Anatomie eines Abendessens
    Im Folgenden geht es darum, einen kurzen, einfachen Swahili-Text Satz für Satz genau zu "sezieren" und zu übersetzen. Das Hauptaugenmerk bei der Analyse    liegt dabei auf den Verbformen. Die Notation entspricht dabei im Wesentlichen der vom Verbanalyseprogramm verwendeten. 
    Der Text
    
        (1) Chakula cha jioni
        (2) Kila siku jioni tunakuwa nyumbani. (3) Saa ya chakula tunakaa na kula pamoja. (4) Mara nyingi tunakula ugali au wali. (5) Mimi ninapenda zaidi ugali na mchicha. (6) Mdogo wangu anapenda sana wali na maharage.
        
            (7) Kabla ya kula tunanawa vizuri. (8) Mama humnawisha mdogo wangu. (9) Wazazi wanasema tusizungumze wakati wa kula. (10) Tule vizuri, tusimwage chakula, wala tusichafue nguo.
        
        
            (11) Baada ya kula tunaondoa vyombo. (12) Tunasafisha meza na kunawa. (13) Tunawaaga wazazi na kwenda kulala. (14) Wazazi wanatufundisha adabu njema.
        
     
    Kommentar
    (1) Chakula cha jioni
    Das Abendessen
    
        Das Substantiv chakula mit der Bedeutung 'Essen, Speise, Lebensmittel, Nahrung, Kost,  Futter, Fressen' (so bei ) gehört zur  KI/VI-Klasse (daher das nachfolgende cha). Vor Vokal wird /ki/ zu /ʧ/  (geschrieben ch) und /vi/ zu /vj/ (geschrieben vy).  Die Mehrzahl von chakula lautet also vyakula.  Wenn man über den Tellerrand des Standardwörterbuchs hinausschaut, entdeckt man  eine interessante Wortbildung.
        Es liegt nahe anzunehmen, dass  in chakula die Verform kula (= kuinf l(=essen) aind)  enthalten ist. Die zugrunde liegende Form wäre dann also [ki-a-[ku-l-a]]. Welche Funktion hat dabei  aber das auf ki folgende a? Nun, man  kann sich chakula als aus kitu (Ding, Substanz) cha kula 'etwas zum Essen' entstanden denken. Für diese Wendung findet man auch  Belege, z.B. [...] kwa sababu  yapata siku tatu wamekaa nami wala hawana kitu cha  kula ... "denn sie wohnten ungefähr drei Tage bei mir und  hatten nichts zu essen." (Markus 8:1-3).
        Bei jioni 'Abend (N); abends (Adv.)' könnte man sich fragen, ob das  auslautende -ni nicht das gleiche Suffix wie in nyumbani ist (vgl. Satz (2)), also als jio-niLOK (Wurzel j 'kommen') zu  interpretieren wäre. Das ist in der Tat die Herleitung von  (s.v. Ja). Zur Wurzel j 'kommen' gibt es ein Substantiv jio (ma-) mit der Bedeutung ' Ankunft, Eintreffen, Nahen', etwa in  Wendungen wie jio la usiku 'das Nahen der Nacht'  (=Abend). Außer in der Verbindung jioni wird heutzutage das gleichbedeutende jilio (ma-) verwendet.
        Nach dem gleichen Muster wie chakula cha jioni gebildet sind ~cha asubuhi Frühstück; ~ cha mchana Mittagessen; ~ cha Bwana Abendmahl (im religiösen Sinne).
     
    (2) Kila siku jioni tunakuwa nyumbani. 
    
        Wir sind jeden Tag abends zu Hause.
        Kila (Adj/Adv) 'jede(r, s, ...)/immer' ist  unveränderlich; siku (N/N) 'Tag' (24 Std.); 
        tunakuwa = tusp2-1p naakt kuinf w(=sein)  aind (sp = Subjektpräfix; 2= Klasse 2; 1p = 1. Person; akt = aktuelles Präsens; inf= Infinitiv; ind =  Indikativ); also "wir sind"; nyumbani mit Lokativsuffix -ni 'nach/zu Hause', vgl. tunakuwa nyumbani 'wir sind zu Hause' und tunakwenda nyumbani 'wir gehen nach Hause'.
        Nyumba (N/N)  'Haus, Wohnung, Gebäude' gehört zur selben Wortfamilie wie chumba (vy-) 'Zimmer, Raum' quasi als Teil eines Hauses (nyumba hii ina vyumba vingi 'dieses  Haus hat viele Zimmer'); jumba (ma-, Augmentativ) 'großes  Haus, Palast' und kijumba (vi-, Diminutiv) 'kleines Haus, Hütte'. 
     
    (3) Saa ya chakula tunakaa na kula pamoja. 
    Zur Essenszeit sitzen und  essen wir zusammen.
    
        Saa (N/N; Pl. auch ma-)  'Stunde, Uhrzeit'. Saa ya chakula 'Essenszeit', hier als  adverbiale Bestimmung. tunakaa = tusp2-1p  naakt ka (=sitzen,  s. setzen)  aind. Pamoja ist eine Form von -moja 'ein(s)' mit dem  Klassenpräfix pa- der  Ortsklasse, hier adverbial gebraucht 'an éinem Ort; zur selben Zeit;  zusammen'. 
        In tunakaa na kula wird eine finite  Verbform mit einem Infinitiv verbunden. Das ist dann möglich, wenn man vom  selben Subjekt und demselben Tempus ausgehen kann. Anders ausgedrückt, in der  eigentlich zu erwartenden Verbform tunakula werden das Subjektpräfix und das Zeitpräfix  weggelassen. Weitere Beispiele finden sich im Text in den Sätzen (12) und (13). 
     
    (4) Mara nyingi tunakula ugali au wali.
    Oft essen wir Maisbrei  oder Reis.
    
        
            Mara (N/N) 'Mal; mal (Adv.)' -ingi 'viel(e)'; mara nyingi 'viele Male, oft,  häufig'; 
            tunakula = tusp2-1p naakt kuinf l (=essen) aind 'wir essen'; ugali (U), 'Maisbrei'; au 'oder'; wali (U) 'gekochter Reis'.
        
        Ugali ist ein Grundnahrungsmittel in vielen afrikanischen Ländern. Es wird aus  Maismehl ohne weitere Zutaten zubereitet und normalerweise mit der Hand  gegessen.
     
    (5) Mimi ninapenda zaidi ugali na mchicha.
    
        Ich mag lieber Maisbrei  mit Spinat.
        Ninapenda = nisp1-1s naakt pend (=lieben) aind 'ich liebe/mag'; zaidi (Adv.) 'mehr',  modifiziert hier das Verb, so wie sana in Satz (6).
     
    (6) Mdogo wangu anapenda sana wali na maharage.
     Mein kleiner  Bruder/meine kleine Schwester mag gerne Reis mit Bohnen.
           
        Mdogo (M/Wa) 'jüngere/r Schwester/Bruder' (vom Adj. -dogo 'klein'); wangu = w- + angu 'mein'. Das Klassenpräfix  für die Klasse 1 ist bei Pronomen yu- vor Konsonanten (z.B. yule 'jener') und w- vor Vokalen; sana (Adv.) 'sehr'; maharage = maharagwe, Pl. von haragwe 'Bohne'.
     
    (7) Kabla ya kula tunanawa vizuri.
     Vor dem Essen waschen  wir uns ordentlich die Hände.
           
        Kabla ya 'vor (zeitlich)', entspricht einer Präposition; kula = kuinf l (=essen) aind: was gewöhnlich als Infinitiv  bezeichnet wird, ist eigentlich ein Klassenpräfix (Klasse 15), d.h. so etwas  wie ein Gerundium, ein Verbalsubstantiv, vergleichbar mit dem Englischen eating,  oder dem deutschen "substantivierten Infinitiv" das Essen; kabla ya kula also 'vor dem  Essen' (engl. before eating). 
        tunanawa = tusp2-1p naakt naw (=waschen[Hände]) aind 'wir waschen uns [die Hände]'; im  Kontext des Essens geht es gewöhnlich ums Händewaschen.
        Das Präfix vi- in vizuri macht aus dem Adjektiv -zuri 'gut, schön' ein Adverb  der Art- und Weise (Frage wie?). Die Bedeutung von -zuri ist  eigentlich relativ vage.  (s.v. –zuri)  umschreibt sie wie folgt:
        
            … beautiful,  good, fine, pleasing, i.e. pleasing in any way or degree to any taste or sense  — usually of externals, and so translatable in a great variety of ways to suit  the particular sense affected, and the degree to which it was affected. But  also of what commends itself to the moral sense, not as good in itself so much  as consonant with that sense, i.e. agreeable, amiable, worthy, excellent,  praiseworthy.
        
        
        Wie genau vizuri also zu interpretieren ist, hängt vom jeweiligen Kontext ab.
     
    (8) Mama humnawisha mdogo wangu.
    Mama lässt wie immer meinen  kleinen Bruder sich die Hände waschen
    
        
            Humnawisha = huhab mop1-3s naw_kaus(=waschen lassen) aind
            (op1 = Objektpräfix Klasse 1; 3s = 3. Person Singular hab = Habituativ,  gewohnheitsmäßige Handlung).
 Der Stamm nawisha ist eine  Kausativbildung zu nawa,  "die Mutter veranlasst das Kind sich die Hände zu waschen". Das  Präfix hu- drückt aus, dass die Handlung gewohnheitsmäßig ausgeführt  wird (Habitualis oder Habituativ). In der Übersetzung wird  dies durch wie immer wiedergegeben.
        
     
    (9) Wazazi wanasema tusizungumze wakati wa kula.
    Die Eltern sagen, wir sollen beim Essens  nicht reden.
    
        Wazazi 'Eltern', Pl. von mzazi 'Elternteil'; wanasema = wasp2-3p  naakt sem (=sprechen) aind 'sie (= die Eltern) sagen…'; davon abhängig: tusizungumze = tusp2-1p sineg-konjzungumz (=reden) ekonj "wir sollen nicht reden"; hierbeit handelt es sich um eine  Konjunktivform (engl. subjunctive, daher häufig auch Subjunktiv), wie  sie im Swahili relativ häufig vorkommt, ausgedrückt durch das Suffix -e anstelle von -a; beim Konjunktiv gibt es kein Zeitpräfix; zur Verneinung  wird hinter dem Subjektpräfix si- eingefügt.
        Konjunktiv ist ein  Oberbegriff für eine Vielzahl von Bedeutungsnuancen (z.B.höflicher Imperativ,  Aufforderung, Wunsch, Ermahnung, Verpflichtung, etc.; die Grammar Notes des Kamusi Project unterscheiden nicht weniger als 16 Funktionen); im  vorliegenden Kontext am besten mit 'sollen' zu übersetzen.
        Wakati (U; Pl. nyakati) 'Zeit, Mal  (Gelegenheit)'; als Konjunktion 'während'; präpositional wakati wa 'während'; wakati wa kula also 'während des Essens'.
     
    (10) Tule vizuri, tusimwage chakula, wala tusichafue  nguo.
    Wir sollen anständig essen, kein Essen  verschütten und die Kleidung nicht beschmutzen
    
        Tule = tusp2-1p l(=essen) ekonj 'wir sollen essen'; tusimwage = tusp2-1p sineg-konjmwag (=verschütten) ekonj 'wir sollen nicht verschütten'; wala (Konj.) 'und nicht'; tusichafue = tusp2-1p sineg-konj chafu (=beschmutzen) ekonj 'wir sollen nicht  beschmutzen'; nguo 'Kleidung'. 
     
    (11) Baada ya kula tunaondoa  vyombo. 
        Nach dem Essen räumen  wir das Geschirr weg.
    
        Baada ya 'nach', tunaondoa = tusp2-1p naakt ondo (=wegräumen) aind 'wir räumen weg'; vyombo 'Geschirr', Plural von chombo (KI/VI) 'Werkzeug,  Gefäß, Utensil'.
     
    (12) Tunasafisha meza na kunawa.
 
    Wir säubern den Tisch  und waschen uns (die Hände).
    
        Tunasafisha = tusp2-1p naakt saf_kaus (=säubern) aind, Kausativbildung aus safi (Adj.) 'rein, sauber'. (Es gab  auch ein jetzt nicht mehr gebräuchliches Verb safi, safisha könnte also auch davon  abgeleitet sein.)
        Kunawa Kurzform für tunanawa.
     
    (13) Tunawaaga wazazi na kwenda kulala.
    Wir verabschieden uns  von den Eltern und gehen schlafen
    
        Tunawaaga = tusp2-1p naakt waop2-3p ag (=s. verabschieden) aind; kwenda hier Kurzform für tunakwenda.
     
    (14) Wazazi  wanatufundisha adabu njema.
       Die Eltern bringen uns  gutes Benehmen bei.
     
        Wanatufundisha = wasp2-3p naakt tuop2-1p fund_kaus(=lehren) aind 'sie lehren uns'; adabu (N/N) 'Höflichkeit, Zuvorkommenheit, gutes Benehmen'; njema zu -ema (Adj.) 'gut'.
     
    
        
            
  - Johnson, Frederick  (Hrsg.) (1994).
- A standard Swahili-English dictionary: (founded on Madan's Swahili-English dictionary). Text in Englisch und Swahili (reprint). Oxford Univ. Press, Nairobi.  – 548 S. – ISBN 0-19-572007-5. 
 
     
    
        
            
  - Lazaro, Cosmo Ambokile  (2011).
- Swahili: Handwörterbuch des internationalen KiSwahili ; Deutsch-Swahili - Swahili-Deutsch; kamusi ya Kijerumani na Kiswahili. Verlag AM-CO Publishers, Köln, 2. Auflage.  – 388 S. – ISBN 978-3-9806714-5-3.