Plenarvorträge

Plenarvortrag Nr. 1: Sonntag, 5. September 2010, 19:00 – 19:50 | Obere Rathaushalle

Nora E. Gomringer (Bamberg)

Ein Neubauviertel besichtigen - was jetzt Einzug hält in die Lehre und (trotzdem) Lyrik ist

Wenn die Deutschdidaktik ein Ort wäre, wären wir dann bald da?

Oder  fahren wir in Zeiten von Kompetenzfragenklärung, Zielerfüllungsparametern und Bildungsdebatten nicht schon lange im Kreis um den Ort herum oder immer wieder an ihm vorbei?

Lassen Sie uns diesen speziellen Ort aufsuchen und ihn besichtigen, wie er sich heute zeigt, im Jahr 2010. Welche Häuserinhalte in ihm zu finden sind, wo Brücken gebaut oder einfach nur renoviert werden müssen, wo ein neues Kino, ein neuer Konzertsaal hin soll und mit was wir die bespielen in der Zukunft. Wie ergeht es den lehrenden, lernenden und wissenschaftlich tätigen Bewohnern von "Deutschdidaktik"? Können sie sich auf ein sie transportierendes System verlassen? Gibt es da (er-)fahrbare Untersätze, die sich besonders anbieten?  

Die Deutschdidaktik hat den Vorteil, schneller und gezielter auf neue germanistische Inhalte reagieren zu können, indem sie ihnen Eingang in die Lehre und Vermittlung gewährt. Davon haben auch meine Arbeiten profitiert und so erlaube ich mir eine gezielte Führung durch die neuen Viertel des Ortes:

Nora Gomringer spricht aus dichterischer und veranstalterischer Praxis sowie als Zugezogene über ihre Lieblingslandschaft, die Literatur und die Lyrik im Speziellen.

Plenarvortrag Nr. 2: Montag, 6. September 2010, 9:00 – 9:45 | Hörsaalgebäude („Keksdose“) Raum 2010

Peter Klotz (Universität Bayreuth)

Sprachliches Wissen, Sprachgebrauch und Ethos

Der Vortrag greift das Thema des Symposions unmittelbar auf und widmet sich vor allem der sprachlichen Seite unseres Faches, aber notwendigerweise nicht nur. Es stellen sich Fragen der institutionellen Differenzen zwischen Fachwissenschaft, Schule und – sowohl vermittelnd als auch pointiert eigenständig – Fachdidaktik. Deren Zwischenstellung erfordert einen Doppelblick auf Fachlichkeit, nämlich in Bezug auf die Lehrerbildung und in Bezug auf die Konzeptionen des Deutschunterrichts.

Eine erste Kernfrage lautet, wie es um die germanistische, hier die linguistische Fachlichkeit in der Deutschdidaktik steht und inwieweit sich diese Fachlichkeit bis in den Deutschunterricht hinein auswirkt. Das Anliegen wird es dabei sein, die Textorientierung, die Auseinandersetzung mit Textualität und Textsortenkompetenz, weiter voranzutreiben und die sowohl möglichen als auch wünschenswerten funktionalen Verbindungen zwischen Formulierungskompetenzen und allgemeinem sowie literarischem Textverstehen viel stärker zu etablieren, wobei die ontogenetischen und soziokulturellen Faktoren eine eigenständige Herangehens- und Vermittlungsweise erfordern.

Als wesentliche Konsequenz davon ergibt es sich, Anregungen aus der Pragmalinguistik aufzugreifen und – stärker als bisher - in den Grundbestand germanistischer Didaktik als unverzichtbar einzubringen. Das sprachliche Handeln, der Sprachgebrauch stellt sich somit als zweite Kernfrage. Welche Arten des Handelns sind in der Sprache schon angelegt, welche Formen des Handelns sind so sehr konventionalisiert und ritualisiert, dass sie sprachliches Verhalten – eventuell zu sehr – prägen, zu welchem Handeln muss Sprache behutsam gefunden werden? Die Selbstverständlichkeit solcher Fragen harrt bewusster Distanz. Die politeness-Forschung mit ihrem Anliegen, das kommunikative Miteinander zu sichern, die Möglichkeiten beispielsweise des Gesichtwahrens und Gesichtverlierens zu erkunden, stellt einen klärenden Impuls dar, jene Sprachbewusstheit und jenes sprachliche Können fachdidaktisch zu reflektieren, das ein autonomes sprachliches Handeln eröffnet.

Eine dritte Kernfrage stellt sich im Zusammenhang mit sozialen Differenzen, die Sprachwissen und Sprachgebrauch unmittelbar beeinflussen: Bedürfen wir nicht einer erneuten soziokulturell reflektierenden Deutschdidaktik und Linguistik? Sind nicht Aspekte der Soziolinguistik der siebziger Jahre zu schnell auf der Halde kaum mehr relevanter Themen verschwunden? Vermehrt drängt sich die Aufgabe wieder auf, Sprache unter sozialer Perspektive nicht nur als Objekt, sondern als das Medium des gesellschaftlichen Miteinander sowie der Wissensvermittlung und der Teilhabe an Wissen – nicht zuletzt in fächerübergreifendem Sinne – didaktisch zu konturieren. – Insgesamt fragt es sich zusätzlich, ob nicht vermehrt Anstöße von der Sprachdidaktik ausgehen sollten, die gemeinsame Forschungsziele mit der Linguistik formulieren, um die je eigene Fachlichkeit zu intensivieren und systemisch zu erweitern.

Fachliches Lernen braucht Orientierungspunkte. Deshalb fokussiert und exemplifiziert der Vortrag die Aspekte von Sprach- und Textwissen, von pragmatischer Bewusstheit und – und auch dies ist insbesondere in didaktischem Zusammenhang relevant – vom Ethos des Sprachgebrauchs, bzw. er bemüht sich um Aspekte sowohl der systembezogenen Sprachaufmerksamkeit als auch einer kritischen Sprachgebrauchsverantwortung.

Plenarvortrag Nr. 3: Dienstag, 7. September 2010, 9:00 – 9:45 | Hörsaalgebäude („Keksdose“) Raum 2010

Michael Kämper-van den Boogaart (Humboldt Universität Berlin)

Zur Fachlichkeit des Literaturunterrichts

Nicht zuletzt wegen des Legitimationsproblems, das sich unweigerlich stellte, wollte man aus der Perspektive von Wissenschaft, allgemeine Bildungsziele verbindlich postulieren, betonen die AutorInnen der Klieme-Expertise bekanntermaßen die Fachlichkeit der von ihnen in ihrer Qualität zu beschreibenden Bildungsstandards: „Unterrichtsfächer korrespondieren mit wissenschaftlichen Disziplinen, die bestimmte Weltsichten (eine historische, literarisch-kulturelle, naturwissenschaftliche usw.) ausarbeiten und dabei bestimmte ‚Codes‘ einführen (z.B. mathematische Modelle, hermeneutische Textinterpretationen)“ (Klieme et al. 2003, 18).

Ohne an dieser Stelle prinzipielle Fragen nach der mit Standards einhergehenden Output- oder Outcome-Orientierung unterrichtlicher Praxis zu diskutieren, soll in diesem Vortrag nach der in der Expertise unterstellten Korrespondenz von Fach und Disziplin und nach der disziplinär spezifischen Weltsicht und nach deren Codes gefragt werden. Die AutorInnen um Klieme betonen aus gutem Grund, dass Fachlichkeit ein traditionelles Prinzip von Schule sei. Da dies so ist, wäre es ein Ausweis von Geschichtsvergessenheit, bemühte man sich nicht, die Genealogie des Faches und der Disziplin im Auge zu behalten. Deshalb werden im Bemühen um die Gegenwart Schlaglichter auf diskursive Konstellationen in der Beziehungsgeschichte germanistischer Literatur- bzw. Kulturwissenschaft und insbesondere dem Gymnasialfach Deutsch geworfen.  Dabei geht es nicht allein um Kanones des zu Lesenden und des zu Wissenden, sondern auch um Dispositionen, die mehr oder weniger politischen Charakters sind, bedenkt man etwa die nationalpädagogische Frühgeschichte von Disziplin und Fach. Zu fragen ist, was nach der Diskreditierung solcher Ausrichtungen an deren Stelle getreten ist oder treten wird. Erwägenswert ist hier die These, dass die nach 1945 aufgetretenen Legitimationsprobleme von Disziplin und Unterrichtsfach je unterschiedlich gelöst worden sind – eine These, die notwendigerweise auf die von Klieme u.a. unterstellte Korrespondenz von Disziplin und Fach rückwirkt. Anders gewendet: Agieren Deutsch Lehrende im Literaturunterricht als Kultur- und LiteraturwissenschaftlerInnen oder folgen sie eher kollektiven Handlungsmustern der Institution Schule? (Natürlich lassen sich neben diesen beiden Alternativen viele weitere denken und problematisieren.)

In den Blick zu nehmen ist bei einer Bewertung solcher Fragen nicht allein die ja wahrlich nicht neue Differenz zwischen den Praxisformen von Wissenschaft und Unterricht, sondern auch Effekte, die daraus resultieren, dass Unterrichtsmaterialien, Lehrerhandreichungen, aber eben auch KMK-Standards einen starken Einfluss auf das Fachverständnis von Lehrenden nehmen. Empirisch verorten lässt sich diese Distanz zwischen der daraus resultierenden schulischen Fachlichkeit und der wissenschaftlichen Disziplin etwa im Bereich der Leitterminologie schulischer Texterschließungspraktiken. Entsprechende Befunde stellen, für sich genommen, noch keine Verdikte gegen einen mangelhaft der Wissenschaftsdisziplin angepassten Literaturunterricht dar, kann es doch gute Gründe dafür geben, dass Unterricht und Bildungsziele Distanz zu dem halten, was etwa in der Narratologie oder Metapherntheorie wissenschaftlich als state of art gilt.

Plenarvortrag Nr. 4: Mittwoch, 8. September 2010, 9:00 – 9:45 | Hörsaalgebäude („Keksdose“) Raum 2010

Bernard Schneuwly (Universität Genf)

Savoirs/Scire: Gegenstand und Perspektive der Didaktik Bemerkungen aus der Sicht der französischen Sprach- und Literaturdidaktik

Im französischsprachigen Kulturraum wird (Sprach-)didaktik als eine Forschungsdisziplin verstanden, die die Frage behandelt, wie savoirsscire [Wissen und Können] wie Comenius sagt – in spezialisierten, gesellschaftlich geschaffenen Institutionen von Personen an andere vermittelt werden.  Natürlich sind dabei schulische Institutionen besonders wichtig, da sie Freiräume – skholê – für Lehren und Lernen schaffen. Von diesem Standpunkt aus werde ich zuerst bestimmen was savoirs überhaupt sind und dabei, in einem Exkurs, kurz auf den Kompetenzbegriff im heutigen Sinn eingehen, der viele Fallstricke nach sich zieht.

Ich werde dann an zwei Beispielen die Reichweite didaktischer Forschungsarbeit illustrieren, die sowohl auf Entwicklung als auch auf Beschreibung und Erklärung der Vermittlung von savoirs ausgerichtet ist.

  • Was unterrichtet wird – Unterrichtsgegenstände – ist immer Produkt von Sedimentierung historischer Praxen. Diese gilt es zu beschreiben und zu erklären. Ich werde dies am Beispiel von Grammatikunterricht über den Relativsatz gezeigt wird.
  • Unterrichtsgegenstände sind auch Resultat didaktischer Modellierung, die zur Entwicklung von Unterricht beiträgt. Was sind zum Beispiel die Voraussetzungen theoretischer und praktischer Art, um das savoir „débattre“, die Debatte, die öffentliche Diskussion, didaktisch zu modellieren und unterrichtbar zu gestalten? Und umgekehrt gefragt, in der Manier Wygotski’s: welche semiotischen Werkzeuge müssen bereitgestellt werden, damit sich dieses savoir bei Schülern entwickeln kann?

Solche Fragestellungen der Didaktik als Forschungsdisziplin, die Vermittlung von savoirs zum Gegenstand hat, stehen in doppelter Perspektive, die abschliessend kurz verallgemeinernd angegangen werden:

  • die Perspektive der Entwicklung einer breiten didaktischen Infrastruktur, die Voraussetzung ist für die Entwicklung der Lehrerberufs als Profession, über den Status des Lehrer als individuellem Produzenten hinaus;
  • und diejenige, der Utopie, die am Ursprung der Didaktik steht, etwas näher zu kommen, nämlich „allen alles zu lehren“ (Comenius).