Abstracts

Sektion 2: Das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit

Stella Uesseler (Institut für Germanistik I, Universität Hamburg)

Bildungssprachliche Kompetenzen im Unterricht – mündlich und schriftlich

In meinem Vortrag möchte ich darauf eingehen, wie SchülerInnen bildungssprachliche Kompetenzen im Unterrichtsdiskurs und aus Texten erwerben und diese anwenden. Dabei stehen die unterschiedlichen Anforderungen, die durch Mündlichkeit und Schriftlichkeit an sie gestellt werden, im Vordergrund.

Bildungssprache wird häufig als situationsentbunden und als schriftsprachähnlich charakterisiert. Neben der Fokussierung auf konzeptionelle Schriftlichkeit auch im Mündlichen ist jedoch ein weiterer Aspekt in den Blick zu nehmen: die „Alltägliche Wissenschaftssprache“ (AWS). Unter AWS fallen Ausdrücke wie z. B. „zeigen“ oder „Körper“. Durch ihre Ähnlichkeit mit Ausdrücken der Alltagssprache sind AWS-Ausdrücke zunächst unscheinbar und werden weder von Lernenden noch von Lehrpersonen als unbekannt identifiziert. Sie unterscheiden sich jedoch von der Alltagssprache dadurch, dass ihre Bedeutung gegenüber der alltäglichen Bedeutung spezifiziert ist. Deshalb können AWS-Ausdrücke SchülerInnen beim Lesen und Schreiben von Texten sowie bei der mündlichen Sprachrezeption und -produktion Schwierigkeiten bereiten.

Die Untersuchung, die im Vortrag vorgestellt wird, ist in das Projekt „Bildungssprachliche Kompetenzen“ (BiSpra, Leitung: Prof. Redder) eingebunden, das anhand von authentischen Unterrichtsaufnahmen untersucht, wie SchülerInnen der 4. und 5. Klasse im naturwissenschaftlichen Unterricht (AWS) erwerben und produktiv nutzen.

Literatur:

Ehlich, Konrad (1999) Alltägliche Wissenschaftssprache. Info DaF 26/8, 3–24.

Zurück  

Ulla Kleinberger (Departement Angewandte Linguistik, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, Zürich CH)

Sprachbasierte Medienkompetenz

Über sprachbasierte Medienkompetenz von Kindern und von Jugendlichen ist noch wenig bekannt. Texte werden online in unterschiedlichen Übertragungskanälen (Forum, Blog, Chat, Twitter etc.) rege in teilweise wenig normierter Umgebung produziert und rezipiert. Dies erfordert permanente Transferprozesse auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen: syntaktisch, semantisch, pragmatisch.

Einerseits verfügen Kinder/Jugendliche über ein teilweise gefestigtes Textsortenwissen, das u. U. medial adaptiert werden muss: „Welche Aspekte transferiert werden und welche nicht, nach welchen Kriterien Kinder und Jugendliche entscheiden, bestimmte Elemente zu verwenden, abzuändern oder anders zu funktionalisieren, sind nur einige der bislang ungeklärten Fragen.“ (Wagner/Kleinberger 2009, S. 56) Andererseits müssen sie sich an inzwischen etablierte gruppeninterne Normen angleichen.

Als Erklärungsmuster hat das Modell zur „Konzeptionellen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ ein stärkeres Echo ausgelöst: Für schriftliche Texte werden auffällige und normabweichende Einheiten als Anleihen aus dem Kontext des Mündlichen angenommen.

Anhand eines Korpus mit mehreren Tausend Forumsbeiträgen werde ich versuchen aufzuzeigen, dass schriftbasierte Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen mit dem „output“ an geschriebenen Texten als dialogisch diskursive Einheiten ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren ist und wie es Jugendlichen gelingt, Textaufgaben adäquat umzusetzen. Anleihen aus dem Mündlichen erfassen die Kompetenzen nur teilweise, zusätzliche Aspekte müssen ebenso fokussiert und berücksichtigt werden, die text- und normkonstituierend wirken.

Literatur:

Spiegel, Carmen / Kleinberger Günther, Ulla (2006): Schreiben im Internet als neue Aufgabe der Didaktik. In: Spiegel, Carmen / Vogt, Rüdiger (Hrsg.): Vom Nutzen der Textlinguistik für die Schule. Hohengehren: Schneider Verlag, S. 187–199.

Wagner, Franc / Kleinberger, Ulla (2009): Sprachbasierte Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen. In: Lenz, Friedrich (Hrsg.): Schlüsselqualifikation Sprache: Anforderungen – Standards – Vermittlung. Frankfurt a. M.: Peter Lang (Forum Angewandte Linguistik), S. 49–61.

Zurück  

Anna Komor (Institut für Germanistik I, Universität Hamburg)

Spiele erklären – mündlich und schriftlich

In dem Beitrag wird diskutiert, welche Anforderungen an Schüler bei der Überführung von gesprochener in geschriebene Sprache gestellt und wie diese im Einzelnen umgesetzt werden. Bereits im Anfangsunterricht bildet das Schreiben von Texten zusammen mit der Ausbildung basaler Schreibfähigkeiten und Fähigkeiten des Rechtschreibens den Kernbereich dessen, was schulisches Schreiben-Lernen ausmacht. Insbesondere in den ersten Schuljahren geht der Textproduktion eine mündliche Bearbeitung des Themas im Plenum voran. Dabei kommt auch zur Sprache, was bei der Umsetzung von Mündlichkeit in Schriftlichkeit zu berücksichtigen ist.

Die Datengrundlage bilden Spielerklärungen von Schülern der 2. und 3. Klasse, die diese (1) mündlich im Unterricht und (2) schriftlich in Einzelarbeit realisierten. Die Daten wurden im Rahmen des BMBF-Projekts „Kommunikative Anforderungen in der Schule“ (Ltg.: Prof. Redder; Vorprojekt von BiSpra, s. den Vortrag von Stella Uesseler) erhoben und nach Kriterien der linguistischen Diskursanalyse ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass bereits in der 2. Klasse Fragen des formalen Aufbaus von Texten ebenso wie Hinweise zur variantenreichen Textgestaltung und zur Leserorientierung angesprochen werden. Die Ergebnisse zeigen auch, dass die Schüler die im Unterrichtsdiskurs erarbeiteten Hinweise zum Verfassen eines schriftlichen Textes teilweise bereits umsetzen. Allerdings weisen die Texte auch noch Merkmale des Mündlichen auf, insbesondere solche, die der Hörerorientierung dienen.

Zurück  

Natascha Naujok (FB Erziehungswissenschaft und Psychologie, Freie Universität Berlin)

Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Kontext der gemeinsamen Rezeption von Spielgeschichten

Empirische Studien belegen eindrucksvoll das hohe Motivationspotenzial von Spielgeschichten, dies häufig besonders für schwächere Schüler/innen und Jungen (s. z. B. Bertschi-Kaufmann 2005). Wie ist der Einsatz von Spielgeschichten im Deutschunterricht im Feld von medialer und konzeptueller Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu verorten und wie lässt er sich darüber hinaus mit Bezug auf die Aspekte Literalität und Literarität (s. Dehn 1999) fassen?

Die Beantwortung dieser Fragen soll in drei Schritten erfolgen. Zunächst wird – exemplarisch – das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in dem medialen Angebot der kinderliterarischen Hypermedia-Adaption „Eine Woche voller Samstage“ von Paul Maar in den Blick genommen. Auf Grundlage dieser medienzentrierten Annäherung werden in einem zweiten, rezeptionsorientierten Schritt Gesprächsausschnitte von Zweitklässler/inne/n während ihrer gemeinsamen Spielgeschichtenrezeption im Hinblick auf konzeptuelle Mündlichkeit und Schriftlichkeit und auf Spuren von Literarität analysiert. An die medien- und rezeptionsbezogenen Ergebnisse knüpfen schließlich didaktische Überlegungen an, in denen Potenziale des Einsatzes von Spielgeschichten zur Förderung von Kompetenzen in den Bereichen Mündlichkeit und Schriftlichkeit aufgezeigt werden.

Literatur:

Bertschi-Kaufmann, Andrea (2005): „Und was sah ich?!” Narratives Schreiben im Nachklang von multimedialen Lektüren. In: Wieler, Petra (Hg.): Narratives Lernen in medialen und anderen Kontexten. Freiburg i. Br., S. 119–134.

Dehn, Mechthild (1999): Texte und Kontexte. Berlin.

Zurück  

Sabine Birck (Institut notabene Sprachkonzept, Essen)

„Sie denkt viel vor der Zeit von Helmut nach“– Zum Verhältnis von Sprachfähigkeiten und Schreiben

Nennen wir ihn „Philipp II.“ (Philipp I. ist passé, vgl. meine Fallstudie in „Der Deutschunterricht“ 2/93). Er hat diesen Satz in einer Inhaltsangabe in der 7. Klasse der Hauptschule geschrieben. Verständlich ist er, wenn auch syntaktisch nicht korrekt.

Der Satz führt ins Zentrum des Themas; gleichsam ins Auge des Hurrikans, der Vorstellungen und Gedanken aufwirbelt, um sie, in Zeichen zerlegt, auf dem Papier zur Ruhe kommen zu lassen. Um diesen Prozess geht es: Was muss ein Schüler, der sich in seiner Muttersprache nur tastend bewegt, leisten, wenn er Gedanken verständlich zu Papier bringen will? Worin liegt die dem Verhältnis von Sprache und Schrift immanente Spezifik dieses Vorgangs?

Es sind nicht die Buchstaben. Wenn der diagnostische Blick sich nur auf das Wort und seine Schreibung richtet, werden die Weichen für die Förderung falsch gestellt. Gerade das aber geschieht heute allerorten, obwohl die Ergebnisse der DESI-Studie 2006 längst andere Signale gesetzt hatten. Speziell die Kategorie „phonologische Bewusstheit“ soll unter diesem Aspekt kritisch betrachtet werden.

Literatur:

Wygotski, Lew S. (1906). Denken und Sprechen, Berlin.

Zurück  

Katarina Farkas (PHZ Pädagogische Hochschule Zug, CH)

Schreibkonzepte junger Kinder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit

Das geplante Referat berichtet aus einem Dissertationsprojekt, das im Themenbereich „Frühschreiber/innen“ angesiedelt ist.

Kinder, die vor Schuleintritt bereits lesen und rechnen können, wurden in verschiedenen Studien in der Schweiz untersucht. Basierend auf Ersterhebungen wurden in der Schweiz bereits Longitudinalstudien zum Lernerfolg dieser Schülerinnen und Schüler gemacht. Im  Bereich „Schreiben“ wird bei Sprachstandsanalysen oft nur ein minimales Können getestet, nämlich das Schreiben von Buchstaben oder Einzelwörtern. Unsere Untersuchung setzt bei der Frage ein, welche Konzepte von fiktionalen und nonfiktionalen Texten Kinder im Alter zwischen 6 und 8 Jahren haben. Von 273 getesteten Kindern konnten 120 bereits im Kindergarten kurze Texte verfassen. 20 dieser Kinder im Alter von 6-8 Jahren nahmen im Herbst 2009 an einer Kinderhochschule teil. Um zu erfassen, welche Schreibkonzepte diese „frühschreibenden“ Kinder haben, ließen wir sie verschiedene fiktionale und nonfiktionale Texte diktieren. Im Referat werden die Erhebungsmethoden und erste Ergebnisse dieser Studie vorgestellt werden.

Literatur:

Feilke, H. & Schmidlin, R. (Hrsg) (2005): Literale Textentwicklung. Forum Angewandte Linguistik Band 45. Frankfurt am Main: Peter Lang

Stern, Elisabeth & Guthke, Jürgen (Hrsg.) (2004): Perspektiven der Intelligenzforschung. Lengerich, Berlin: Pabst Science Publishers

Zurück  

Michael Krelle (Fakultät Germanistik, Universität Duisburg-Essen)

Zur Messung mündlicher Kompetenzen. Dimensionalitätsanalysen argumentativer Kompetenz im Fokus

Im Zuge der Kompetenzorientierung wird vermehrt betont, mündliche (dialogische) Fähigkeiten empirisch abgesichert zu bestimmen (so etwa Ehlich u.a. 2005, S. 62f., Vogt 2007, S. 34, Becker-Mrotzek 2008, S. 77). Dieses gestaltet sich aus mehreren Gründen schwierig: Die Flüchtigkeit des Gesprochenen hat zur Folge, dass bewährte paper & pencil-Tests nur bedingt eingesetzt werden können, das Zusammenwirken von Sprecher und Hörer erfordert besondere, bisher wenig erprobte Verfahren.

Es werden Ergebnisse einer Studie zur Messung mündlicher Argumentationskompetenz vorgestellt (N=100). Dabei wird auf eine Kombination gesprächslinguistischer Kategorien und kompetenzdiagnostischer Instrumente gesetzt, um das Konstrukt mit einem hohen Anspruch an empirischer Güte zu bestimmen.

Es stehen besonders Dimensionsanalysen im Fokus. Die reliable und valide Bestimmung von Kompetenzdimensionen ist nicht die Normalform gesprächslinguistischer Tätigkeit: Es wird gezeigt, dass sich aber Entsprechendes aus mündlichen Daten rekonstruieren lässt, wenn man Zuordnungen durch mehrere Raterinnen und Rater kontrolliert und anschließend mittels rechnerischer Maße und statistischer Verfahren generalisiert. Dabei stehen insbesondere auch didaktische Annahmen u. a. über Meinungsbildungsprozesse (Feilke 2008) auf dem Prüfstand.

Literatur:

Becker-Mrotzek, M. (2008): Gesprächskompetenz vermitteln und ermitteln. Gute Aufgaben im Bereich »Sprechen und Zuhören«. In: Bremerich-Vos, A/Granzer, D./Köller, O. (Hrsg.) (2008): Lernstandsbestimmung im Fach Deutsch. Gute Aufgaben für den Unterricht, S. 52–77.

Vogt, R. (2007): Mündliche Argumentationskompetenz beurteilen. Dimensionen, Probleme, Perspektiven. In: Didaktik Deutsch 23, S. 33–54.

Zurück  

Carmen Spiegel (Institut für deutsche Sprache und Literatur, Pädagogische Hochschule Karlsruhe)

Anforderungen (und Kompetenzen) in mündlichen und schriftlichen Argumentationen – ein Vergleich

Eine differenzierende, vergleichende Betrachtung der Anforderungs- und Kompetenzbereiche für das Schriftliche und Mündliche steht noch aus.

Fokussiert man einen spezifischen schulischen Lernbereich wie z. B. das Argumentieren, fallen sowohl allgemeine als auch gegenstandsspezifische Anforderungen und, damit verbunden, zu schulende Kompetenzbereiche darunter. Um den Gegenstandsbereich „Mündliche und schriftliche Anforderungen und Kompetenzen“ zu präzisieren, möchte ich mich mit den folgenden Fragen beschäftigen, die ich exemplarisch am Lerngegenstand Argumentieren formuliere:

  • Welche Anforderungen stellen die Lehrenden an die Schüler/innen bei der mündlichen und schriftlichen Argumentation?
  • Welche Anforderungen entsprechen dem realen mündlichen und schriftlichen Argumentieren in alltagsweltlichen Kontexten?
  • Welche Kompetenzen benötigen die Schüler/innen, um mündliche und/oder schriftliche Argumentationen bzw. Erörterungen zu produzieren?

Literatur:

Grundler, E. (2009) Kompetent argumentieren. Ein Modell für die mündlich-dialogische Argumentationskompetenz. Unveröff. Diss, PH Ludwigsburg.

Spiegel, C. (2006): Argumentieren lernen im Unterricht – ein funktional-didaktischer Ansatz. In: Grundler, E./Vogt, R. (Hg.) Argumentieren in Schule und Hochschule. Tübingen, 63–76.

Zurück  

Jürgen Belgrad, Barbara Schupp & Ralf Schünemann (Fach Deutsch, Pädagogische Hochschule Weingarten)

Leseförderung durch Vorlesen

Grundlage der Projektarbeit ist das erweiterte Hurrelmann´sche Lesekompetenzmodell, besonders der Zusammenhang zwischen Leseaktivität (Lesemotivation) und der Steigerung der Lesekompetenz. Ziel der Arbeit ist, über regelmäßige Vorleseaktivitäten das Freizeitverhalten der Schüler hinsichtlich einer Steigerung der persönlichen Leseaktivität positiv zu beeinflussen. Dabei interessieren unterschiedliche Aspekte/Variablen, die im Zusammenhang mit dem Vorlesen durch den Lehrer stehen: Welchen Einfluss haben unterschiedliche Vorleseweisen (neutrales vs. theatrales Vorlesen), welchen Einfluss hat die Wahl der Lektüre (Ganzschrift vs. Kurzgeschichte), verbessert die Anschlusskommunikation die Leseaktivität der Schüler (monologisch vs. dialogisch), verbessern sich die erhofften Ergebnisse durch eine gezielte Schulung der vorlesenden Lehrer (geschult vs. ungeschult), lässt sich die eigene Leseaktivität steigern, wenn Schüler den vorgelesenen Text parallel mitlesen (einkanalig vs. mehrkanalig)? Der Interventionszeitraum beträgt 13 Wochen (09/2009 bis 02/2010). Die Stichprobe umfasst ca. 1800 Achtklässler an Hauptschulen in Baden-Württemberg (1400 VG und 400 KG). Zur Erhebung der Daten wurden qualitatives und quantitatives Verfahren kombiniert: geschlossener Fragebogen, normierter Lesetest (SLS), (nicht) teilnehmende Beobachtung und Leitfadeninterviews mit Schülern und Lehrern.

Literatur:

Vorlesen im Kinderalltag. Repräsentative Befragung von Kindern im Vor- und Grundschulalter. Eine Studie der Deutschen Bahn, der ZEIT und der Stiftung Lesen. Mainz 2008

Lesen in Deutschland 2008. Mainz: Stiftung Lesen 2008

Zurück  

Tabea Becker (Germanistisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität Münster)

Der Zusammenhang phonetisch-phonologischer Fähigkeiten mit dem Schriftspracherwerb bei Kindern mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache

Das Verhältnis von gesprochener zu geschriebener Sprache beim Schriftspracherwerb impliziert nicht nur sprachtheoretische, konstitutive Bezüge, sondern auch konditionale und psychologische. Meist wird davon ausgegangen, dass die Beherrschung des Lautsystems der Sprache und der Zugriff hierauf die Voraussetzung für den Erwerb der geschriebenen Sprache bilden. Besonders relevant wird diese Frage, wenn davon auszugehen ist, dass Beherrschung und Zugriff eingeschränkt sind, wie dies dann der Fall sein kann, wenn Deutsch als Zweitsprache erworben wird.

In einer qualitativen Längsschnittstudie wurden acht einsprachig deutsche Kinder und neun türkisch-deutsche Kinder über die vier Grundschuljahre in ihrem Schrifterwerbsprozess begleitet. Während die deutschen Kinder eine altersgemäße phonologische Entwicklung aufwiesen, befanden sich die deutsch-türkischen Kinder in verschiedenen Aneignungsphasen bezüglich des deutschen Lautsystems, vor allem auf der produktiven Ebene.

Untersucht werden soll die Frage, ob sich phonetisch-phonologische Fähigkeiten in der Art und der Ausprägung des Schriftaneignungsprozesses widerspiegeln. Einerseits lässt sich die Hypothese aufstellen, dass sich lernersprachliche phonologische Phänomene in den Schreibungen reflektieren. Möglicherweise ist auch die grundsätzliche Einsicht in die Phonem-Graphem-Korrespondenzen betroffen. Andererseits könnten gerade in Situationen mit eingeschränkt verfügbarem Lautsystem autonome Aspekte der Schriftsprache in den Vordergrund treten, bei der die Schrift als unabhängiges System wirkt.

Zurück  

Birgit Eriksson (PHZ Pädagogische Hochschule Zug, CH)

Hörverstehen und Leseverstehen im Vergleich: Ergebnisse aus den HarmoS-Tests in der 2., 6. und 9. Klasse

Im Vortrag werden die Hörverstehens- und Leseverstehensleistungen von Schülerinnen und Schülern der 2., 6. und 9. Klasse der französischen und der deutschen Schweiz präsentiert. Die Hör- und Leseverstehensleistungen wurden im Schweizer Bildungsstandard-Projekt HarmoS (2005-2009) in einer Large-Scale-Studie in der 6. und 9. Klasse (je 3000 Schülerinnen und Schüler pro Klassenstufe und Sprachregion) und in einer Feldtest-Studie in der 2. Klasse (je 140 Schülerinnen und Schüler beider Sprachregionen) erhoben.

Thematisiert wird im Vortrag der Zusammenhang zwischen den globalen Hör- und Leseverstehensleistungen in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht, Herkunftssprache und Nationalität. Die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund der publizierten Resultate anderer Leistungsmessungsstudien und der Verstehensprozessforschung interpretiert.

Literatur:

Eriksson, Brigit; Waibel, Saskia (im Druck, 2010). Bildungsstandards Zuhören – ein Bericht aus dem Schweizer Bildungsstandard-Projekt HarmoS. In: Bernius, Volker & Imhof, Margarete (Hrsg.).(Titel noch offen). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Eriksson, Brigit; Lindauer, Thomas; Sieber, Peter (2008): HarmoS 'Schulsprache' – Kompetenzbeschreibungen und Basisstandards. In: Beiträge zur Lehrerbildung (=BzL) 3/2008, 338–350.

Zurück  

Nora Knechtel (Zentrum Lesen, Fachhochschule Nordwestschweiz, CH)

Unterschiede in den mentalen Repräsentationen beim Hör- und Leseverstehen

Die Studie befasst sich mit Kongruenzen und Differenzen beim Hör- und Leseverstehen in der Entwicklung laut- und schriftsprachlicher rezeptiver Fähigkeiten bei Kindern der zweiten und dritten Klasse. Insbesondere interessiert, inwieweit sich Zusammenhänge beim Hör- und Leseverstehen beobachten lassen und welcher Art diese Zusammenhänge sind. Hinsichtlich der Förderung in der Praxis ist noch ungeklärt, inwiefern frühe Lesekompetenzen mit frühen Hörverstehenskompetenzen in Verbindung gesehen werden müssen. In dieser Hinsicht wird gefragt, ob und wie sich Lesende, die über ein gutes Textverstehen bei schriftlichen Texten verfügen, von solchen Lesenden, deren Leseverstehen schwächer ist, im Verstehen von Hörtexten unterscheiden. Zwei Verständnisdimensionen werden dabei in die Analyse einbezogen: das Nachvollziehen der propositionalen Struktur von Texten (auch: lokale Kohärenzherstellung) sowie Aspekte hierarchiehoher Verstehensprozesse (Situationsmodell) (vgl. Richter/Christmann 2002). Der Zusammenhang von Hör- und Leseverstehen bei Kindern wurde bisher vor allem anhand lokaler Kohärenzherstellungsprozesse untersucht und beschrieben, nicht jedoch auf Textebene (vgl. Marx/Jungmann 2000). Hier setzt das Forschungsvorhaben ein. Es begleitet 30 Lernende zu drei Messzeitpunkten mithilfe von Tests zum Verstehen narrativ-beschreibender Texte beim Hören und Lesen. Im Vortrag werden erste Schlussfolgerungen aus den ersten Erhebungszeitpunkten aufgezeigt.

Literatur:

Marx, H. / Jungmann, T. (2000): Abhängigkeit der Entwicklung des Leseverstehens von Hörverstehen und grundlegenden Lesefertigkeiten im Grundschulalter: Eine Prüfung des Simple View of Reading-Ansatzes. In: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 32(2): 81–93.

Richter, T./Christmann, U. (2002): Lesekompetenz: Prozessebenen und interindividuelle Unterschiede. In: Groeben, N./Hurrelmann, B. (Hrsg.): Lesekompetenz. Bedingungen, Dimensionen, Funktionen. Weinheim: Juventa, 25–58.

Zurück