Universität Bremen, Duke University & University of North Carolina at Chapel Hill Sommerschule ‚Borders, Borderthinking, Borderlands‘


Beschreibung

Die Sommerschule nimmt anhand der Konzepte ,Borders, Borderthinking, Borderlands’ aus einer dekolonialen Perspektive eine Auseinandersetzung mit den epistemologischen Grundlagen akademischer Arbeit vor und zeigt Verknüpfungen zwischen diesen und aktuellen Grenzproblematiken auf. Dabei konzentriert sich die Sommerschule auf die kritische Dekonstruktion und konkrete Fälle politischer Anfechtungen von Grenzen. Sie versteht Grenzen als verbindende Elemente sich vermischender und ineinander übergehender Borderlands und nicht mehr, wie es etwa in etablierten Konzepten wie global governance der Fall ist, als Trennlinien zwischen verschiedenen in sich selbst bestehenden Einheiten. Das Verständnis des Grenzbegriffs reicht hierbei von den mehr oder minder befestigten physischen und politischen Grenzen zwischen Nationalstaaten, über Grenzen zwischen Zivilisationen und Kulturen bis hin zu Grenzen zwischen Geschlechtern und Rassen. Die Sommerschule wendet sich somit gegen die Sprache einer grenzenlosen und abstrakten Globalisierung, die oft sowohl zeitgenössische Transformation von Borders und Borderlands wie auch deren Formationen, Befestigungen und wiederholte Behauptung aber auch erneute Infragestellung übersieht. Die Sommerschule verknüpft die Analyse theoretischer, literarischer, historischer und künstlerischer Auseinandersetzungen mit Grenzen mit aktuellen Problematiken (wie zum Beispiel der Flüchtlingskrise im Mittelmeer) und ermöglicht ihren Teilnehmer_innen so ein besseres Verständnis dieser Problematiken wie auch deren Bedeutung für die eigenen Arbeiten.

Da die modernen Sozial- und Geisteswissenschaften in den Zeiten des Imperialismus entstanden sind, sind ihre Kategorien und Vorstellungswelten weitgehend durch die verschiedenen Grenzen des kolonialen Projektes bestimmt worden. Anti-koloniale Kämpfe und Dekolonisierungsprozesse haben seither viele dieser Grenzen in Frage gestellt und neu definiert, haben dabei aber auch neue Grenzen geschaffen. Die Sommerschule unternimmt eine kritische Analyse geisteswissenschaftlicher Grundlagen in Bezug auf das (Post-)koloniale Projekt und führt die Teilnehmer_innen in zeitgenössische Theorien und Konzepte zu diesen Problematiken ein, wie etwa das Borderthinking. Dabei unternimmt sie eine kritische Distanzierung zu bestehenden Versuchen gegenwärtige politische und akademische Fragestellungen durch die Transformation der eurozentrischen Moderne hin zu einer multipolaren dezentrierten Weltordnung zu erklären ohne dabei den Grenzbegriff selbst zu hinterfragen. Die Sommerschule sieht eine lang bestehende Kontinuität dekolonialer Kritik an dem Mythos einer stabilen und legitimen west-zentrischen Welt, die bis in die Anfänge des westlichen Kolonialismus und Imperialismus zurückreicht, und nicht erst im Zuge der politischen Entkolonisierung des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden ist. Sie verfolgt diese Kontinuität beispielsweise von Werken „kolonisierter“ Autor_innen oder mit Zeugnissen aus der schwarzen Diaspora bis hin zu Anfechtungen bestehender Grenzen die aus den Entwicklungen und Veränderungen der Weltwirtschaft und dem politischen Aufstieg asiatischer Staaten heraus entstanden sind. Die Sommerschule wird viele der diesen Kritiken und Anfechtungen zugrundliegenden Problematiken betrachten, von der Verknüpfung von Wissen und Macht in der Durchsetzung kolonialistischer Wissenschaften die unter anderem der „Erklärung“ der Weltbeherrschung durch die „weißen“ Zivilisationen des Westens dienten, bis zu den Nachfolgern und Ausläufern dieser kolonialistischen Ansätze in gegenwärtige globale Ungleichheiten und Legitimationskrisen. Dabei wird der Fokus auf der Konstruktion und De-Konstruktion von Grenzen und deren Entwicklung seit der europäischen „Entdeckung“ der sogenannten „Neuen Welt“ und der Conquista des später „Latein“-Amerika genannten Kontinents im Jahre 1492 liegen.

Die Sommerschule wird die Begriffe ‚Borders, Borderthinking, Borderlands’ in ihren unmittelbaren politischen und physischen Bedeutungen angehen, aber auch als Tropen des Denkens. Ihr Ziel ist es das Verständnis der Mechanismen innerer und äußerer Dekolonisierung zu fördern, wie auch das Verständnis der Widerstände der westlichen Moderne gegen diese Dekolonisierung. Die Sommerschule wird die Entwicklung und Bewältigung physischer, psychologischer, epistemologischer und spiritueller Grenzen betrachten und post-, anti- und dekoloniale Konstellationen analysieren, zum Beispiel Black Diaspora oder Transkulturalismus sowie durch Negritude oder Black Consciousness beeinflusste Entwicklungen. Die Begriffe ‚Borders, Borderthinking, Borderlands’ werden als Anerkennung jener Konfliktlinien verstanden, die auf eine radikale Revision der kolonialen Moderne aus dezentrierten Verortungen heraus hinwirken. Dabei wird die Sommerschule diachronische und synchronische Verbindungen zwischen anti- und dekolonialen Epistemologien herausarbeiten. Sie beabsichtigt eine kritische Analyse der auf epistemologisch-kolonialistischen Grenzen gestützten weltweiten westlichen Machtprojektion, die auch nach der physischen Dekolonisierung noch gilt. Die Sommerschule führt ihre Teilnehmer_innen in ein Verständnis der Grenze als einer sowohl politisch-epistemischen Verwebung von Wissen und Macht als auch einer gegenständlichen und gewalttätigen Wirklichkeit ein und schägt dabei die Begriffe ‚Borderthinking’ und ‚Borderlands’ als Ansätze einer kritischen Epistemologie vor.

‚Borderthinking’ bedeutet einen methodologischen Ansatz, der Grenzen nicht aus einem eurozentrischem Verständnis von Inklusion/Exklusion heraus denkt, sondern als einen Bereich gegenseitigen Austausches und der Dissemination, ein Bereich in welchem die selbsterlaubten Privilegien des Westens offengelegt und dekonstruiert werden. Neben der Lehre dieser theoretischen Ansätze schenkt die Sommerschule der Auseinandersetzung mit kulturellen und künstlerischen Zeugnissen der Erfahrung von ‘Borders, Borderthinking, Borderlands’ besondere Aufmerksamkeit. Aktivitäten wie die Besichtigung historischer Schauplätze der Bremer Kolonialhandelsgeschichte,  der Besuch des Auswanderermuseums und post-koloniale Stadtspaziergänge sind integraler Bestandteil der Sommerschule.

Der Begriff der ‚Borderlands’ erweitert das Verständnis von Grenze von der Vorstellung einer klaren und deutlichen Trennung zwischen unterschiedlichen und unabhängigen Einheiten hin zur der Vorstellung eines gemeinsamen Raumes der Hybridität und wechselnden Lokalisierungen transnationaler und transkultureller Identitäten, dynamischer Zuschreibungen und immer-schon gemischter und gegenseitig abhängiger Positionen. Diese Erweiterung ermöglicht es den Teilnehmer_innen der Sommerschule ein besseres Verständnis gegenwärtiger globaler Konflikte und ihrer Entwicklungen zu generieren und liefert Anknüpfungspunkte für weitere Fortschritte in deren eigenen Arbeiten.

Ziel der Sommerschule ist es, einen Austausch zwischen engagierten Nachwuchswissenschaftler_innen anzuregen, kritisches Denken über die ethischen und politischen Dimensionen von Wissenschaft und Wissensproduktion zu fördern um Grenzbegegnungen und –hinterfragungen aus einer globalen Perspektive zu ermöglichen. Dabei will die Sommerschule zum einen an jenem globalen Ungleichgewicht arbeiten, welches dazu führt, dass nicht-westliche Wissenschaftler_innen sich in der Regel gut mit den aktuellen Arbeiten an westlichen Universitäten auskennen, während westliche Wissenschaftler_innen  meist nur wenig bis gar keine Kenntnis der intellektuellen Arbeiten der nicht-westlichen Welt haben. Eines der Lehrziele ist es daher, die Teilnehmer_innen in grundlegende nicht-westliche Werke der Geistes- und Sozialwissenschaften, sowie nicht-westliche Betrachtungen aktueller weltpolitischer Problematiken einzuführen und es den Teilnehmer_innen zu ermöglichen sich produktiv mit diesen auseinanderzusetzen. Die Sommerschule will demnach nicht Wissen produzieren, dessen Ziel ein vereinfachter „Konsum“ oder „informierte“ Kontrolle des „Anderen“ ist. Die Sommerschule wird ihre Teilnehmer_innen zu kritischen Selbstreflektionen ihrer eigenen Position, Teilnahme an und Handlungsfähigkeit im Gefüge der Macht- und Wissensproduktion der (neo-) Kolonialität sowie der Post-, Anti- und Dekolonialisierung befähigen, und zur kritischen Bestimmung des Einflusses, der Rolle und des Potentials dieses Gefüges für und in ihrer eigenen Arbeit anregen.