Abstracts
Sektion 11: Theater: Text und Ereignis
Otto Neudeck (Universität München)
Mit allen Sinnen. Vom Literaturunterricht der Oberstufe zur ästhetischen Erziehung des Schülers
Angesichts eines Mankos im Bereich der Wahrnehmung und Erfahrung von Literatur wird im Vortrag zunächst zu begründen sein, dass und warum für Gymnasiasten der Oberstufe eine systematische Schulung und damit Förderung im Sinne einer ‚ästhetischen Erziehung’ notwendig bzw. wünschenswert ist. In einem zweiten Schritt soll dann ein Projekt zu einer solchen ‚ästhetischen Erziehung’, das vom Literaturuntericht im Fach Deutsch ausgeht und diesen begleitet, vorgestellt werden, wobei – neben der Konzeption – Verlauf und Ergebnisse der praktischen Erprobung zu erläutern sind.
Das Projekt zur ‚ästhetischen Erziehung’ zielt auf eine Sensibilisierung und Differenzierung der Wahrnehmung des literarischen Kunstwerks; es trägt damit in umfassendem Sinne zur kulturellen Bildung der Schüler bei. Darüber hinaus soll bei ihnen ein Bewusstsein dafür erzeugt werden, dass die literarische Kunst durch ihre multimediale Prozessualisierung einen ästhetischen Mehrwert entfaltet, der allein sinnlich erfahrbar ist und infolgedessen eine besondere sensitive Offenheit und Kompetenz erfordert.
Marion Bönnighausen (Universität Münster)
Spielarten ästhetischer Erfahrung im theatralen Diskurs. Rezeptionsprozesse von Theaterstücken im Deutschunterricht
Die Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk, mit Literatur, mit Bildern, mit multimedialen Texturen, mit Theater ist gleichermaßen von einem Prozess der Wahrnehmung sowie von dem Versuch einer Sinnstiftung bestimmt. Insbesondere Formen des Gegenwartstheater machen deutlich, dass beiden Parametern nicht unbedingt zu trauen ist: Der Wahrheitsgehalt der Wahrnehmung ist ebenso zweifelhaft wie eine finite Zuschreibung von Sinn. In dem Beitrag soll aufgezeigt werden, auf welche Weise die Rezeption von Theaterstücken im Unterricht spezifische Möglichkeiten bietet, ästhetische Erfahrungsprozesse anzuregen, die über das tradierte Interpretieren hinauszugehen, ineinander verschlungene Strukturen von Verfremdung, Ironie, Dekonstruktion sichtbar werden lassen und somit – am entgegengesetzten Ende einer möglichen Einfühlung und einer bruchlosen Anbindung an die eigene Lebenswelt – den ‚fremden‘ Blick in den Mittelpunkt stellen.
Literatur:
Kleimann, B. (2002): Das ästhetische Weltverhältnis. Eine Untersuchung zu den grundlegenden Dimensionen des Ästhetischen. München
Willems, H. (2001): Medientheatralität. In: Fischer-Lichte, E. et al. (Hg.): Wahrnehmung und Medialität. Tübingen/ Basel, S. 385–402.
Matthias Warstat (Universität Erlangen-Nürnberg)
Pädagogische Potenziale und Erfordernisse der Aufführungsanalyse
Die theaterwissenschaftliche Methode der Aufführungsanalyse dient dazu, Theater als Ereignis systematisch zu beschreiben und zu reflektieren. Seit der Einführung der Methode unter den Vorzeichen der Theatersemiotik in den 1980er Jahren haben sich die Erkenntnisinteressen und methodischen Prinzipien der Aufführungsanalyse merklich verändert. Das hat sowohl mit Entwicklungen in der Ästhetik des Gegenwartstheaters als auch mit neuen theoretischen Impulsen zu tun. Nach wie vor geht es aber darum, die eigene Aufführungserfahrung in einen (wissenschaftlichen) Text zu transformieren.
In dem Vortrag sollen unterschiedliche Varianten der Aufführungsanalyse vorgestellt und an Textbeispielen diskutiert werden. In einem zweiten Schritt wird überlegt, welche Chancen und Probleme sich daraus ergeben könnten, aufführungsanalytische Praktiken vermehrt in den Unterricht zu integrieren. Welche Elemente der Methode ließen sich mit Schülerinnen und Schülern ausprobieren? Welche Vorteile wären zu erwarten, welche Probleme könnten auftreten?
Anne Steiner (Universität Bayreuth)
Aufführungsanalyse ohne Aufführung?
Will Deutschunterricht angemessen auf die Teilhabe am kulturellen Leben vorbereiten, muss er auch das zeitgenössische Theater zu seinem Thema machen. Er darf sich dabei aber nicht nur dem dramatischen Text widmen, sondern muss sich auch mit der Analyse und Interpretation von aktuellen Aufführungen und Inszenierungen beschäftigen und die Auseinandersetzung mit theatralischen Zeichen und performativen und ästhetischen Aspekten eines Theaterereignisses ermöglichen. Dabei sieht er sich jedoch dem Problem gegenüber, dass eine Theateraufführung zwar immer ein einmaliges, unwiederholbares Ereignis darstellt, aber nicht immer auch als solches rezipiert werden kann – nicht jede Schule liegt im Einzugsbereich eines (für ihre spezifische Lerngruppe geeigneten) Theaters.
Wie Deutschunterricht darauf reagieren kann, ob und wie er auch ohne Theaterbesuch möglichst authentische Theatererfahrungen ermöglichen und die Auseinandersetzung mit dem Gegenwartstheater sinnvoll anregen kann, und welche Hilfestellung ihm aktuelle theaterdidaktische Ansätze für die „Aufführungsanalyse ohne Aufführung“ bieten, ist zu diskutieren.
Literatur:
Paule, Gabriela (2009): Kultur des Zuschauens. Theaterdidaktik zwischen Textlektüre und Aufführungspraxis, München
Jens Roselt (Universität Hildesheim)
Der lange Weg: Vom Text zur Aufführung
Ziel des Beitrags ist es, das komplexe Verhältnis zwischen dem Text und seiner Aufführung zu thematisieren, um zu zeigen, dass die Inszenierung eines Dramas nicht als „Umsetzung“, sondern als mediale Transformation gedacht werden muss. Besonderes Gewicht wird dabei auf die Produktionsbedingungen der Theaterpraxis gelegt. Es geht um die Frage, wie und unter welchen Bedingungen Inszenierungen im Theater überhaupt entstehen. Wer trifft die ästhetisch relevanten Entscheidungen und wer trägt die Verantwortung für eine Inszenierung? Damit rückt die Theaterprobe als kreativer Spielraum in den Blickpunkt, wobei insbesondere der kollektiven Dimension von Entstehungsprozessen im Theater Rechnung getragen werden soll. Zentrale Begriffe wie Regie oder Werktreue sollen reflektiert werden, um den impliziten Idealisierungen des Theaterbetriebs entgegen zu wirken.
Literatur:
Jens Roselt: Vom Diener zum Despoten. Zur Vorgeschichte der modernen Theaterregie im 19. Jahrhundert. In: Nicole Gronemeyer und Bernd Stegemann (Hg.): Regie. Lektionen 2, Berlin 2009, S. 23–37.
André Barz (Universität Siegen)
„Postspektakulär!?“ Zum ästhetischen Gehalt gegenwärtigen Theaters
Ausgehend von der Behauptung, Theater „ermögliche ‚andere’ (als übliche) ästhetische Erfahrungen“ (Barz), und anknüpfend an den jüngst erneuerten Befund, Konzepte der Vermittlung und Aneignung von Kinder- und Jugendtheaterstücken seien nach wie vor dominant themenorientiert (Payrhuber), wird im Spiegel eines als „postspektakulär“ beschriebenen Theaters (Eiermann) nach dem tatsächlichen ästhetischen Gehalt und dem damit im Unterricht gegebenenfalls erkundbaren ästhetischen Potenzial gegenwärtigen Theaters gefragt. Mit letzterem ist gegenwärtiges Schreiben für das Theater ebenso gemeint wie gegenwärtige Inszenierungsweisen von zeitgenössischen wie ‚kanonischen’ Texten. Es ist bezogen auf das gegenwärtige Theater für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
Literatur:
Barz, A.: Theater im Deutschunterricht […] In: Jahrbuch Medien im Deutschunterricht. München: kopaed, 2009.
Eiermann, A.: Postspektakuläres Theater […] Bielefeld: transcript, 2009.
Payrhuber, F.-J.: Das Drama in der Schule […] In: Theater und Schule. Ein Handbuch zur kulturellen Bildung. Bielefeld: transcript, 2009. 173–184.
Stephan Hoffmann (Theater Junge Generation Dresden)
Schüler als Zuschauer – Beobachtungen und Überlegungen aus dem Alltag des Kinder- und Jugendtheaters
Die Inszenierung eines klassischen Stückes am Kinder- und Jugendtheater, ob „Faust“, „Emilia Galotti“ oder „Frühlingserwachen“, ist einer Vielzahl von Erwartungen und Vorurteilen ausgesetzt. Zwischen dem Anspruch auf Service für den Deutschunterricht und dem Beharren auf der Eigenständigkeit der Kunst können (theatrale) Welten liegen. Wie kann der schulische Besuch eines Theaters für alle Beteiligten (Schüler, Lehrer, Schauspieler, Regisseure, Theaterpädagogen, etc.) positiv erlebt werden? Was haben „das Theater“ und „die Schule“ einander zu bieten? Stephan Hoffmann war 2000 bis 2010 als Theaterpädagoge an den beiden größten deutschen Kinder- und Jugendtheatern, dem „carrousel Theater an der Parkaue“ (Berlin) und dem „Theater Junge Generation“ (Dresden). Er berichtet aus der Praxis: von zahllosen Lehrerfortbildungen, missglückten Vermittlungsversuchen, produktiven Missverständnissen, seltenen Glücksmomenten und knapp verhinderten Schlägereien zwischen Zuschauern und Schauspielern.
Seit März 2010 ist er Referent für Kulturelle Bildung im Kulturamt der Landeshauptstadt Dresden.
Jörg Holkenbrink (Universität Bremen)
Was Sie schon immer über Performance und Theater in der Lehre wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten. Eine Sprech-Stunde über Regiesprachen und Zuschauerkunst
In diesem Sektionsbeitrag geht es um die Entwicklung von Vorstellungen, wie eine sinnvolle Zusammenarbeit mit professionellen Theatermenschen in der Deutschdidaktik aussehen könnte, um im Unterricht folgende Lern- und Qualifikationsziele anzustreben:
- Einübung der Fähigkeit, Regiesprachen zu verstehen (Inszenierungstypen, Dramaturgie), einschließlich experimenteller Formen der Theaterarbeit, die Raum, Bewegung, Zeitrhythmen, Klang als kompositorische Elemente benutzen
- Einübung der Fähigkeit, einen veränderten Umgang mit der eigenen Wahrnehmung im zeitgenössischen Theater zu erproben
- Einübung der Fähigkeit, Inszenierungen als Versuchsanordnungen zu begreifen und damit auch schöpferische Aspekte von Mehrdeutigkeit und Ungewissheit zu reflektieren
- Einübung der Fähigkeit, die Produktivität der Fremdheit in der Begegnung mit theatralen Inszenierungen zu reflektieren
Wolfgang Sting (Universität Hamburg)
Zur Vermittlung performativer Spiel- und Theaterformen in der Schule
Theaterpädagogische Vermittlung als didaktische Aufgabe stellt sich hier die Frage, welche Bedeutung künstlerische Formate und Verfahren der Performance für den Kontext „Theater und Schule“ haben und wie sie zu übersetzen sind. Grundlegende theaterpädagogische Überlegungen zur künstlerisch-praktischen Theaterarbeit in der Schule, insbesondere zu deren Produktionsästhetik, werden ergänzt durch Beispiele, wie performative Spielformen probiert, entwickelt und reflektiert werden können.
Literatur:
Klein, Gabriele/ Sting, Wolfgang (Hg.) (2005) Performance – Positionen zeitgenössischer szenischer Kunst. Bielefeld;
Liebau, Eckart/Klepacki, Leopold/Zirfas, Jörg (2009) Theatrale Bildung. Weinheim und München
Stefan Krammer (Universität Wien)
Theater im Kopf. (Post)Dramatische Lese-Akte im Deutschunterricht
Die unterschiedlichen Konzepte im Umgang mit dem Theater, wie sie die Deutschdidaktik entwickelt hat, setzen insbesondere bei schul- und unterrichtsspezifischen Produktions- und Rezeptionssituationen an. Mein Beitrag möchte diese Diskussion aufgreifen und damit die Frage aufwerfen, welche theaterwissenschaftlichen Grundlagen nötig sind, um das Theater als Kunst für sich ästhetisch fassen zu können, sowohl in Abgrenzung zum szenischen Text als auch in produktiver Verschränkung mit diesem. Anhand von erprobten Unterrichtskonzepten (in Zusammenhang mit Arbeiten der Wiener Gruppe, von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek) soll demonstriert werden, wie SchülerInnen eine Lesefertigkeit für szenische Texte entwickeln können, die es ihnen ermöglicht, textliche Hinweise auf Bühnenrealisationen aufzuspüren und dabei einen plurimedialen Text entstehen zu lassen, der sich von den rein sprachlichen Kodes distanziert und theatrale Zeichen entstehen lässt. Der (post)dramatische Lese-Akt ist dann geglückt, wenn in der Fokussierung auf die Theatralität von Texten Theater im Kopf stattfinden kann.
Literatur:
Denk, Rudolf/Möbius, Thomas: Dramen- und Theaterdidaktik. Berlin: Schmidt Verlag 2008.
Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater. Frankfurt/Main: Verlag der Autoren 1999.
Hans Lösener (Universität Münster)
Den Körper in der Sprache entdecken. Schulische Theatererfahrung als sprachtheoretische Reflexion
Dramenlektüre und Theaterbesuch werden gewöhnlich als zwei Rezeptionsweisen des Dramatischen betrachtet, die so gut wie nichts miteinander gemein haben. Zugrunde liegt dieser Sicht eine strikte Trennung zwischen Lektüre und Inszenierung, die noch immer den schulischen Umgang mit Dramen dominiert. Diese Trennung ist zweifellos eine der wesentlichen Gründe für die vielfältigen Schwierigkeiten bei der Arbeit mit Dramentexten im Unterricht. Um sie zu überwinden, bedarf es einer Praxis des Lesens, die die theatrale Performativität des Textes realisiert, indem sie die Körperlichkeit der dramatischen Dialogizität erfahrbar macht. In dem geplanten Vortrag wird anhand verschiedener Unterrichtsbeispiele gezeigt, wie Schüler an die Gestaltung der Körperlichkeit des Sprechens in Dramentexten herangeführt werden können und diese erfahren und reflektieren können.
Literatur:
Lösener, Hans: Die intermediale Lektüre. Wege zur Inszenierung im Text. In: Marion Bönnighausen und Gabriela Paule (Hgg.): Theater intermedial. Schriftenreihe Jahrbuch Medien im Deutschunterricht. München 2009. S. 67–82.
Marion Küster (HMT Rostock)
Theater ist Botschaft. Lass ich mich darauf ein, beglückt es mich mit Lebendigkeit – das gönne ich auch dir
Unter dem Titel „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ wurde Schillers Rede 1784 veröffentlicht.
Haben Schillers Forderungen nach einer moralischen, gesellschaftspolitischen und ästhetischen Anstalt und einer Schule praktischer Weisheit noch Gültigkeit?
In meinen Ausführungen möchte ich dieser Frage nachgehen und darüber nachdenken, wie Theater im Deutschunterricht zu verankern ist, damit Schüler zu begeisterten Nutzern dieser Quelle der Inspiration werden.