Systeme und Strukturen
Es wurde gesagt, die Linguistik sei eine Systemwissenschaft und eine
Strukturwissenschaft. Im alltäglichen Gebrauch werden die
Begriffe System und Struktur häufig gebraucht. Sie haben jedoch in
verschiedenen Zusammenhängen teilweise verschiedene Bedeutungen.
Für die Wissenschaft müssen die Begriffe System und Struktur
jedoch genau definiert sein.
Im folgenden soll schrittweise auf die
Definition von System und Struktur hingeführt werden.
6.1. Geordnete Paare
Wir sehen die Welt nicht als eine chaotische und gestaltlose
Ansammlung von Erscheinungen, vielmehr stellen wir eine gewisse Ordnung fest, wo jedes Objekt "seinen
Platz" hat und von jedem anderen Objekt unterschieden ist.
Objekte können nach verschiedenen Gesichtspunkten geordnet sein,
und wir selbst können Objekte nach verschiedenen Gesichtspunkten
ordnen. So ordnen wir die Buchstaben, mit denen die deutsche Sprache
geschrieben wird, in alphabetischer Reihenfolge, wir ordnen die
Wörter in einem Lexikon nach dem Prinzip des Alphabets usw.
Ein Ordnungsprinzip ist also die Reihenfolge.
Definition 6.1. Geordnetes
Paar
Wir nennen ein geordnetes Paar zwei Objekte
x und y, für die eine Reihenfolge festgelegt ist,
also entweder erst x und dann y oder erst y und
dann x.
Geordnete Paare werden durch Spitzklammern gekennzeichnet, z.B.:
<x, y>oder <y, x>
Geordnete Paare sind durch folgende Eigenschaft charakterisiert:
(6.1.) <x, y> = < u,
v> genau dann, wenn
x = u ∧ y
= v
Daraus folgt unmittelbar:
(6.2.) x y [xy
⇒ <x,y> <y,x>]
Nun wird man eine Reihenfolge für irgendwelche Objekte nur dann
festlegen, wenn zwischen ihnen eine bestimmte Beziehung besteht. Das
legt einen Zusammenhang zwischen geordneten Paaren und Relationen
nahe. So bilden z.B. Kuno und Otto ein geordnetes Paar
<Kuno, Otto> hinsichtlich der
Körpergröße, wenn gilt: größer(Kuno,
Otto).
Genauso sinnvoll ist eine Festlegung der Reihenfolge von drei und mehr
Objekten, z.B. wenn für sie drei- und mehrstellige Relationen
gelten. Bei drei Elementen spricht man von einem geordneten Tripel, bei vier von einem geordneten Quadrupel und allgemein bei n von einem
n-tupel:
Tripel: <
x1,
x2,x3>
x1 liegt zwischen x2 und
x3
Quadrupel: < x1, x2,
x3,
x4>
x1 kauft x2 von
x3 für x4
n-tupel: <
x1, x2, …,
xn>
Wir werden es vor allem mit geordneten Paaren zu tun haben.
6.2. Relationen und Mengen
Nun kann die Beziehung zwischen den Elementen eines geordneten Paares
einfach darin bestehen, daß das erste zu einer Menge A
und das zweite zu einer Menge B gehört. Nehmen wir an, die
Menge A sei {Fritz, Hans, Kuno} und B {Maria,
Luise}, dann ist z.B. < Fritz, Maria> ein
mögliches geordnetes Paar.
Man stelle sich vor, die Herren A und die Damen B seien
auf einer Tanzveranstaltung. Man kann nun z.B. fragen, wieviele
Tanzpaarungen zustande kommen, wenn nur die Herren die Damen zum Tanz
auffordern. Es ist die Menge aller geordneten Paare < x,
y>, wobei x ein Herr, also ein Element aus A,
und y eine Dame, also ein Element aus B ist. Man nennt diese
Menge cartesisches Produkt von A und
B (oder Verbindungsmenge ) und
schreibt dafür AB (lies: A
kreuz B).
Definition 6.2. Cartesisches
Produkt (Verbindungsmenge)
Seien A und B zwei (nichtleere) Mengen. Das cartesische
Produkt A×B dieser Mengen ist die Menge der
geordneten Paare < x, y> mit x aus A
und y aus B:
AB := {<x,
y> |
x∈A ∧ y∈B}
In unserem Beispiel ist
AB = {<Fritz, Maria>, <
Fritz, Luise>, < Hans, Maria>, < Hans,
Luise>, < Kuno, Maria>, < Kuno,
Luise>}
Natürlich läßt sich auch das cartesische Produkt aus
mehr als zwei Mengen bilden. Sind A, B, C Mengen,
dann ist ABC die Menge aller geordneten Tripel < x,
y, z> mit x aus A, y aus
B und z aus C. Es sei A = {der,
dieser}, B = {Bursche} und C =
{raucht, schläft}; dann ist ABC die Menge:
{<der, Bursche, raucht>, < dieser, Bursche,
raucht>,
<der, Bursche, schläft>, < dieser,
Bursche, schläft>}
Ein Sonderfall liegt vor, wenn B = A. Das
cartesische Produkt AA einer Menge
A mit sich selbst ist die Menge aller geordneten Paare, die
sich aus den Elementen von A bilden lassen. Man nennt diese
Menge auch Paarmenge von A:
Definition 6.3. Paarmenge
Die Paarmenge AA einer Menge
A ist die Menge aller geordneten Paare < x, y> mit
x und y aus A: A×A
:={<x, y> | x∈A ∧
y∈A}
Sei A={a,b}. Dann ist AA={<a,a>,<a,b>,
<b,a>,<b,b>}
In gleicher Weise kann man von einer Tripel-Menge (AAA) und allgemein von einer
n−tupel−Menge sprechen.
Konstituentenstrukturgrammatiken können auch mengentheoretisch
interpretiert werden. Eine Regel wie
S → NPVP
wird dann aufgefaßt als
S = NPVP
d.h., die Menge der Sätze ist das kartesische Produkt aus der
Menge der Nominalphrasen und der Menge der Verbalphrasen.
Nominalphrasen ihrerseits sind definiert als das kartesische Produkt
aus der Menge der Determinatoren und der Menge der Nomina:
NP → DetN
NP=DetN
Sei Det={the, a} und N={boy, dog}, dann
ist NP=DetN={<the,
boy>,<the, dog>, < a,boy>, <a,
dog>}
Wir haben gesehen, daß ein Allgemeinbegriff wie Pferd auf
zweierlei Weise interpretiert werden kann. Es ist einmal ein Eigenschaftsbegriff, d.h. es meint die Summe der
(invarianten) Eigenschaften, die jedem Exemplar 'Pferd'
zukommen. Das kommt zum Ausdruck, wenn wir einen Satz wie (6.4)(a) als
(6.4)(b) umschreiben:
(6.3.) (a) Halla ist ein Pferd
(b) Halla kommt die Eigenschaft 'Pferd' zu.
(c) Pferd(Halla)
Es ist andererseits ein Klassenbegriff, d.h. es meint die Menge aller
Individuen, denen die Eigenschaft Pferd zukommt. Das kommt zum
Ausdruck, wenn wir (6.4)(a) wie in (6.5)(a) umschreiben:
(6.4.) (a) Halla ist ein Exemplar aus der Menge der
Pferde
(b) Halla ∈ {x | Pferd(x)}
Das gleiche gilt für alle Prädikate, auch für zwei- und
mehrstellige, d.h. es gilt auch für Relationen. Die Relation größer (als)
läßt sich einmal auffassen als eine Menge von
Eigenschaften, die einem bestimmten Individuenpaar, z.B. Fritz
und Kuno zukommt:
(6.5.) (a) Fritz ist größer als Kuno
(b) Fritz, Kuno kommt das Prädikat größer (als)
zu
(c) größer (Fritz, Kuno)
Die Relation größer (als) läßt sich
andererseits als Klassenbegriff auffassen,
d.h. es bezeichnet die Menge aller Individuenpaare, denen das
Prädikat größer (als) zukommt.
(6.6.) (a) < Fritz, Kuno> ist ein Exemplar
aus der Menge der Paare, zwischen denen die Beziehung
größer (als) besteht.
(b) < Fritz, Kuno>∈{<x, y> |
größer(x, y)}
Der Begriff Relation läßt sich wie folgt als Menge
definieren:
Definition 6.4. Relation
R := {<x,y> |
R(x,y)}
In diesem Sinne ist auch die Paarmenge einer Menge M eine
Relation. Man nennt sie die Allrelation von
M.
Definition 6.5. Allrelation
Die Allrelation einer Menge M ist gleich der Paarmenge von
M.
Definition 6.6. Relation in
einer Menge M
Eine Relation R ist eine Relation in einer Menge
M, wenn sie in der Allrelation von M enthalten ist, d.h.
wenn gilt:
x
[x∈R ⇒ x
∈ MM]
Man wird z.B. oft die Frage stellen, zwischen welchen Elementen einer
gegebenen Menge M eine bestimmte Beziehung besteht. Ein Lehrer
möchte z.B. etwas über die sozialen Beziehungen zwischen den
Schülern einer Klasse A wissen. Er kann z.B. fragen,
welche Schüler welche anderen Schüler mögen. Gesucht
ist also die Menge
{<x,y> |
x∈A ∧ y∈A ∧ mag(
x,y)}
Statt dessen kann man auch formulieren
(6.7.) {<x, y> | < x,
y>∈ AA ∧ mag(x, y)}
Diese Relation ist in AA enthalten, d.h. sie
ist im definierten Sinne eine Relation in A.
6.3. Relationseigenschaften
Relationen können nach bestimmten Eigenschaften unterschieden
werden.
Man wird z.B. sagen, daß wenn (6.10) (a) wahr ist, auch (6.10)
(b) wahr sein muß, und umgekehrt:
(6.8.) (a) Hans gleicht Peter
(b) Peter gleicht Hans
Eine Relation, die diese Eigenschaft hat, wird symmetrisch genannt.
Definition 6.7. Symmetrische
Relation
Eine Relation ist symmetrisch, wenn gilt: xy [R(x,y) ⇒ R(y,
x)]
Weitere symmetrische Relationen sind: parallel (zu), gleichwertig
(mit), gleichgestaltig (mit), verwandt (mit).
Ist eine Relation nicht symmetrisch, so sind zwei Fälle zu
unterscheiden
-
die Relation ist nicht in allen Fällen umkehrbar, z.B.
Bruder: ist a Bruder von b, dann ist b
Bruder von a nur dann, wenn b männlichen
Geschlechts ist;
-
die Relation ist in keinem Fall umkehrbar, z.B.
größer: ist a größer
b wahr, dann ist b größer a
falsch; eine solche Relation heißt asymmetrisch.
Definition 6.8. Asymmetrische
Relation
Eine Relation ist asymmetrisch, wenn gilt: xy [R(x,
y) ⇒ ¬R(y,x)]
Wenn a größer als b ist und b
größer als c, dann ist sicher auch a
größer als c. Eine Relation, die diese Eigenschaft
hat, wird transitiv genannt.
Definition 6.9. Transitive
Relation
Eine Relation ist transitiv, wenn gilt: xyz [R(x,y) ∧ R(
y, z) ⇒ R(x, z)]
Eine transitive Relation ist auch die Teilmengenbeziehung. Sind,
x, y, z beliebige Mengen, so gilt:
(6.9.) xyx
[(x ⊆ y) ∧ (y ⊆ z) ⇒ (
x ⊆ z)]
Wenn die Aussage Peter gleicht sich auch komisch klingen mag,
so ist sie doch wahr. Die Aussage ist sogar für jedes beliebige
konkrete Objekt wahr. Peter gleicht sich ist das gleiche wie
Peteri gleicht Peteri. und das ist
eine Aussage der Form R(x, x). Wenn für
jedes Individuum x aus einem bestimmten Individuenbereich stets
gilt: R(x, x), dann wird R reflexiv genannt.
Definition 6.10. Reflexive
Relation
Eine Relation ist reflexiv, wenn gilt: x R(x, x)
Die Relation Teilmenge ist ein weiteres
Beispiel für eine reflexive Relation. Eine Menge A ist
Teilmenge einer Menge B genau dann, wenn jedes Element aus
A auch Element aus B ist:
(6.10.) A ⊆ B genau dann, wenn x
(x∈A ⇒ x∈B)
Nun gilt trivialerweise, x(x∈A ⇔ x∈
A) und zwar für beliebige Mengen. Folglich gilt auch: A (A⊆A).
Neben den genannten Relationseigenschaften gibt es noch eine Reihe
weiterer, die hier nicht im einzelnen
ausgeführt werden sollen. So gilt z.B. für die Relation
Teilmenge: wenn A Teilmenge von B ist und B
Teilmenge von A, dann ist A = B.
Für die Relation (leiblicher) Vater gilt: wenn a
Vater von c ist und b Vater von c, dann ist
a = b.
Wie die Beispiele gezeigt haben, können Relationen mehrere
Eigenschaften gleichzeitig haben. So ist z.B. die Relation Teilmenge u.a. reflexiv
und transitiv.
Von besonderer Wichtigkeit sind Relationen, die reflexiv, symmetrisch und transitiv sind. Sie werden Äquivalenzrelationen genannt.
Definition 6.11.
Äquivalenzrelation
Eine Relation ist eine Äquivalenzrelation, wenn sie reflexiv,
symmetrisch und transitiv ist.
Eine Äquivalenzrelation ist z.B. gleichgestaltig (G). Es ist leicht einzusehen, daß
-
x G(x,
x) (Reflexivität)
-
xy [G(x,
y)⇒ G(y, x)
(Symmetrie)
-
xyz [G(x,
y) ∧ G(y,
z) ⇒ G(x,
z)] (Transitivität)
6.4. Abbildungen
Sei R die Relation Ehemann in einem bestimmten
Personenbereich P. Z.B.:
P = {Peter, Fritz, Maria, Luise, Kuno, Ina, Theodor}
R = {<Peter, Ina>, <Fritz, Luise>,
< Kuno, Maria>}
Man kann nun einerseits die Menge der Elemente betrachten, die als
erstes Element der geordneten Paare aus R vorkommen, also die
Menge V = Peter, Fritz, Kuno. Man nennt diese Menge den Vorbereich von R. Entsprechend nennt man die
Menge der Elemente, die jeweils als zweites Element der Paare aus
R vorkommen, den Nachbereich von
R.
Definition 6.12. Vorbereich
Der Vorbereich V einer Relation R ist die Menge der
Elemente x, für die es ein Element y gibt, so
daß < x, y> ein Element aus R
ist:
V(R) := {x | y < x, y>∈R}
Definition 6.13. Nachbereich
Der Nachbereich N einer Relation R ist die Menge der
Elemente y, für die es ein x gibt, so daß
< x, y> ein Element aus R
ist:
N(R) := {y | x < x, y>∈ R}
Eine Relation ist nacheindeutig, wenn jedem Element des Vorbereichs
ein und nur ein Element des Nachbereichs zugesandte wird. Die Relation
der Konfessionszugehörigkeit ist z.B. nacheindeutig, weil die
Zugehörigkeit zu mehreren Konfessionen nicht zugelassen ist.
Definition 6.14.
Nacheindeutig
Eine Relation ist nacheindeutig, wenn sie jedem Element des
Vorbereichs genau ein Element des Nachbereichs zuordnet, d.h. wenn
gilt:
xyz [R(x,
y) ∧ R(x,
z) ⇒ y=z]
Definition 6.15.
Voreindeutig
Eine Relation ist voreindeutig, wenn sie jedem Element des
Nachbereichs genau ein Element des Vorbereichs zuordnet, d.h. wenn
gilt:
x y z [R(x,
z) ∧ R(y,
z) ∧ x = y]
Die Relation Vater ist voreindeutig, weil jeder Mensch nur
einen (leiblichen) Vater hat.
Definition 6.16.
Eineindeutig
Eine Relation ist eineindeutig, wenn sie sowohl voreindeutig als auch
nacheindeutig ist.
Die Relation Ehegatte ist in einer monogamen Gesellschaft
eineindeutig.
Eine Relation heißt Abbildung oder
Funktion, wenn sie nacheindeutig oder
kurz: eindeutig ist. Die Relation der Konfessionszugehörigkeit
ist eine Abbildung.
Definition 6.17. Abbildung,
Funktion
Eine Relation ist eine Abbildung oder Funktion f, wenn sie (nach-)
eindeutig ist, d.h. wenn gilt:
x y z [R(x,y) ∧ R(x,
z) ⇒ y = z]
Ist eine Relation R in der Verbindungsmenge AB enthalten, dann nennt man R eine Relation
zwischen den Mengen A und B.
Beispiel: Sei A die Menge der Schüler einer bestimmten
Schule und B die Menge der Lehrer dieser Schule. Dann ist die
Relation R = Schüler (von) eine Relation zwischen
A und B.
Definition 6.18. Abbildung aus
einer Menge in eine Menge
Eine Relation R zwischen zwei Mengen A und B ist eine
Abbildung aus A in B, wenn R eine Funktion ist.
Abb. 6.6. Abbildung aus A in B
Die diesem Beispiel zugrunde liegende Funktion ist
f={<a, 1>, <c,1>,<d,4>}
Nehmen wir als weiteren Fall unser Schüler-Lehrer Beispiel. Dabei
ist die Relation x hat y als Klassenlehrer eine Funktion, denn
jeder Schüler hat nur einen Klassenlehrer. Diese Relation ist
also eine Abbildung aus der Menge der Schüler in die Menge der
Lehrer. Es liegt hier aber ein besonderer. Fall vor, denn es gibt
keinen Schüler, der keinen Klassenlehrer hat. Das heißt,
daß der Vorbereich der Funktion mit der Menge der Schüler
identisch ist. In diesem Fall spricht man von einer Abbildung von
einer Menge A in eine Menge B:
Definition 6.19. Abbildung von
einer Menge in eine Menge
Eine Relation R zwischen zwei Mengen A und B ist
eine Abbildung von A in B, wenn R eine Funktion f ist und wenn
gilt:
V(f) = A
∧N(f) ⊂ B
Beispiel:
Abb. 6.7. Abbildung von A in B
Für "f ist eine Abbildung von A in
B" schreibt man: f: AB.
Definition 6.20. Abbildung von
einer Menge auf eine Menge
Eine Relation R zwischen zwei Mengen A und B ist
eine Abbildung von A auf B, wenn R eine Funktion ist und wenn
gilt:
V(f) = A ∧ N(f) = B
Beispiel:
Abb. 6.8. Abbildung von A auf B
Ein Sonderfall liegt vor, wenn R eine eineindeutige Funtkion ist. Dann
ist die Abbildung von A auf B selbst eindeutig.
Ist ein Paar, <x, y> ein Element einer Abbildung, so
nennt man y das Bild von x und
x das Urbild von y. Man
schreibt
f(x) = y
für "das Bild von x ist y". Dabei ist
f(x) = y nur eine andere Schreibweise für
f(x, y) . Man schreibt
f–1(y) = x
für "x ist das Urbild von y".
Eine eineindeutige Abbildung liegt dann vor, wenn jedes Urbild genau
ein Bild und jedes Bild genau ein Urbild hat.
Ist A die Menge der Seiten in einem Buch und B die Menge
der Seitenzahlen, dann ist R = x
hat die Seitenzahl y eine eineindeutige Abbildung von A
auf B.
6.5. System und Struktur
Es ist sinnvoll, die Begriffe System und Struktur zusammen zu
behandeln, weil sie sich gegenseitig bedingen. Systeme sind
strukturierte Gegenstände, Strukturen sind eine Eigenschaft von
Systemen, sie existieren nicht unabhängig von Systemen. Ein
System ist eine "nach Ordnungsprinzipien gegliederte
Mannigfaltigkeit von materiellen Dingen, Prozessen usw. (materielles System) oder von Begriffen, Aussagen usw.
(ideelles System)" (Klaus/Buhr, s.v. System). In dieser Definition
sind zwei zentrale mathematische Begriffe enthalten, die die Grundlage
für eine allgemeine Definition des Systembegriffs bilden,
nämlich die Begriffe Relation
(Ordnungsprinzipien) und Menge
(Mannigfaltigkeit von Dingen, Prozessen, Begriffen, Aussagen etc.). Im
allgemeinsten Sinn ist ein System eine Menge von Elementen und eine
Menge von Relationen zwischen den Elementen dieser Menge.
Definition 6.21. System
Ein System ist ein geordnetes Paar Σ=<M, >, wobei M eine Menge von Elementen ist und eine Menge von Relationen R1,
R2, …, Rn in M.
Ein System in diesem Sinne ist z.B. das System der natürlichen
Zahlen mit M = = {1, 2, 3,
…} und einer Vielzahl von Relationen wie z.B.
R1 = {<1,2>,<2,3>,<3,4>,…}
(x ist um 1 kleiner als y, f(x) =
x+1)
R2 =
{<1,1>,<2,4>,<3,9>,<4,16>, …}
(f(x)=x2)
R3={<1,1,2>,<1,2,3>,<1,3,4>, …}
(f(x,y) = x +
y)
Um ein einfacheres Beispiel zu nehmen: Sei M = {Fritz, Ina,
Egon, Martha, Mark} R1= {Egon, Martha}
(Ehemann)
R2= {<Egon, Fritz>,<Egon,
Ina>, < Egon, Marl>} (Vater)
R3 = {<Martha, Fritz>, < Martha,
Ina>, < Martha, Mark>} (Mutter)
R4 = {<Fritz, Ina>, < Fritz,
Mark>, < Mark, Fritz>} (Bruder)
R5 = {<Ina, Fritz>, < Ina,
Mark>} (Schwester)
Dann ist Σ = <M, {R1,
R2, R3, R4,
R5}> das Verwandtschaftssystem einer
fünfköpfigen Familie.
Interessant an diesem Beispiel ist, daß nicht alle
Verwandtschaftsbeziehungen explizit genannt werden müssen, weil
sie aus anderen ableitbar sind. Zum Beispiel ist die Beziehung
Sohn (S) aus der Beziehung Vater(V) und
der Beziehung Bruder(B) ableitbar:
V(x,y) ∧ B(y,z) ⇒
S(y,x)
Aufgrund dieser allgemeinen Beziehung kann man aus
R2 und R4 ableiten, daß
Fritz und Mark Söhne von Egon sind.
Das ist wichtig für die Beschreibung von Systemen, denn man wird
im allgemeinen nur die Relationen explizit
nennen, die nicht aufgrund allgemeiner Gesetzmäßigkeiten
von anderen Relationen ableitbar sind.
Das ist außerdem für den Strukturbegriff von Bedeutung,
wenn man unter der Struktur eines Systems die Menge der Relationen in
diesem System versteht:
Definition 6.22. Struktur
Ist Σ = <M, > ein System, dann nennt man die Struktur von Σ.
Der Strukturbegriff läßt sich präziser fassen
über den Begriff Strukturgleichheit (Isomorphie):
Definition 6.23. Isomorphie
Zwei Systeme Σ = <M, > und Σ' = <M', '> sind isomorph
(strukturgleich), wenn es eine eineindeutige Abbildung gibt, die jedem
Element x aus M ein Element x' aus
M' und jedem Element Ri aus
ein Element Ri' aus ' eineindeutig zuordnet, derart, daß, wenn ein
n-tupel mit Elementen aus M ein Element aus
Ri ist, das zugeordnete n-tupel mit Elementen
aus M' ein Element aus Ri' ist.
Das klingt etwas kompliziert und soll daher gleich an Beispielen
erläutert werden.
Beispiel 1: Sei Σ=<, R>,
wobei die Menge
der natürlichen Zahlen und R die
Menge der geordneten Tripeln <x, y, z> mit
z = x + y ist, und
Σ' = <, R'>,
wobei die Menge der geraden natürlichen Zahlen und
R' die Menge der geordneten Tripel < x',
y', z'> mit
z' = x' + y' ist.
Diese beiden Systeme sind isomorph, denn es gibt eine eineindeutige
Abbildung f, die jedem Element aus genau ein Element aus zuordnet und jedem Element
aus R genau ein Element aus R', wobei
f(<x, y,
z>) = <f(x), f(y),
f(z)> ist. Für. diese Abbildung gilt
f(u) = 2u. Diese Abbildung ordnet also
z.B. den Elementen 2, 3, 5 aus die Elemente 4, 6, 10 aus
zu und dem Tripel < 2, 3, 5> aus R das
Tripel =4, 6, 10> aus R'. Man sieht sofort, daß 5
= 2 + 3 und 10 = 4 + 6.
Beispiel 2: Die Menge der Städte bilden mit einer Menge von
Lagerelationen wie S = südlich von und W = westlich
von ein System. Auf einer Landkarte sind den Städten
Kartenpunkte und den Relationen S und W die Relationen
U = unterhalb von bzw. L = links von eineindeutig
zugeordnet. Sind zwei Städten x und y die
Kartenpunkte x' und y' zugeordnet, so folgt aus
S(x, y), U(x', y').
Das System der Kartenpunkte und das System der geographischen Lage von
Städten sind isomorph.
Man kann nun alle Systeme, die zueinander isomorph sind, in einer
Menge zusammenfassen. Die Relation der Isomorphie (I) ist
reflexiv, symmetrisch und transitiv, d.h. sie ist eine
Äquivalenzrelation.
Man kann die Menge zueinander isomorpher Systeme dadurch gewinnen,
daß man von einem beliebigen System x ausgeht und fragt,
welche Systeme zu x isomorph sind. Da die Isomorphie eine
Äquivalenzrelation ist, nennt man die so gewonnene Menge eine
Äquivalenzklasse.
Sei S die Menge aller Systeme, dann läßt sich die
von einem beliebigen x ∈ S mit der
Äquivalenzrelation I ableitbare Äquivalenzklasse wie
folgt charakterisieren:
[x] = {y|y ∈ S ∧
I(x, y)}
Man nennt [x] dann die I-Äquivalenzklasse von x in S. Es ist klar,
daß x selbst in dieser Klasse enthalten sein muß.
Zwei solcher Äquivalenzklassen [x] und [y] sind
identisch, wenn x zu y isomorph ist:
(6.11.) [x] = [y] genau dann, wenn
I(x,y)
Man kann zeigen, daß die Menge der Systeme S durch die
Isomorphierelation I vollständig in paarweise
elementfremde Äquivalenzklassen T1,
T2,…,Tn zerlegt wird, d.h.
S = T1 ∪ T
2 ∪ … ∪ Tn
Ti ∪ Tj =
Zwei Systeme haben die gleiche Struktur, wenn sie isomorph sind. Alle
Elemente einer I−Äquivalanzklasse
Ti haben die gleiche Struktur. Man kann daher sagen,
daß jedes Ti einen bestimmten Strukturtyp
darstellt.
Die Aufteilung in einer Menge in paarweise elementfremde Teilmengen
nennt man Klassifikation.
6.6. Ordnungsstrukturen
Ordnungsstrukturen sind Strukturen, die durch sog. Ordnungsrelationen definiert werden. Ordnungsrelationen
sind Relationen, die Mengen auf bestimmte Weise ordnen. Sie haben
besondere Eigenschaften. Wir haben z.B. gesehen, daß der Begriff
Äquivalenzrelation durch die Relationseigenschaften reflexiv,
symmetrisch und transitiv definiert ist.
Betrachten wir nun als Beispiel für einen anderen Relationstyp
die Relation Teilmenge. Sie wird folgendermaßen
charakterisiert:
(6.12.) A ⊆ B = x [x ∈ A ⇒
x ∈ B]
Das ist auch dann wahr, wenn man B durch A ersetzt:
(6.13.) A ⊆ A = x [x ∈ A ⇒
x ∈ A]
Daraus folgt, daß die Teilmengenbeziehung reflexiv ist.
Die Teilmengenbeziehung ist sicher nicht symmetrisch. Sie ist aber
auch nicht asymmetrisch. Das ergibt sich unmittelbar aus der
Reflexivität. Die Aussage
A ⊆ B ⇒ B ⊆
A wird nämlich dann wahr, wenn man B durch A
ersetzt: Anders ausgedrückt: wenn A in B enthalten
ist und B in A, dann ist A = B.
Eine Relation, die diese Eigenschaft hat, wird antisymmetrisch genannt.
Definition 6.24.
Antisymmetrisch
Eine Relation R ist antisymmetrisch wenn
gilt:
x y [R(x,y) ∧ R (y,x) ⇒
x = y]
Die Teilmengenbeziehung ist also reflexiv, antisymmetrisch und
transitiv. Eine Relation, die diese Eigenschaften hat, wird
Ordnungsrelation genannt:
Definition 6.25.
Ordnungsrelation
Eine Relation heißt Ordnungsrelation, wenn sie reflexiv,
antisymmetrisch und transitiv ist.
Ein weiteres Beispiel für eine Ordnungsrelation ist die Relation
nicht größer als (= kleiner oder gleich groß)
in der Menge der Zahlen. Es gilt:
-
a nicht größer als a;
-
wenn a nicht größer als b und b
nicht größer als a, dann ist
a = b;
-
ist a nicht größer als b und b
nicht größer als c, dann ist a nicht
größer als c.
Definition 6.26. Halbordnung
Ist R eine Ordnungsrelation in einer Menge M, dann nennt
man R eine Halbordnung der Menge
M.
An einem Beispiel soll gezeigt werden, inwiefern man von einer Ordnung
sprechen kann.
Aus einer Menge A kann man eine neue Menge bilden, die aus
allen Teilmengen von A besteht. Man nennt diese Menge die Potenzmenge von A:
Definition 6.27. Potenzmenge
Die Potenzmenge einer Menge A ist
die Menge aller Teilmengen von
A:
(A) := {X|X ⊆ A}
Ist z.B. A = {1, 2, 3}, dann ist
(6.14.) (A)={, {1}, {2}, {3}, {1, 2},
{1,3}, {2, 3},{1,2,3}}
Dabei sind die Teilmengen von A aus Darstellungsgründen
nach der Anzahl ihrer Elemente (nach ihrer Mächtigkeit)
angeordnet. In dieser Menge ist die Teilmengenbeziehung eine
Halbordnung. So gilt z.B .:
(6.15.) (a) ⊆ {1} ⊆ {1,2} ⊆ {1,2,3}
(b) ⊆ {2} ⊆ {1,2} ⊆ {1,2,3}
(c) ⊆ {3} ⊆ {2,3} ⊆ {1,2,3}
Anschaulicher werden die Verhältnisse, wenn man die Elemente von
(A) nach ihrer Mächtigkeit (ihrer Anzahl der
Elemente) so in Zeilen anordnet, daß gleichmächtige Mengen
in einer Zeile stehen, und dann die Mengen, zwischen denen die
Teilmengenbeziehung besteht, durch eine Linie verbindet. Dabei sind
die Relationspaare, die sich aus der Transitivität der Relation
ergeben, gestrichelt gekennzeichnet (die Reflexivität ist nicht
berücksichtigt):
Abb. 6.9. Potenzmenge
Wie Abb. 6.9. zeigt, besteht nicht zwischen allen Elementen die
Teilmengenbeziehung. So ist weder {1, 2} in {1, 3} noch {1, 3} in {1,
2} enthalten. Die Menge (A) ist daher
bezüglich der Teilmengenbeziehung nur unvollständig
geordnet.
Eine Ordnungsrelation ist vollständig,
wenn sie konnex ist:
Definition 6.28. Konnex
Eine Relation R ist konnex, wenn
gilt:
xy [xy ⇒ R(
x, y) ∨ R(y, x)]
Definition 6.29.
Vollständige Ordnungsrelation
Eine Ordnungsrelation ist vollständig, wenn sie konnex ist.
Definition 6.30. Ordnung,
Kette
Eine Halbordnung ist eine (vollständige oder lineare) Ordnung oder eine Kette,
wenn ihre Ordnungsrelation vollständig ist.
So ist z.B. die Relation nicht größer als eine
vollständige Ordnungsrelation auf der Menge der natürlichen
Zahlen.
Beispiel: Sei A = {1, 2, 3, 4}
Die Ordnung von A läßt sich graphisch darstellen,
indem man jedem Element aus A einen Punkt zuordnet und die
einem Elementenpaar < x, y> zugeordneten Punkte
mit einem Pfeil verbindet, wenn R(x, y) gilt:
Abb. 6.10. Ordnung einer Menge
Abb. 6.10. ist die graphische Repräsentation der Ordnungsstruktur
der Menge A bezüglich der Ordnungsrelation nicht
größer als. Die Bezeichnungen lineare
Ordnung und Kette werden
einleuchtender, wenn man Abb. 6.10. vereinfacht und anders anordnet.
Wir lassen die Ringpfeile weg (Kennzeichen der Reflexivität) und
alle Pfeile, die Transitivität anzeigen; wir ordnen die Punkte so
an, daß alle Pfeile in die gleiche Richtung weisen:
Abb. 6.11.
Abb. 6.12.
Nun gibt es auch Relationen, die von vornherein nicht reflexiv sondern
irreflexiv sind:
Definition 6.31. Irreflexiv
Eine Relation R ist irreflexiv, wenn
gilt:
x ¬R(x,x)
Eine irreflexive Relation kann nicht antisymmetrisch sein. Sie ist
entweder unsymmetrisch oder asymmetrisch.
Definition 6 .32. Strikte
Ordnungsrelation
Eine Relation ist eine strikte Ordnungsrelation, wenn sie asymmetrisch
und transitiv ist.
Beispiele für strikte Ordnungsrelationen sind: größer
als, kleiner als, echte Teilmenge von, Vorgänger von.
6.7. Operationen
Man kann Operationen als eine besondere Art
von Relationen auffassen, wobei Elemente aus einer Menge M so
miteinander verknüpft werden, daß wieder ein Element aus
M entsteht. Bekannte Beispiele für Operationen sind die
Addition und Multiplikation in der Menge der Zahlen. Dabei werden zwei
Zahlen einer dritten zugeordnet, z.B. 1 + 2 = 3,
2·3 = 6, oder allgemein: x + y =
z bzw. xy = z.
Andere Operationen sind die Verknüpfungen von Aussagen zu neuen
Aussagen in der Aussagenlogik und die Verknüpfung von Mengen zu
neuen Mengen in der Mengentheorie.
Die allgemeine Form einer Operation ist
(6.16.) (x1,…, xn) = y
Je nachdem wieviele Elemente an der Operation beteiligt sind,
müssen ein- und mehrstellige Operationen unterschieden werden.
Ein Beispiel für eine einstellige Operation ist die Negation in
der Aussagenlogik, die einer Aussage p die Aussage ¬p zuordnet:
Zweistellige Operationen schreibt man meist in der Form
(6.17.)
x1x2 = y
Es wurde bereits gesagt, daß man Operationen als besondere Art
von Relationen auffassen kann. Sei xy = z eine zweistellige Operation auf
einer Menge M. Dann ordnet die Operation das Paar <
x, y> einem z zu derart, daß
z = xy. Man kann eine
Operation daher entweder als eine zweistellige Relation R(<x, y>, z) darstellen, oder was das gleiche
bedeutet — als dreistellige Relation R(x, y, z). Allgemein ist dann eine
n-stellige Operation eine zweistellige Relation mit einem
n-tupel und einem weiteren Element R(<x1,…, xn>,y) bzw. eine n+1−stellige
Relation R(x1,…,
xn,y).
Die Menge aller Paare < x, y> mit
x, y ∈ M ist die Paarmenge
M×M. Man kann eine zweistellige Operation in
M daher auch auffassen als eine Abbildung von der Menge
M×M in die Menge M:
f:M×MM
Allgemein ist dann eine n-stellige Operation eine Abbildung von
der n-tupel-Menge Mn (Mn
ist definiert als Mn = MMn–1) in M:
Die Struktur eines Systems, das aus einer Menge M und einer
Menge O von in M definierten Operationen besteht,
heißt algebraische Struktur. Ein System
mit einer algebraischen Struktur kann man entsprechend algebraisches System nennen. Algebraische Systeme sind
z.B. das Zahlensystem, die Aussagenlogik und die Mengentheorie.
Durch die Kombination von Ordnungsstrukturen und algebraischen
Strukturen erhält man komplexe Systeme.
6.8. Literatur