügen, wenn man als Beschreibungssprache Kunstsprachen verwendet, die nach bestimmten Prinzipien konstruiert sind: symbolisierte und formalisierte Sprachen.

Definition 2.20. symbolisierte Sprache

Eine symbolisierte Sprache ist eine Sprache, "deren Zeichen (=Symbole) künstlich geschaffen oder mit einer bestimmten neuen Bedeutung versehen wurden" (Klaus/Buhr 1971, sv. Sprache, symbolisierte).

Linguistische Symbole in diesem Sinne sind z.B. die Symbole für syntaktische und lexikalische Kategorien wie z.B. S, NP, VP, AP, PP für Satz, Nominalphrase, Verbalphrase, Adjektivphrase, Präpositionalphrase bzw. N, V, A, P für Nomen, Verb, Adjektiv, Präposition. Die moderne Linguistik bedient sich in vielen Bereichen einer symbolisierten Sprache. So kann z.B. die Aussage "ein Satz (S) besteht aus (→) einer Nominalphrase (NP) verkettet mit (conc) einer Verbalphrase (VP)" durch den Ausdruck S → NPVP symbolisiert werden. Eine symbolisierte Sprache muß in eine natürliche Sprache übersetzbar sein, sonst ist sie sinnlos. Die Ausdrücke einer symbolisierten Sprache sind wesentlich übersichtlicher und kürzer als deren Übersetzung in die natürliche Sprache. Beispiel:

x y z [S(z) ← z=xy ∧ NP(x) ∧ VP(y)]

Die Übersetzung dieses Ausdrucks lautet: Für beliebige (Ketten) x, y, z gilt: z ist ein Satz (S(z)), falls z gleich der Verkettung von x und y ist (z=xy) und x eine Nominalphrase (NP(x)) und y eine Verbalphrase (VP(y)) ist. Eine formalisierte Sprache ist meist eine symbolisierte Sprache im eben definierten Sinne. Sie weist darüber hinaus eine Reihe weiterer Eigen­schaften auf. In einer formalisierten Sprache ist durch die Syntax genau festgelegt, welche Ausdrücke in ihr möglich sind (wohlgeformt sind). Sie enthält Operationsregeln, die es erlauben, aus wohlgeformten Ausdrücken neue wohlgeformte Ausdrücke abzuleiten. Darüber hinaus ist durch eine Semantik festgelegt, wie die wohlgeformten Ausdrücke zu interpretieren sind. Über formalisierte Sprachen verfügen insbesondere Teilgebiete der formalen Logik und der Mathematik. Die Beschreibungssprache der Linguistik ist primär eine symbolisierte Sprache. Es gibt jedoch auch in der Linguistik Ansätze zu einer formalisierten Sprache. Voraussetzung für den Aufbau einer formalisierten Sprache für ein bestimmtes Wissenschaftsgebiet ist, daß dessen logische Struktur genau bekannt ist und formuliert werden kann (vgl. Klaus/Buhr 1971, sv. Sprache, formalisierte). Das trifft für die Linguistik jedoch nur in beschränktem Maße zu.

In seinem Buch Syntactic Structures definiert Chomsky Sprache wie folgt:

Definition 2.21. Sprache

Von nun an will ich Sprache als eine (endliche oder unendliche) Menge von Sätzen auffassen, von welchen jeder von endlicher Länge und aus einer endlichen Menge von Elementen aufgebaut ist. (Chomsky 1957: 13, Übers. K.H.W).

Diese Definition ist ganz allgemein und schließt natürliche Sprachen nur als Sonderfall ein. Was für Objekte die Sätze einer Sprache tatsächlich sind hängt davon ab, aus welchen Grundelementen sie aufgebaut sind.

Alle natürlichen Sprachen in ihrer gesprochenen und geschriebenen Form sind Sprachen in diesem Sinne, da jede natürliche Sprache eine endliche Zahl von Phonemen (oder Buchstaben des Alphabets) aufweist und jeder Satz als eine endliche Folge dieser Phoneme (oder Buchstaben) darstellbar ist, obwohl es unbegrenzt viele Sätze gibt. In ähnlicher Weise kann die Menge der Sätze irgendeines formalisierten Systems der Mathematik als eine Sprache aufgefaßt werden. (Chomsky 1957: 13, Übers. K.H.W.)

Insbesondere im Zusammenhang mit formalen Sprachen wird statt des Ausdrucks grammatisch zur Charakterisierung der Sätze einer Sprache der Ausdruck wohlgeformt verwendet. Ungrammatische Ausdrücke sind nicht wohlgeformt.

Gegeben sei beispielsweise folgende formale Sprache: L = {ab, aabb, aaabbb …} Die folgenden Ketten sind nicht wohlgeformt:

*ba, *aab, *abb, *aba, *ababbb.

Die allgemeine Form eines Satzes in L ist also anbn, d.h. eine Folge von n a gefolgt von einer Folge von n b. Unter der Annahme, daß es für n keine Obergrenze gibt, können die Sätze in L nicht einfach durch Aufzählung definiert werden. Es ist also ein (endliches) Verfahren notwendig, das bestimmt welche der theoretisch möglichen Folgen von a und b in L enthalten sind. Die folgenden Regeln reichen dafür aus:

(a) ab ist in L

(b) Wenn S in L ist, dann ist auch aSb in L

(c) Nur nach (1) und (2) zulässige Ausdrücke sind in L.

Dabei steht das Symbol S für eine beliebige bereits als Satz von L identifizierte Folge von a und b.

Ableitungsbeispiel: (1) ab Regel 1
(2) aabb Regel 2, (1)
(3) aaabbb Regel 2, (2)
(4) aaaabbbb Regel 2, (3)

Im obigen Zitat aus Chomsky (1957) wird der Ausdruck formalisiertes System verwendet. Ein formalisiertes System (formales System) ist ein Symbolsystem, in dem dafür definierte Operationen mechanisch ausgeführt werden können, ohne daß man wissen muß, wofür die Symbole in Wirklichkeit stehen. Formalisierte Systeme werden durch Sprachen im oben definierten Sinne ausgedrückt. Ein anderer Ausdruck für eine formale Sprache ist Kalkül.

Definition 2.22. Kalkül

Die Sprache eines formalisierten Systems wird Kalkül genannt.

Definition 2.23. uninterpretiertes Kalkül

Ein Kalkül, dessen Formationsregeln oder syntaktische Regeln, festgelegt sind, für dessen Ausdrücke aber noch keine Interpretation geliefert worden ist, ist ein uninterpretiertes Kalkül.

Definition 2.24. interpretiertes Kalkül

Ein Kalkül, für das sowohl syntaktische als auch semantische Regeln gegeben sind, ist ein interpretiertes Kalkül.

Definition 2.25. formalisierte Sprache

Eine formalisierte Sprache ist ein interpretiertes Kalkül.

Es gibt formalisierte Systeme, die mehrere verschiedene konkrete Interpretationen haben. Ein Beispiel dafür ist etwa die Boolesche Algebra, die als Kalkülisierung sowohl der Mengentheorie als auch der Aussagenlogik verstanden werden kann.[4]

Im folgenden Kapitel werden wir uns ausführlich mit der Aussagenlogik im Sinne einer formalisierten Sprache, d.h. eines interpretierten Kalküls befassen.

2.3 Literatur

Bloomfield, Leonard

1926       A Set of Postulates for the Science of Language. In: Language 2, 153–4.

Carnap, Rudolf

1959       The Logical Syntax of Language. Transl. by Amethe Smeaton, Littlefield, Adams & Co.: Paterson, N.J.

Chomsky, Noam

1957       Syntactic Structures. Mouton: The Hague

Esser, Wilhelm K.

1970       Wissenschaftstheorie I. Definition und Reduktion. Alber: Freiburg/München.

Klaus, Georg und Manfred Buhr (Hg.)

1971 Philosophisches Wörterbuch. Berlin: das europäische buch.

Suppes, Patrick

1957       Introduction to Logic. D. van Nostrand Company, Inc.: Princeton, N.J./ Toronto/ London/New York.

von Savigny, Eike

1970     Grundkurs im wissenschaftlichen Definieren. Übungen zum Selbststudium. dtv: München.

 

[1]  Normaler wäre allerdings Kochsalz ist ein Salz.

[2]  Zur Unterscheidung von Gebrauch und Erwähnung vgl. auch Suppes (1957: 121ff.)

[3]  Vgl. dazu Esser (1970) sowie von Savigny (1970).

[4] Weitere Interpretationen: Schaltalgebra, Theorie der Neuronennetze etc.